Auf Teufel komm raus: „Don Giovanni“ an der Bayerischen Staatsoper

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Fahrt zur Hölle: Konstantin Krimmel singt seinen ersten Don Giovanni. © Geoffroy Schied

Die höllische Proserpina schlüpft in den Körper des Verführers: Zur Eröffnung der Opernfestspiele zeigt die Bayerische Staatsoper „Don Giovanni“ auf ungewöhnliche Weise. Eine Themaverfehlung, übrigens auch musikalisch.

Drei, vier Minuten nur sind es, da ist dieser Mann vollkommen frei. In doppelter Hinsicht: weil die Teufelin wieder aus seinem Körper gefahren ist und Don Giovanni, nun unbelastet von fremden Mächten, mit einem erotischen Ständchen auf der Pirsch ist. Und weil sein Interpret Konstantin Krimmel in „Deh vieni alla finestra“ endlich ausspielen darf, wofür man diesen Bariton so liebt. Für die feine, kluge Lyrik, für seinen entwaffnend flexiblen Gesang, für die unverkrampfte, natürliche Verbindung von Wort und Klang – weit hebt ihn das heraus aus der Opern- und Liedszene.

Es ist Krimmels erster Giovanni. Der Mann ist gerade mal 32, noch einige Engagements für diese Rolle dürften kommen, man wünscht es ihm. An seinem Heimathaus, der Bayerischen Staatsoper, hat sich nämlich Regisseur David Hermann an Mozarts letzten Partiturseiten festgebissen. Von Pluto wird da im finalen Quintett gesungen, vor allem von der unglücklichen Gattin Proserpina. Die darf einmal pro Jahr von der Hölle Urlaub machen und an die Oberfläche, für Unkundige gibt es während der Ouvertüre Nachhilfe per Schriftprojektion. Ausgerechnet dort trifft sie auf den Lebemann, in dessen Körper sie wie ein Dämon schlüpft.

Verwischung der Geschlechter

Don Giovanni als Besessener, dies auch noch von einer sagenhaften Frau, eine hübsche Pointe ist das. Doch hier, als Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele, eine sagenhafte Themaverfehlung. Wobei Hermann in der Durchführung seines Gedankens eine gewisse Virtuosität entwickelt. Wie Schauspielerin Erica D’Amico als stumme Proserpina sich immer wieder mit Krimmel zu vereinigen scheint und sich von ihm trennt, wie dieser Giovanni dann effeminiert über die Szene tänzelt und sogar an Bauer Masetto herumnestelt (nicht an der stückgemäß angepeilten Zerlina), das bringt kleine Gender-Gags. Eine pikante Verwischung der Geschlechter: Vom Macho, dem das Testosteron aus jeder Pore, aus jedem Ton quillt, hat man schließlich genug.

Hermann spinnt da neue Beziehungsfäden – und verstrickt sich in ihnen. Dieser Abend ist eine Entschuldungsaktion Giovannis, die das Werk total verkennt: Wer so determiniert ist von einer fremden Macht, der ist auch frei von Sünde. Eine der schillerndsten Gestalten des Opern- und Literaturkosmos funzelt nur noch als Marionette – jeder Staatsanwalt würde auf Freispruch plädieren.

Es ist viel los in der Beton-Architektur von Bühnenbildner Jo Schramm. Die ist mal Loft mit Bett, mal Standesamt, mal Gerichtssaal, am Ende Dinnerzimmer für Giovannis letztes Abendmahl. Es gibt hinzuerfundene, heutig ausstaffierte Gestalten (Kostüme: Sibylle Wallum), parallele Handlungen, immer und überall tut sich etwas. Manchmal dauern die Verwandlungen. Der hervorragende Julian Perkins am Hammerklavier zirpt dafür Pausenmusiken, ein paar hat Dirigent Vladimir Jurowski komponiert und Mozarts Partitur dafür angezapft. Die Sache wird dadurch unnötig verlängert. Auch der Generalmusikdirektor tut sich nämlich schwer mit dem Stück. Jurowski, man hört es, hat viel nachgedacht über den „Don Giovanni“, über die Mixturen, Kraftfelder und Entwicklungslinien. Manches klingt tatsächlich geschärft, anders ausgehört. Doch viel zu gemessenen Schrittes ist er in seinem Mozart-Labor unterwegs. Die Zeichengebung fürs Orchester ist oft irritierend und wenig organisch. Hier dirigiert ein Physiker, kein Theatermann.

