Vor US-Wahl 2024: Trump droht mit Kehrtwende – Nato in Angst vor der Verantwortung

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Gute Mine zum bösen Spiel: Seit der „Zeitenwende“-Rede seines Kanzlers Olaf Scholz (SPD) kann Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nur noch den Anforderungen an eine moderne Armee hinterherlaufen. Experten halten die Artillerie erst in 100 Jahren für konkurrenzfähig. © Boris Roessler/dpa

Wenn Trump kommt, verlassen die USA Europa – vor der US-Wahl 2024 wächst die Angst der Nato mit jedem Tag. Wirtschaft und Armee stehen desaströs da.

Brüssel – „Ich werde fest an der Seite der Ukraine und unserer Nato-Verbündeten stehen“, sagte Kamala Harris in ihrer mit Spannung erwarteten Rede zum Abschluss des viertägigen Parteitags der Demokraten in Chicago – im August hatte die Deutsche Presse Agentur (dpa) das Bekenntnis der demokratischen Präsidentschaftskandidatin verbreitet. So weit, so wenig aussagekräftig: Jetzt, kurz vor der US-Wahl 2024 lägen die beiden Kandidaten in Umfragen fast gleichauf, schreibt aktuell die Tagesschau. Das bereit vor allem Wolodymyr Selenskyj und Mark Rutte schlaflose Nächte. Ein Sieg Donald Trumps hätte für die Nato verheerende Aussichten.

Deutschlands bekanntester Militärhistoriker, Sönke Neitzel, hatte bereits Ende November gegenüber der ARD gewarnt, dass sich allein schon durch den Krieg der Hamas gegen Israel der Fokus der US-Amerikaner zugunsten Israels verschoben habe. Darüber hinaus beurteilt Neitzel die Situation auf dem osteuropäischen Kriegsschauplatz vor allem deshalb als schwierig, „weil die Republikaner und Teile der Demokraten immer schon gesagt haben, dass der Schwerpunkt eigentlich China ist“. Seiner Meinung nach sehen die Amerikaner eher die Europäer am Zuge der Ukraine zu helfen. 

Trump vs. Harris: „Wir wissen: Ohne die USA gäbe es die Ukraine nicht mehr“

„Wir wissen aber auch: Ohne die USA gäbe es die Ukraine nicht mehr; und ohne die USA wäre auch Europa außerstande, die Ukraine so sehr zu unterstützen, dass sie diesen Krieg weiterhin führen könnte.“, sagte Neitzel. Die grundsätzlich spannende Frage also ist: Wie lange werden die USA die Ukraine noch am Leben halten? Die US-Wahl 2024 wird die Weichen für die geopolitische Gesamtsituation Europas deutlich verschieben.

„Wenn wir bei den Artilleriesystemen so weitermachen, dauert das über 100 Jahre.“

Ich sage den Leuten immer: Ihr glaubt, der Krieg in der Ukraine würde vorübergehen wie ein böser Traum; und dann kann man sich wieder anderen Dingen zuwenden. Aber das wird nicht passieren“, sagt Historiker Neitzel weiter. Er fordert damit gerade die Politik auf, ehrlich zu makeln. Mit seiner Forderung nach echter „Kriegstüchtigkeit“ der Bundeswehr hat sich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Neitzels Respekt verdient.

Pistorius ist ein Mann nach Neitzels Geschmack, wie der dem NDR gesagt hat: „Es ist hohe Zeit, dass wir auch in der Sicherheitspolitik ehrlich sind; dann können wir uns auf die Situation einstellen. Wir müssen dazu in der Lage sein, unsere Demokratie und unsere Bündnis-Partner zu verteidigen.“ Laut dem Hamburger Abendblatt besteht große Sorge im Bündnis: Binnen fünf Jahren nach Kriegsende könne ein aggressives Russland seine Armee nicht nur auf den alten Stand bringen, sondern sogar zu einer größeren und leistungsfähigeren Streitmacht ausbauen.

Albtraum republikanischer Wahlsieg: „Trump glaubt nicht an Verbündete“

„Tut mir leid, Nato. Trump glaubt nicht an Verbündete“, hatte die New York Times 2018 getitelt – da war Donald Trump bereits seit einem Jahr der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Jetzt treibe das Nordatlantische Verteidigungsbündnis die Angst vor dem Déjà-vu, wie die Tagesschau berichtet. Trump zwingt die Europäer dazu, sich für ihre eigene Sicherheit selbst ins Zeug zu legen.

Besonders in Deutschland würde dies erhebliche Konsequenzen haben. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hatte Mitte des Monats nachrechnen lassen, dass mit der Minimal-Anforderung der Nato von zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) kaum noch auszukommen sei. „,Zwei Prozent reichen für Deutschland nicht. Es muss Richtung drei Prozent gehen‘“, sagte der höchste deutsche Nato-General, Christian Badia, der SZ. Allerdings ist Deutschland kein Sonderfall. Lediglich Polen hat mit vier Prozent ihres BIP einen ähnlichen hohen Verteidigungshaushalt wie die USA.

