„Keine Besserung in Sicht“ - Wegen „Investitionskatastrophe“ schrumpft deutsche Wirtschaft auf absehbare Zeit weiter

Schrumpfende Wirtschaft? „Überhaupt nicht überraschend“

Die deutsche Wirtschaft ist von April bis Juni geschrumpft, „überraschend“ kommentierten viele Medien, als das Statistische Bundesamt diese Woche seine Wachstumsschätzung von -0,1 Prozent für das erste Quartal 2024 bekanntgab. Wirtschaftsexperten wollen von Überraschung wenig wissen.

„Das ist überhaupt nicht überraschend“, sagt Oliver Zander, Geschäftsführer des Verbands der Metall- und Elektroindustrie, dem Handelsblatt. Er sieht eine „ganz schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland“. Rezession 2019, Corona-Pandemie 2020, Ukraine-Krieg seit 2022: Davon hätten sich die Unternehmen bislang nicht erholt.

„Längst spricht vieles dafür, dass sich Deutschland nicht nur in einem ungünstigen Konjunkturzyklus befindet“, meldet das Institut der Deutschen Wirtschaft. „Viele Ursachen sind strukturell, die Probleme dürften bleiben. Die deutsche Wirtschaft steckt in der Stagnation fest.“

Fünf Punkte zeigen, warum die Experten so denken, was sie jetzt erwarten und was sie von Bundesregierung und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordern:

1. „Investitionskatastrophe“, Unternehmen veralten

Unternehmen investierten immer mehr im Ausland, sagt Zander. In ihre deutschen Fabriken und Maschinen fließt weniger Geld: Sie veralten.

Die Firmen hierzulande wettstreiten also mit altem Gerät und teurer Energie gegen moderne Fabriken mit günstiger Energie im Ausland. Das könne kaum gelingen. „Wenn jetzt nicht zeitnah umgesteuert wird, werden wir eine noch stärkere Deindustrialisierung erleben.“

2. Umsteuern, aber ohne Schulden und stärker als bislang

Das Wachstumspaket der Bundesregierung hält Zander für richtig, aber zu kurz gegriffen. Es drehe an einzelnen Stellschrauben statt weitreichende Strukturreformen zu bringen.

Schuldenfinanzierte Investitionsprogramme lehnt Zander ab: Ein Sondervermögen von 400 Milliarden Euro für Investitionen, wie es der Bundesverband der Industrie fordert, nennt er „völlig absurd“. Damit gedeihe nur der Schuldenberg. „Wir haben doch heute schon Steuereinnahmen von fast einer Billion Euro – das muss doch reichen.“

3. „Gewitterfront“ für Unternehmen: Das muss die Ampel ändern

Zander fordert, statt Schulden zu machen, solle die Ampel Unternehmen entlasten und die wichtigsten Standortprobleme lösen:

  • Zu hohe Sozialversicherungsausgaben,
  • Fach- und Arbeitskräfte fehlen,
  • schlechte Infrastruktur,
  • schlechte Digitalisierung,
  • zu viel Bürokratie,
  • teure Energie,
  • hohe Unternehmenssteuern.

Wie die Ampel diese Probleme ohne Schulden lösen soll, sagte Zander nicht. Er verweist auf gestiegene Sozialausgaben, die die Regierung aber nicht ohne weiteres abbauen kann: Ein Großteil fließt in die Rente. Darauf haben die Menschen einen Anspruch. 100 Milliarden Euro jährlich, die viele Experten als Investitionsbedarf für Deutschland ermitteln, kann die Regierung hier kaum einsparen.

Experten nennen allerdings immer wieder Einsparmöglichkeiten, die sich auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr summieren. Hier stehen vor allem Fördermittel nach dem Gießkannenprinzip.

4. Der Gegenentwurf: Umsteuern, aber mit Schulden

Eine ähnliche Diagnose, aber mit gegensätzlicher Forderung stellen Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Bröckelnde Straßen, Schienen und Brücken, veraltete Gebäude, mangelhafte Bildungsinfrastruktur, fehlende Infrastruktur für Strom, Wasserstoff und Wärme: Deutschland steht vor teuren Aufgaben, urteilten sie jüngst in einer Studie zu Infrastruktur und Schuldenbremse. Um die Probleme zu beseitigen, solle die Bundesregierung über zehn Jahre insgesamt 600 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Am besten durch ein Sondervermögen.

Das lohne sich, meinen die Experten: Das höhere Wirtschaftswachstum bringe mehr Geld als die Schulden kosten.

5. Die Wirtschaftsflaute bleibt: „Keine Besserung in Sicht“

Wie die Bundesregierung die Probleme auch angeht, kurzfristig sehen Experten wenig Aussicht auf Besserung.

Kaum Aussicht auf einen Aufschwung im Herbst sieht Klaus Wohlrabe, Leiter der Konjunkturumfragen beim Ifo-Institut. „Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise fest“, schreibt er in einer Meldung. Die Industrie verzeichnet weniger Aufträge. Die Stimmung trübt sich ein. Der private Konsum erholt sich schleppend. „Für das dritte Quartal 2024 ist kaum Besserung zu erwarten“.

Auch der Welthandel hilft der exportabhängigen deutschen Wirtschaft wenig: „Die deutschen Exporte stagnieren seit Ende 2022“, meldet Thomas Obst vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Ursache seien Deglobalisierung und geopolitische Konflikte. „Es spricht nur wenig dafür, dass sich daran bald etwas ändert.“ Für die wirtschaftliche Entwicklung sei daher „keine Besserung in Sicht“.