Mit Kriegsschiff und Sowjet-Nostalgie: Hier feiert China Russland – trotz Ukraine-Krieg
Der Ukraine-Krieg geht mit unverminderter Härte weiter. In China begeistert ein Russland-Park seine Besucher. Highlight: ein Sowjet-Kriegsschiff.
Tianjin – Gut eine Stunde mit dem Schnellzug von Peking, dann noch ein Stück mit dem Taxi – und schon steht man mitten auf dem Roten Platz, mit bestem Blick auf die weltberühmte Basilius-Kathedrale. Die bunten Zwiebeltürme leuchten in der Frühlingssonne, aus Lautsprechern dringt russische Musik. Ein Stück Russland, mitten in China: Willkommen im vielleicht seltsamsten chinesischen Freizeitpark, dem „Binhai Flugzeugträger-Themenpark“.
In Binhai, einem Stadtteil der 14-Millionen-Metropole Tianjin, wird seit mehr als zwei Jahrzehnten die chinesisch-russische Freundschaft zelebriert. Höhepunkt des Parks ist die „Kiew“, ein alter sowjetischer Flugdeckträger, um den herum das ganze Russland-Disneyland gebaut wurde.
Für Besucher aus dem Westen wirkt die Szenerie durchaus befremdlich: Eine Feier alles Russischen, während gleichzeitig der Ukraine-Krieg mit unverminderter Härte tobt und Wladimir Putins Soldaten Drohnen und Raketen auf ukrainische Städte lenken. An einem Mittwochnachmittag Ende April scheint das aber niemanden zu stören. „Viel los?“, fragt man die Verkäuferin, der man 160 Yuan, umgerechnet knapp 20 Euro, in die Hand drückt, um den Park betreten zu dürfen. Es sei immer viel los, sagt die junge Frau stoisch. Und erklärt dem Besucher aus Deutschland dann, dass er leider nicht alle Sehenswürdigkeiten des Parks besuchen könne. Ein Teil werde gerade renoviert, sagt sie. Und ein altes chinesisches U-Boot, das am Rande des Parks festgemacht hat, dürften bedauerlicherweise nur Chinesen betreten. Warum? Keine Antwort.
Skurriler Russland-Park: „Die meisten Besucher sind Chinesen“
Also hinein in den Freizeitpark, vorbei an einem „russischen Restaurant“ mit dem gar nicht so russischen Namen „Margarita Italian Restaurant“, wo laut Speisekarte ein russischer Koch namens Maxim Spaghetti Bolognese kocht und Kaviar serviert. Nebenan zeigen zwei chinesische Clowns ihre Kunststückchen. Zuschauer haben sie gerade aber keine, denn die sitzen fast alle in einer kleinen Arena, in der jeden Tag um 14 Uhr chinesische Stuntmen ihre Autos mit kreischenden Reifen um die Ecken sausen lassen. Mit Russland hat das zwar wenig zu tun. Den Schülern einer internationalen Schule in Tianjin, die hier den Nachmittag verbringen, ist das aber augenscheinlich egal, sie kreischen begeistert.

