„Für China ist die Rückkehr von Donald Trump ein Geschenk“
Mehr China wagen? So zumindest lassen sich die Zeichen lesen, die derzeit aus Brüssel kommen. Ein China-Experte warnt davor, blind die Nähe zu Peking zu suchen.
Jahrelang galt in Europa die Devise: Die EU muss sich unabhängiger machen von China. Seit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus scheint das nicht mehr uneingeschränkt zu gelten. Sogar Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plädiert dafür, wieder mehr Nähe zu Peking zu suchen. China-Experte Grzegorz Stec erklärt im Interview, warum er das für keine gute Idee hält.
Herr Stec, Donald Trumps Annäherung an Russland hat für viel Aufregung in Europa gesorgt. Viele glauben, sich nicht mehr auf die USA verlassen zu können. Wie blickt man in China auf diese Entwicklung?
In der EU diskutiert man derzeit reflexhaft, ob man sich angesichts von Trumps Abkehr von Europa vermehrt China zuwenden soll. Für China sind die Rückkehr von Donald Trump und die damit einhergehenden transatlantischen Spannungen so gesehen ein Geschenk. Und Peking versucht bereits, daraus Kapital zu schlagen.
Lu Shaye, der chinesische EU-Sondergesandte, hat in einem Interview gesagt: Verglichen mit Trump stehe China für „Frieden, Freundschaft, Wohlwollen und Win-win-Zusammenarbeit“.
Lu Shaye ist einer der bekannten chinesischen „Wolfskrieger“-Diplomaten und in der Vergangenheit mit äußerst kontroversen Äußerungen aufgefallen. In seiner Zeit als Botschafter in Frankreich hat er beispielsweise die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine sowie die Souveränität der post-sowjetischen Staaten infrage gestellt. Seine Ernennung zum Sondergesandten für Europa zeigt, dass China ein härteres Auftreten zu einem späteren Zeitpunkt für eventuell notwendig hält, auch wenn es aktuell mit warmen Worten versucht, das angeschlagene Verhältnis zur EU wieder zu kitten. Was jedoch fehlt, sind konkrete Taten.
Zur Person
Grzegorz Stec leitet das Brüssel-Büro des Mercator Instituts für China-Studien. Er forscht zu den EU-China-Beziehungen, Chinas Position gegenüber Europa und den Bestrebungen der EU, eine gemeinsame China-Politik zu entwickeln.

„Europa steht nicht sehr weit oben auf Pekings Agenda“
Was erwartet die EU von Peking?
Die EU möchte, dass sich Peking bei einigen zentralen Fragen bewegt. Zum Beispiel, wenn es um das chinesische Verhältnis zu Russland geht, um Überkapazitäten, um Menschenrechtsfragen. China hat bislang keine großen Schritte unternommen, um hier auf Europa zuzugehen und wird dies wahrscheinlich auch nicht tun wollen.
Meine News
China und die EU haben vor 50 Jahren diplomatische Beziehungen aufgenommen. Die EU hat anlässlich des Jahrestags am 6. Mai den chinesischen Staatschef Xi Jinping zum nächsten EU-China-Gipfel nach Brüssel eingeladen …
… und Xi soll abgelehnt haben, obwohl er am 9. Mai in Moskau sein wird, wo dem Kriegsende vor 80 Jahren gedacht wird.
Was sagt uns das?
Europa steht nicht sehr weit oben auf Pekings Agenda. China will vor allem verhindern, dass es ein gemeinsames transatlantisches Vorgehen gibt, um Chinas Aufstieg zu behindern. Und es will den Einfluss und die Position der USA schwächen, ein Ziel, das Peking mit Moskau teilt. Die EU ist dennoch nützlich für China. Einerseits als wichtiger Absatzmarkt für chinesische Produkte, außerdem ist China auf europäische Technologie angewiesen. Das Bekenntnis Europas zum Multilateralismus ist aus chinesischer Sicht zudem nützlich, wenn es darum geht, seine eigene Vorstellung einer multipolaren Weltordnung voranzutreiben.
Aber?
