„Gesundheitsgefährdend“: Mediziner warnen vor Ess-Empfehlungen der Ernährungsgesellschaft
Weniger Fleisch, dafür Obst und Gemüse sowie Nüsse und Hülsenfrüchte – dazu rät die DGE in ihrer Ernährungsempfehlung. Daran gibt es jedoch auch Kritik.
Kassel – Vor Kurzem aktualisierte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) ihre Empfehlungen für eine ausgeglichene und gesunde Ernährungsweise. Dabei riet sie dazu, mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel zu sich zu nehmen. Das sei nicht nur besser für die eigene Gesundheit, sondern trage auch zu einer nachhaltigeren Lebensweise bei.
Ernährungsgesellschaft empfiehlt Obst, Gemüse und Nüsse : „Bunt und gesund essen“
„Bunt und gesund essen und dabei die Umwelt schonen, das sind die DGE-Empfehlungen“, heißt es auf der DGE-Website in Kurzform. Wer sich dabei vorwiegend von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten sowie pflanzlichen Ölen ernähre, schützt damit „nicht nur seine Gesundheit, sondern schont die Ressourcen der Erde“. Außerdem empfiehlt die DGE, Produkte aus Vollkorn Weizenprodukten vorzuziehen.
In Zahlen heißt das: Jeder Verbraucher sollte nur noch 300 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche essen (bislang lag die DGE-Empfehlung bei bis zu 600 Gramm). Aber täglich 25 Gramm Nüsse und 300 Gramm Getreideprodukte sowie mindestens 125 Gramm Hülsenfrüchte wie Erbsen oder Bohnen pro Woche. Und: nur ein Ei wöchentlich. Gerade die Empfehlung für Eier sorgte in der Osterzeit bereits für Diskussionen.
DGE rät zum Verzicht auf Fleisch und dazu, langsam und bewusst zu essen
Fleisch enthalte zwar Eisen, Selen und Zink – zu viel rotes Fleisch und vor allem Wurst erhöhen jedoch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs. Darüber hinaus belaste die Herstellung von Fleisch und Wurstwaren die Umwelt deutlich stärker als die von pflanzlichen Lebensmitteln, mahnt die DGE.
Vorsicht ist der Ernährungsgesellschaft zufolge aber auch bei Zucker, Salz und manchen Fetten geboten. Sie sind nämlich oftmals versteckt in verarbeiteten Lebensmitteln enthalten, darunter in Wurst, Gebäck, Süßwaren, Fast Food und Fertigprodukten. Wer jene Produkte häufig isst, nimmt ein gesteigertes Risiko für Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes vom Typ 2 in Kauf.

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Auch rät die DGE dazu, sich beim Essen Zeit zu lassen und Mahlzeiten bewusst zu genießen. Langsames und bewusstes Essen im Sinne von „Slow Food“ tue nämlich nicht nur gut, sondern fördere auch das Sättigungsgefühl.
Ernährungsmediziner kritisieren Ausrichtung der DGE-Empfehlungen und „gravierende Fehler“ in inhaltlichen Aussagen
An den Anfang März überarbeiteten Ernährungsempfehlungen der DGE gibt es jedoch auch reichlich Kritik. Etwa von der Deutschen Akademie für Präventivmedizin (DAPM). Mit ihren Ratschlägen entferne sich die DGE noch weiter als bisher schon vom tatsächlichen Konsum der Deutschen, kritisieren ihre Vertreter. 2022 betrug der durchschnittliche Fleischverzehr in Deutschland nämlich rund 52 kg pro Kopf und Jahr. Für 2023 gingen erste Prognosen zwar davon aus, dass er knapp unter 50 kg sinken könnte – aber dennoch wäre er immer noch mehr als dreimal so hoch wie die Menge Fleisch, zu der die DGE in ihrer Ernährungsempfehlung rät.
