Moskau erhöht den Druck im Ukraine-Krieg – Kiews Luftverteidigung lässt nach
Der Ukraine geht die Munition aus. Das macht vor allem die nachlassende Luftverteidigung deutlich – Russland scheint diesen Nachteil auszunutzen.
Kiew - Die ukrainische Luftverteidigung kann dem russischen Angriffskrieg immer weniger entgegensetzen: nur 46 Prozent der von Russland abgefeuerten Raketen konnten im letzten halben Jahr durch die Ukraine abgefangen werden. Zum Vergleich: im vorangegangenen Halbjahr waren es noch 72 Prozent, so eine Analyse des Wall Street Journals von Daten des ukrainischen Luftwaffenkommandos.
Ukraine geschwächt: Russland verstärkt Angriffe und Munition wird knapp
Dies ist nicht verwunderlich, da Russland unter Wladimir Putin seine Drohnen- und Raketenangriffe verstärkt hat. Zudem habe es auch die Feuerkraft erhöht und schwer zu treffende Waffen wie ballistische Raketen abgefeuert. Außerdem geht Kiew die Munition für die vom Westen gelieferten Patriot-Systeme aus, die bisher die beste Verteidigung gegen solche Angriffe darstellten.

Die Zahlen lassen sich schwer unabhängig prüfen, denn die Angriffs- und Abfangdaten waren für mehrere Tage unvollständig. Außerdem nutze die Ukraine solche Statistiken auch zu Propagandazwecken. Ein unabhängiger Verteidigungsexperte gab jedoch an, dass die gesammelten Daten ein realistisches Bild zeigen, heißt es weiter im Wall Street Journal.
Lage spitzt sich zu – Moskau fährt Großoffensive im Osten der Ukraine
Die Lage für die Ukraine spitz sich damit weiter zu. Aktuell fährt die russische Armee eine Großoffensive im Osten der Ukraine. Ihr Ziel: Charkiw. Am Sonntag (12. Mai) äußerte sich Präsident Wolodymyr Selenskyj. Die Lage sei „äußerst schwierig“, berichtet die Deutsche-Presse-Agentur (dpa).
Zugleich warnte Selenskyj die ukrainische Bevölkerung vor unnötiger Panik. „Russische Informationsoperationen sind immer die Nahrung für russische Bodenoperationen“, sagte er. „Der Besatzer ernährt sich von Lügen und der daraus resultierenden Angst.“ Deshalb rate er, „sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, nicht der Schlagzeile hinterherzulaufen, jede Meldung zu überprüfen und nach Informationen zu suchen, nicht nach Emotionen oder Gerüchten, und den ukrainischen Verteidigungskräften zu vertrauen“.
Die verstärkten Bombardierungen zerstören die Infrastruktur und die Städte, während sie die ohnehin spärlichen Raketenvorräte der Ukraine aufzehren, die das Land braucht, um die russische Luftwaffe vom Himmel fernzuhalten. Da scheinen auch die kürzlich genehmigten Hilfen des US-Kongresses zu spät zu kommen.
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„Tun alles, was wir können“ – US-Außenminister glaubt an Sieg der Ukraine in Charkiw
US-Außenminister Antony Blinken sagte am Sonntag in der CBS-Nachrichtensendung „Face the Nation“, die monatelange Verzögerung bei der Genehmigung der Ukraine-Hilfe durch den US-Kongress habe ihren Preis: Es könnte sein, dass die Waffenlieferungen die Ukraine zu spät erreichen, um weitere Verluste an der Front zu verhindern. „Wir tun alles, was wir können, um diese Hilfe schnellstmöglich bereitzustellen. Die Europäer tun dasselbe“, sagte Blinken.
Gleichzeitig gab sich Blinken in dem Interview überzeugt, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Stellungen bei Charkiw halten würden. Auch an anderen Fronten werde sich die Ukraine der russischen Aggression erfolgreich entgegenstellen. Zudem blieben die USA an der Seite der Ukraine, ebenso wie über 50 andere Staaten, die das Land unterstützten. „Das wird auch so bleiben, und wenn Putin denkt, dass er die Ukraine und ihre Unterstützer überdauern wird, dann irrt er sich.“
Dennoch sind sich Experten sicher: Die nächsten zwei Monate werden entscheidend dafür sein, ob die russische Luftwaffe in Schach gehalten werden kann, bevor neue westliche Luftverteidigungsmittel in der Ukraine eintreffen, so ein europäischer Militärgeheimdienstmitarbeiter. „Je weniger die ukrainische Verteidigung eine Bedrohung für die russische Luftwaffe darstellt, desto größer ist die Gefahr für die ukrainischen Streitkräfte am Boden und die kritische Infrastruktur“, so Douglas Barrie, Spezialist für militärische Luft- und Raumfahrt am International Institute for Strategic Studies.
Kaum noch Abwehrsysteme: Ukraine wartet auf US-Lieferungen
Den Daten zufolge habe Russland in den vergangenen sechs Monaten rund 45 Prozent mehr Drohnen und Raketen abgefeuert als im vorangegangenen Halbjahr, berichtet Wall Street Journal. Die Ukraine habe aber im letzten halben Jahr nur zehn Prozent der von Russland abgefeuerten ballistischen Raketen abschießen können. Laut den Zahlen hat die Ukraine in diesem Jahr noch keine der S-300- und S-400-Raketen abgefangen, die auf das Land abgefeuert wurden.

Das Patriot-System ist die einzige zuverlässige Möglichkeit der Ukraine, ballistische Raketen, S-300-Raketen und Hyperschallraketen abzuschießen. Kiew verfügt jedoch nur über wenige Patriot-Systeme und musste Raketen einsparen, nicht zuletzt, weil frische US-Lieferungen in Washington zurückgehalten wurden.
Herstellung dauert Zeit: Ausrüstung im Luftkrieg entscheidend
Jetzt, da diese Lieferungen freigegeben wurden, hat das US-Verteidigungsministerium erklärt, dass es mehr Patriot-Abfangraketen schicken würde. Einige der angekündigten Raketen werde man aus Lagebeständen zur Verfügung stellen. Weitere Raketen müsse man erst bestellen, was aufgrund der Herstellung Jahre in Anspruch nehmen könne.
Die Ukraine verfügt über eine Reihe anderer Raketenabwehrsysteme, darunter Nasams und Iris/T, die jedoch nicht so wirksam gegen ballistische oder Hyperschallraketen und Luftabwehrraketen sind und von der Verteidigung zum Angriff umfunktioniert werden. Entscheidend für den Luftkrieg wird nun sein, welche Seite die andere bei der Versorgung mit Raketen übertreffen kann. Die Ukraine ist von ihren westlichen Verbündeten abhängig, die Schwierigkeiten haben, schnell genug Raketen herzustellen.
Russland verfügt noch immer über eigene Bestände und ist nach Angaben eines ukrainischen Beamten in der Lage, jeden Monat 170 Raketen zu produzieren. Moskau hat auch von seinen Verbündeten, darunter Iran und Nordkorea, Lieferungen von Drohnen und Raketen erhalten. Bis auf Weiteres greift Russland die Ukraine mit Raketen und Drohnen von Standorten im Norden, Osten und Süden des Landes aus an (bg/dpa).