Ungemach droht auch von Harris: Deutschland solle eine etwas härtere Kante gegen China zeigen

„Der Sprecher von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betont, in der Tat werde besprochen, ‚welche Länder welche Fähigkeiten und welche Kräfte zur Verfügung stellen müssen, um der Bedrohungslage gerecht zu werden‘“, schreibt aktuell die SZ. Allerdings droht Europa Ungemach auch von den Demokraten – neben der Verteidigungspolitik auch in den Wirtschaftsbeziehungen wie gerade der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) verbreitet – Deutschland scheint die Erwartungen seiner internationalen Partner weithin zu enttäuschen – das legt jedenfalls Jutta Friedlander nahe.

Dass Amerika erwartet, dass Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mehr Verantwortung in der internationalen Verteidigungspolitik übernimmt, sei ja kein Geheimnis, sagt die Geschäftsführerin des Thinktanks Atlantik-Brücke. „Sowohl Harris als auch Trump werden erwarten, dass Deutschland eine etwas härtere Kante gegen China zeigt. Und wenn dies nicht passiert, wird man sich fragen, warum sich die USA weiterhin dafür einsetzen sollen, die deutschen Interessen zu schützen. Die Demokraten werden dies lediglich diplomatischer formulieren als Donald Trump, aber die Grundsatzpolitik ist ähnlich“, sagt sie gegenüber dem iwd.

Countdown zur US-Wahl 2024: Nato strebt an, sich „Trump-sicher“ aufzustellen

Die Nato strebe an, sich speziell „Trump-sicher“ aufzustellen, formuliert die Tagesschau. Dennoch scheint die Nato aktuell insgesamt ihre Rolle in einer geopolitisch instabilen Welt zu suchen; eine nahezu desaströse Situation „Wir können nur hoffen, dass die Bundeswehr nie kämpfen muss“, hat Deutschland Militärhistoriker Sönke Neitzel in der Sendung Maischberger gesagt. „Den Nachweis, das wir reformfähig sind, das wir uns als Staat, auch als EU anpassen können an die Bedrohung, den haben wir nicht erbracht.“

Wenn die USA von Europa sprechen, meinen sie vorrangig das wirtschaftliche starke Deutschland – so sagt auch Fabrice Pothier, ein ehemaliger Direktor der Politikplanung für die Nato, gegenüber Newsweek: „Deshalb ist Deutschland – das immer der ‚Swing State‘ der europäischen Verteidigungsausgaben war – aufgrund seines verteidigungsindustrieellen Gewichts jetzt noch wichtiger.“ 2014 war Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim als militärischer global-player zurückgekommen auf die Weltbühne.

Daraufhin hatte sich die Nato im September gleichen Jahres in Wales getroffen, um sich auf „erhöhte Einsatzbereitschaft“ einzuschwören – das war das 26. Gipfeltreffen seit der Gründung des Bündnisses im Jahr 1949. Seitdem ist das vorher bereits bestehende gemeinsame Ziel notwendiger denn je, jeweils zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts rein für die Verteidigung auszugeben. Allerdings ist seitdem hierzulande wenig passiert – trotz der Zeitwende-Rhetorik des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD). „Wir gehen drei Schritte vor und zwei zurück", sagt Neitzel.

Ergebnis des Ukraine-Krieges: Von „Kriegstüchtigkeit“ ist Bundeswehr weiter entfernt als vorher

Das Heer stehe „mehr oder weniger blank da“, hatte zu Beginn des Ukraine-Krieges Alfons Mais gesagt. Den Generalleutnant und Inspekteur des Heeres stellt die Süddeutsche Zeitung aktuell in den Schatten mit der Aussage einer anderen anonymen hochrangigen Quelle aus der Bundeswehr: „Wir sind blanker als blank.“

Von einer „Kriegstüchtigkeit“ ist die Bundeswehr seit der Zeitenwende-Debatte weiter entfernt als vorher. Der Bundeswehr werden nach dem Aufbrauchen des Sondervermögens zweistellige Milliardenbeträge fehlen, hat kürzlich die Wochenzeitung Das Parlament nochmals herausgestellt – als Basis diente eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel; steigende Kosten sowie das ewig lange Beschaffungswesen würden die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr unterminieren.

Selbst innerhalb der SPD soll kritisiert worden sein, dass „die doch recht geringe Erhöhung des Verteidigungsetats eine ernüchternde Zahl darstellt“, wie deren Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich kommentiert hat. Laut dem Parlament opponierte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul (CDU) schärfer gegen die lahmende Zunahme der „Kriegstüchtigkeit“ – er zitierte die Studie: „Wenn wir bei den Artilleriesystemen so weitermachen, dauert das über 100 Jahre“.

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