Was die DAPM aber vor allem kritisiert, ist, dass die Ratschläge der DGE über alle Bevölkerungsschichten hinaus als Standard gelten. Sowohl Kitas, Schulen, Unternehmenskantinen bis hin zu Seniorenheimen greifen in ihrer Ernährungsplanung auf die DGE-Empfehlungen zurück. Eine ausgewogene und gesunde Ernährung unterliege allerdings viel eher individuellen Faktoren und Bedürfnissen, warnt die DAPM.
Die DAPM sieht „gravierende Fehler“ sowohl im Ansatz der DGE-Empfehlungen, die sie sich an alle richten, als auch „in etlichen inhaltlichen Aussagen, die überholt und nicht evidenz-basiert“ seien und zusätzlich den Aspekt des Klimaschutzes teilweise über die gesundheitlichen Belange der Bevölkerung zu stellen scheinen. „Es kann keine einheitlichen Empfehlungen für die Ernährung aller Menschen in Deutschland geben, da sich deren gesundheitliche Ausgangslage unterscheidet“, erklärt DAPM-Vizepräsident Dr. Johannes Scholl dem Online-Landwirtschaftsmagazin Top Agrar Online.
Reichlich inhaltliche Kritik an den DGE-Empfehlungen – einige Aspekte „inhaltlich überholt“
In einer Bevölkerung mit einem stetig steigenden Anteil von Menschen mit Übergewicht und Adipositas, Prädiabetes und Diabetes, in der schlanke und sportliche Menschen mittlerweile eine Minderheit darstellen, solle man nicht auf Basis theoretischer Überlegungen entscheiden. Die neuen DGE-Empfehlungen könnten der DAPM zufolge größeren Teilen der Bevölkerung in Deutschland nicht nur nichts nutzen, sondern sogar schaden.
Konkret kritisiert die DAPM folgende Aspekte der neuen DGE-Ernährungsempfehlung:
- Die Einteilung von Lebensmitteln in solche „pflanzlichen Ursprungs“ und wiederum solche „tierischen Ursprungs“ sei wissenschaftlich betrachtet unsinnig, da es auf beiden Seiten sowohl bedenkliche als auch gesundheitsfördernde Lebensmittel gebe.
- Die Empfehlung „an alle“, täglich 300 Gramm Getreideprodukte verzehren, sei für viele Millionen Menschen in Deutschland nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar gesundheitsgefährdend. Etwa für Diabetiker.
- Milchprodukte im Vergleich zu früheren DGE-Empfehlungen um ein Drittel zu reduzieren, habe keine wissenschaftliche Grundlage. Milchprodukte hätten nach aktueller Evidenzlage positive Effekte auf die Gesundheit, da sie zu einer Minderung des Risikos für Herzinfarkt und Schlaganfall beitrügen.
- Der allgemeine Verzicht auf sogenannte tierische Lebensmittel könne bedenklich sein: Die ausreichende Versorgung relevanter Bevölkerungsteile (z. B. Kinder und Senioren) mit genügend und hochwertigem Eiweiß, essenziellen Aminosäuren und Fettsäuren sowie mit Spurenelementen und Vitaminen werde durch die DGE-Empfehlungen nicht gewährleistet.
- Die empfohlene Beschränkung des Verzehrs von Eiern sei seit Jahrzehnten überholt und wurde von führenden Fachgesellschaften weltweit längst aus den Empfehlungen gestrichen.
Ernährungsempfehlungen der DGE seien zu sehr klimapolitisch motiviert
Als Fazit halten die Präventivmediziner fest, dass die von der DGE ausgesprochenen Ernährungsempfehlungen bei Weitem „nicht für alle gesund“ seien, sondern allenfalls für einen kleineren Teil der Allgemeinbevölkerung. Sie entsprängen im Sinne der wissenschaftlich umstrittenen „Planetary Health Diet“ einer klimapolitischen Motivation. Der Ratschlag der Präventivmediziner für die DGE lautet deshalb, den Kontakt zu ärztlichen Fachgesellschaften zu suchen und die gesundheitspolitische Realität in Deutschland in ihre Überlegungen einzubeziehen. (fh)