Jurowski hält kaum Kontakt zur Bühne

Zu den Sängerinnen und Sängern hält Jurowski kaum (Blick-)Kontakt, die Lotsenaufgabe überlässt er dem mittaktierenden Souffleur. Nicht nur das Sextett des zweiten Akts wird verschenkt. Jurowski zeigt kaum Sensorium für die Bedürfnisse des Bühnenpersonals, für den kantablen Puls von Mozarts Musik, für den ihr einkomponierten Atem. Vera-Lotte Boecker hat in ihrer buchstabierten Final-Arie am meisten darunter zu leiden. Eine grandiose Donna Anna, mit dunklem Leuchten und Rundung des Tons gestaltet, flexibel, Zwischentöne mitdenkend, alles ist intelligent erfühlt und klanglich abgebildet. Samantha Hankey, eine Donna Elvira mit konzentrierter Energie und starker Präsenz, ist ihr dicht auf den Fersen. Bei Avery Amereau ist Zerlina (auch im Gesang) kein Hascherl, sondern würdige Mitstreiterin im Trio der ausgebooteten Frauen.

Giovanni Sala, man hat ihm nur die zweite Arie gelassen, singt einen dramatischen, bewusst riskanten Don Ottavio, Christof Fischesser ist ein imposanter, nie überreizter Komtur, Michael Mofidian ein kerniger Masetto – und Kyle Ketelsen der heimliche Giovanni des Abends. Er hat als Leporello das Vokal-Erz, die raumgreifende Geste, die Grandezza, die Krimmel (noch?) fehlt. Umso kollegialer, dass Ketelsen dies nicht ausspielt. Giovannis Diener gewinnt er auch tragische Aspekte ab. Keine hibbelige Buffo-Figur ist das, sondern ein Zerknirschter, der das Schicksal seines Herrn nicht mitansehen kann. Mutmaßlich ist alles szenischer Eigenbau dieses Singdarstellers – David Hermann hätte das nutzen und weitertreiben können.

Doch der verpuzzelt sich in seinem Konzept und verwendet zu viel Aufmerksamkeit auf seine Teufelseintreibung samt kleinteiligen Hyperrealismus. Der provoziert auch ungeplante Gags. Als der tote Komtur auf der Bahre abgefahren wird, muss dies Ottavio bei den Sanitätern quittieren – wie wär’s mit einem Trinkgeld? Mit Mozart hat die Bayerische Staatsoper derzeit kein Glück, nach „Così fan tutte“ und „Le nozze di Figaro“ ist dies die dritte Enttäuschung. Intendant Serge Dorny hat da etwas gemeinsam mit Vorgänger Nikolaus Bachler. Der konnte nicht mit Wagner.

Die Handlung

Beim Rendezvous mit Donna Anna wird Don Giovanni von ihrem Vater, dem Komtur, bedroht, den er tötet. Anna und ihr Verlobter Don Ottavio schwören Rache. Donna Elvira, der Giovanni die Ehe versprochen hat, reist ihm nach. Er verhöhnt sie – und bandelt mit Bäuerin Zerlina an, die eigentlich Masetto heiraten will. Übermütig lädt Giovanni auf dem Friedhof die Statue des Komtur zum Essen ein. Sie kommt. Als Giovanni nicht bereut, fährt er zur Hölle.

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