Als die Show vorüber ist und das Publikum die Arena verlässt, füllt sich nicht nur Maxims Restaurant. Auch die Souvenirläden, mit ihren bunten Ladenfronten im pseudorussischen Stil, erwachen aus der Mittagshitzenlethargie. In den Regalen warten bunt bemalte Matrjoschkas und Nussknacker aus Holz auf Käufer, in allen Größen und Farben, für umgerechnet ein paar Euro, „made in China“ allerdings. Zur Erfrischung gibt‘s Coca-Cola, bayerisches Weißbier und natürlich sehr viel Wodka.
„Die meisten Besucher sind Chinesen“, sagt eine der Verkäuferinnen, eine junge Frau aus Russland. Yekaterina heißt sie, kommt aus Wladiwostok und hat in Peking Chinesisch studiert. Vier, fünf weitere Russen seien hier angestellt, erzählt sie, und sonst vor allem Chinesen. Wodka verkaufe sich gut, sagt Yekaterina, hin und wieder gehe auch eine Matrjoschka über die Ladentheke. Verkaufsschlager sei neben Holzgewehren allerdings das Plastikmodell der „Kiew“.
China und Russland verbindet eine komplizierte Geschichte
Der Flugdeckträger ist tatsächlich ein imposanter Anblick. Hinter der Ladenzeile und ein paar alten russischen Kampfjets erhebt er sich plötzlich ins Blickfeld. 273 Meter ist das Schiff lang, gebaut wurde die „Kiew“ Anfang der 1970er im ukrainischen Mykolajiw, 1993 dann außer Dienst gestellt und ein paar Jahre später von einem chinesischen Unternehmen erworben. Seitdem steht sie in der Bohai-Bucht und wird jedes Jahr von Hunderttausenden Touristen besucht.
Anders als Flugzeugträger haben Flugdeckkreuzer kein durchgehendes Flugdeck, aber auch sie dienen Flugzeugen und Hubschraubern als Start- und Landeplatz. Man betritt das riesige Kriegsschiff über eine breite Rampe. Es ist dunkel im Bauch der „Kiew“, noch immer hängt der Geruch von Maschinenöl in der Luft. In einer Art Ausstellungsraum hängen Sowjet-Flaggen von der Decke, auf den Schautafeln geht es dann aber vor allem um die Geschichte der chinesischen Kommunistischen Partei. Wie man den „Geist des 20. Parteitags“ der KP in die Tat umsetzen soll, erfährt man hier, von Fotos lächelt Chinas Staatschef Xi Jinping den Besucher milde an. „Ein starkes Land braucht eine starke Armee“, verkündet ein Plakat.

Dass China und Russland eine durchaus komplizierte Geschichte verbindet, erfährt man nicht. 1975, als die „Kiew“ in Dienst gestellt wurde, hatten sich China und die Sowjetunion längst voneinander entfremdet, sechs Jahre zuvor war ein Grenzkonflikt beinahe zum Krieg zwischen den beiden Atommächten eskaliert. Heute freilich könnte das Verhältnis zwischen Peking und Moskau kaum besser sein, vor ein paar Tagen erst war Xi in der russischen Hauptstadt, anlässlich der Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Im Ukraine-Krieg sind die beiden Länder eng aneinandergerückt, China unterstützt den russischen Angriffskrieg diplomatisch und wirtschaftlich. Auch Güter, die militärisch genutzt werden können, verkauft China an Wladimir Putins Russland.
China fordert Frieden in der Ukraine – und unterstützt Russland
„Wir sind Nachbarn“, sagt ein chinesischer Besucher, der mit seinem Sohn durch einen der Kontrollräume der „Kiew“ läuft. „Natürlich haben wir gute Beziehungen zueinander.“ Über den Ukraine-Krieg will er nicht reden, nur so viel: Es sei traurig, dass so viele Menschen sterben, das Kämpfen müsse ein Ende haben. Auch die chinesische Regierung fordert seit Jahren einen Waffenstillstand, schafft es aber bislang nicht einmal, den Krieg als solchen zu bezeichnen oder Russland als den Aggressor zu benennen. Schuld an der Eskalation in der Ukraine sind gemäß chinesischem Narrativ die USA und die Nato, nicht der russische Angreifer.

Weiter geht es durch dunkle, niedrige Gänge, immer weiter hinein ins Innere des Schiffs. Dutzende lebensgroße Schaufensterfiguren stehen in den Maschinenräumen und auf der Kommandobrücke der „Kiew“, gekleidet in Uniformen aus der Sowjet-Zeit. Neben Maschinen mit aufgemalten kyrillischen Buchstaben blinken Kontrollleuchten. In die Messe des Schiffs ist ein chinesischer Burger-Laden eingezogen, von der Wand eines der vielen Maschinenräume grüßen auf verblichenen Fotos die Sowjet-Führer Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew. Und vom Flugdeck aus sieht man in der Ferne das chinesische U-Boot, das Ausländer nicht betreten dürfen. Ein Stand verkauft Eis am Stiel und Kaltgetränke.
Glaubt man Beschreibungen im Internet, dann haben bis vor ein paar Jahren auch mehrere Ukrainer in diesem seltsamen Freizeitpark gearbeitet. Offenbar aber haben sie keine Lust mehr, sich für chinesische Touristen als Russen zu verkleiden, während die russische Armee daheim in der Ukraine täglich Menschen tötet.