In Peking scheint man eine Annäherung der EU an China als selbstverständlich anzusehen, oder zumindest kein größeres Angebot auf den Tisch legen zu wollen. Die chinesische Führung glaubt, dass sich Europa allein wegen der Spannungen mit den USA China zuwenden wird. Nach dieser Logik wird Europas China-Politik letztendlich von den transatlantischen Beziehungen bestimmt – warum also mehr auf den Tisch legen als freundliche Rhetorik und eine Betonung der Unzulänglichkeiten der Trump-Regierung? Und so folgen den Botschaften an die Europäer keine Taten.

„Der Vorstoß, dass China Peacekeeping-Truppen in die Ukraine schicken könnte, klingt nach PR“
Inwiefern?
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Chinas Außenminister Wang Yi noch davon gesprochen, Europa müsste eine wichtige Rolle in Verhandlungen zur Beendigung des Krieges spielen. Wenig später telefoniert dann Xi Jinping mit Wladimir Putin, und in dem Gespräch lobt er die angeblichen Friedensanstrengungen der Russen und der Amerikaner – die aber keine Beteiligung der Europäer vorsehen.
China will angeblich selbst in der Ukraine aktiv werden, ein ehemaliger General hat den Vorschlag in den Raum gestellt, Peking könnte sich an der Überwachung eines Waffenstillstands beteiligen.
Ich sehe das sehr skeptisch. Der Vorstoß, dass China Peacekeeping-Truppen in die Ukraine schicken könnte, klingt für mich eher nach PR. Peking will als verantwortungsbewusster Akteur wahrgenommen werden, vor allem in den Ländern des Globalen Südens. Aber zur Wahrheit gehört auch: Ohne chinesische Unterstützung hätte Russland seinen Angriffskrieg nicht so intensiv führen können, wie es das seit drei Jahren tut. Es ist also sehr fraglich, ob die Ukrainer und die Europäer die Chinesen vertrauen würden, sich in dem Konflikt als unparteiischer Friedenswahrer einzubringen.
Auch Handelsstreitigkeiten belasten das Verhältnis der Europäer zu China.
Das liegt auch daran, dass sich die Vorzeichen verändert haben. Peking geht es um Zugang zum europäischen Markt. Wir sind für China also ein Exportziel. Bei chinesischen Importen aus Europa ist das Bild hingegen durchwachsen. Die europäischen Unternehmen, die auf dem chinesischen Markt aktiv sind, klagen zudem über die sinkende Profitabilität durch den schwachen Konsum im Land und den hohen Wettbewerbsdruck, der nicht zuletzt aufgrund von massiven Subventionen entstanden ist.
„Wir müssen uns aber immer bewusst sein, wo die chinesischen Interessen liegen“
Dennoch hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos davon gesprochen, die EU und China sollten dort, wo es möglich ist, ihre Handelsbeziehungen ausbauen.
Ja, zu Beginn der Trump-Präsidentschaft gab es in Brüssel wohl die Hoffnung, man könne die Position der Amerikaner beeinflussen, indem man ihnen damit droht, sich China anzunähern. Schließlich waren es die USA, die in den vergangenen Jahren in Europa dafür geworben hatten, sich von China unabhängiger zu machen.
Sie glauben aber nicht, dass das eine gute Taktik ist?
Nun, diese Taktik beruht auf der Annahme, dass die neue US-Regierung China gegenüber so hart auftreten wird wie die vorherige und dabei auf die Koordination mit Partnern setzt. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. Natürlich, Trump hat Zölle auf chinesische Importe erlassen. Aber nicht in der Höhe, wie er das zuvor angedroht hatte. Auch ist nicht klar, wie wichtig die Konfrontation mit China im Indopazifik für Trump wirklich ist. Da kommen durchaus widersprüchliche Signale aus Washington. Zudem scheint es Trump im Verhältnis mit Europa vor allem um Handelsfragen zu gehen, nicht um die großen strategischen Linien. Er ist besessen von Zöllen und dem Ungleichgewicht beim Handel mit der EU.
Was bedeutet das für Europa?
Wir sollten nicht dem Impuls nachgeben, mehr Engagement mit China zu suchen, nur, weil die transatlantischen Beziehungen belastet sind. Natürlich ist eine Zusammenarbeit mit Peking in bestimmten Bereichen sinnvoll, etwa wenn es um das Pariser Klimaabkommen geht. Wir müssen uns aber immer bewusst sein, wo die chinesischen Interessen liegen und dass sie oftmals nicht mit unseren übereinstimmen. Daran hat die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus nichts geändert.