Erdogan-Regierung geht gegen Opposition vor: Kurdischer Bürgermeister in Istanbul verhaftet
Die Empörung der Verhaftung eines Bezirksbürgermeisters in Istanbul ist groß. Die Regierung von Präsident Erdogan wirft dem Wissenschaftler Terrordelikte vor.
Istanbul - Ein Bürgermeister der größten Oppositionspartei in der Türkei CHP ist wegen Terrorvorwürfen verhaftet und seines Amtes enthoben worden. Die Staatsanwaltschaft wirft Prof. Dr. Ahmet Özer, Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Esenyurt, Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Er soll demnach „organische Verbindungen“ zu Anführern der Organisation gehabt haben.
Pro-kurdische Dem Partei sieht Putsch gegen den Willen des Volkes
Das Innenministerium erklärte, es habe den Bürgermeister temporär abgesetzt und als Zwangsverwalter den stellvertretenden Gouverneur Istanbuls eingesetzt. Begründet wurde dies mit laufenden Ermittlungen. Die CHP verurteilte das Vorgehen als politisch motiviert. Die prokurdische Oppositionspartei Dem schrieb auf der Plattform X: „Das ist ein klarer Putsch gegen den Willen des Volkes.“
Die Antiterrorpolizei soll bei der Verhaftung von Özer gewaltsam vorgegangen sein. „Sie dringen in ein öffentliches Gebäude ein, indem sie die Tür aufbrechen. Warum?“, schreibt der CHP-Vorsitzende Özgür Özel auf X. Damit wolle die Polizei den Eindruck erwecken, dass der inzwischen Verhaftete seit 10 Jahren überwacht werde. Im Vorfeld der Kommunalwahlen am 31. März sei dem Bezirksbürgermeister von Esenyurt jedoch ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis ausgestellt worden, empört sich der Oppositionsführer. Am Donnerstag war es in Esenyurt zu Protesten gegen die Verhaftung gekommen.

Empörung in der Türkei nach Verhaftung groß
Auch Menschenrechtler zeigen sich empört. Das rechtswidrige Vorgehen gegen Özer sei inakzeptabel. „Die Anschuldigungen gegen Ahmet Özer, der seit Jahren als Wissenschaftler und Rektor an staatlichen Universitäten tätig ist, sind jenseits von Vernunft, Recht und Wissenschaft“, schrieb der Menschenrechtsverein IHD (Insan Haklari Dernegi) ebenfalls auf X.
38 Rechtsanwaltskammer haben wegen der Verhaftung des Bürgermeisters eine gemeinsame Erklärung abgegeben. „Ihn in Gewahrsam zu nehmen, obwohl es ihm aufgrund seines Amtes möglich ist, auf Aufforderung eine Aussage zu machen, und einen Haftbefehl gegen ihn zu erlassen, obwohl kein Verdacht auf Manipulation von Beweisen und Flucht besteht, sind unverhältnismäßige Schutzmaßnahmen und verstoßen gegen das Gesetz“, bemängeln die Juristen und kommen zu einem verheerenden Schluss. „Die Ermittlungsverfahren und -praktiken in dieser Angelegenheit verstoßen eindeutig und in mehrfacher Hinsicht gegen die Verfassung und internationale Übereinkommen, denen die Türkei beigetreten ist“.
Kritik von Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei
Der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei, Nacho Sánchez Amor, sieht ebenfalls einen klaren Rechtsbruch und warnt vor allem den Zwangsverwalter, der die Geschäfte des Bürgermeisters leiten soll. „Jeder Treuhänder, der sich bereit erklärt, einen demokratisch gewählten Bürgermeister zu ersetzen, wie es in Esenyurt (Istanbul Türkei) geschah, muss nach dem EU-Magnitsky Act persönlich sanktioniert werden“, teilt Amor auf X mit. Mit den sogenannten „Magnitsky-Gesetzen“ können diejenigen auch in der EU sanktioniert werden, die für Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern verantwortlich sind.
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Der verhaftete Özer ist Soziologe und stammt aus einer kurdischen Familie aus dem Südosten des Landes und war bei den Kommunalwahlen im März in dem mehrheitlich kurdischen Stadtteil zum Bürgermeister gewählt worden. Die CHP hatte bei den Kommunalwahlen einen überraschenden Erfolg eingefahren und die meisten Bürgermeisterämter im Land für sich gewonnen.
Türkei: Immer wieder Vorgehen gegen prokurdische Bürgermeister
Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ist in der Vergangenheit immer wieder wegen angeblicher PKK-Verbindungen gegen prokurdische Bürgermeister vorgegangen und hat diese ihres Amtes enthoben. Dem beliebten Istanbuler Bürgermeister und Erdogan-Rivalen, Ekrem Imamoglu, droht aufgrund mehrerer Verfahren gegen ihn ein politisches Betätigungsverbot. Die Türkei belegt wegen ihrer Menschenrechtsverstöße im Rechtsstaatlichkeitsindex vom World Justice Project den Platz 117 von 142. (erpe/dpa)