Biest auf der Buckelpiste: F-16 in der Ukraine – Start an der Autobahnraststätte möglich

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F-16 eine „Primadonna“: Besondere Gefahr droht in der Ukraine - Putin könnte Schwäche nutzen

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Schrundiges Pflaster hasst sie, in ihr fließt Gift, und sie schluckt gern Krümel vom Beton: Die F-16 ist ein Traum in der Luft und ein Biest am Boden.

Kiew – „Was auf den ersten Blick nach einem ,öden‘ Thema klingt, ist bei genauerer Betrachtung eine Kunst für sich“, schreibt Steve Reutter. Der Autor der Bundeswehr spricht vom Aufbau von Start- und Landebahnen für Kampfjets. Im Ukraine-Krieg ist dieses Thema tatsächlich hochbrisant. Was sich bereits der US-amerikanische Abrams M1A1-Panzer in der Ukraine erworben hat, wird auch seinem Waffenbruder in der Luft angehaftet: Dem F-16-Kampfjet attestieren ehemalige Piloten, eine Diva zu sein. Das Magazin Politico hatte bereits im Februar dieses Jahres gewarnt.

Jetzt tickt der Countdown der Lieferung der F-16, und die Fragen werden immer drängender: Wo sollen die Vögel stehen, um vor Russlands Aufklärung unsichtbar zu bleiben, und, genauso wichtig: Kommen die Maschinen auf den löchrigen Pisten in der Ukraine überhaupt auf genug Schub, um abzuheben? Tom Richter ist höchst skeptisch. Die US-amerikanische F-16 sei im Vergleich zu den MiG und Suchoi-Jets der ehemaligen Sowjet-Armeen „ein empfindliches Biest“, wie er urteilt. Mit Richter zitiert Politico einen ehemaligen Marineflieger, der die F-16 für die Nationalgarde gesteuert hat. Er hält sein ehemaliges Arbeitsgerät wortwörtlich für eine „Primadonna“.

„Diese Sorgfalt werde auch darin bestehen, Teams mit Dichtungsmasse einzusetzen, um Risse und Spalten oder unebenen Beton auf Start- und Landebahnen möglichst nah an der Frontlinie abzudichten, um zu vermeiden, dass aus nur wenigen gut gepflegten Standorten ein offensichtliches Ziel wird.“

Schwierige Bedingungen für die F-16 – doch der Ukraine könnte sie die Wende bringen

Die Ausbildung der Piloten ist schon komplex, und die Bedingungen in der Ukraine sind wahrscheinlich andere als die, für die sie konstruiert worden ist – ähnlich dem Abrams. „Während F-16, F-15, Typhoons, Rafales und viele andere westliche Jets aufgrund von Trümmern auf der Landebahn einen tragischen Triebwerksausfall erleiden können, können die sowjetischen Jets aufgrund der Konstruktion der Triebwerke einfach auf einer unebenen Landebahn starten“, schreibt der Nutzer „Johannes Egnag“ im Diskussionsforum Quora.

Der Nutzer stellt sich vor als Luft- und Raumfahrtingenieur im Luftfahrtkonzern Bae Systems und attestiert Kampfjets grundsätzlich eine höhere Belastbarkeit als Verkehrs- oder Frachtmaschinen; das läge zum Teil an deren geringeren Größe und Gewicht und den Aufgaben, für die sie konstruiert seien Die schwedische Gripen beispielsweise hält er für hart im Nehmen, viele sowjetische Jets wie die MiG-29 oder die Su-25 ohnehin.

Autobahn-Notlandeplatz – an der nächsten Ausfahrt: Landen

Die Autobahn galt während des Kalten Krieges als „militärische Infrastruktur“; nicht nur für die Verlegung von Bodentruppen, gepanzerten Verbänden oder für die Logistik, sondern auch für die Luftwaffe.

Ein typischer Autobahn-Notlandeplatz bestand aus einem geraden Abschnitt der Autobahn von 1500 bis 3500 Metern Länge, der mindestens 23 Meter breit war, später sogar 30 Meter. Der Mittelstreifen war durchbetoniert, und die sogenannte Europa-Leitplanke zwischen den Richtungsfahrbahnen war nicht verschraubt, sondern mit einer Schnellbefestigung versehen, sodass sie in kürzester Zeit demontiert werden konnte. Die Haltepfosten waren nicht einbetoniert, sondern nur gesteckt. An den Enden der Piste gab es jeweils einen Parkplatz, der als Abstellfläche für sechs bis zehn Flugzeuge gedacht war. Diese Flächen hatten eine vom sonstigen Parkplatz-Standard abweichende Form und zusätzliche Rollwege zur Piste, die in Friedenszeiten wiederum mit Leitplanken verschlossen waren. Fast immer gab es Zuwege, sodass diese Bereiche auch von außerhalb der Piste über Verbindungsstraßen erreichbar waren.

Die Aktivierung hätte, von der Alarmierung bis zur Einsatzbereitschaft, 24 Stunden in Anspruch genommen. Hierzu hätte neben der Entfernung der Leitplanken die Aufstellung von Landebahnbeleuchtung, mobilem Tower, Radar- und Funktechnik, die Anbringung von provisorischen Landebahnmarkierungen, die Aufstellung von Nachschub für Kerosin und Munition, die Verlegung von insgesamt rund 40 Kilometern Kabel und vieles mehr gehört.

Quelle: Thomas Skiba / bundeswehr.de

Empfindlicher US-Vogel: Holprige Sowjet-Pisten schwieriges Terrain für die F-16

Der Nachteil des erhofften US-„Gamechangers“ liegt in dessen hohem Anspruch an die Bodenbeschaffenheit – diese Schwäche wird Wladimir Putin nutzen wollen. „Einige westliche Kampfflugzeuge, wie die weit verbreiteten F-16, kommen am besten auf langen, makellosen Landebahnen zurecht. Auf den holprigeren ehemaligen sowjetischen Pisten, die über die ganze Ukraine verstreut sind, könnten sie jedoch Schwierigkeiten haben“, schreiben John Hoehn und William Courtney.

Die Analysten des kalifornischen Thinktanks RAND sehen darin die aktuelle Herausforderung der Ukraine; genau wie der ehemalige F-16-Pilot Richter: „Wenn Sie bei einer Flugschau jemals eine MiG-29 in die Hand genommen haben und dann direkt hinübergegangen sind und eine F-16 in die Hand genommen haben, können Sie schon von außen spüren, wie hochentwickelt die F-16 ist – sehr empfindlich und wartungsintensiv“, sagt Richter gegenüber Politico.

Eine polnische F-16 fliegt über der Ostsee.
Traum über den Wolken, Biest am Boden – die US-„Wunderwaffe“ fliegt in Kürze in der Ukraine ein. 60 Stück soll die Ukraine gegen Wladimir Putin ins Feld führen. (Symbolbild). © IMAGO/Björn Trotzki

Gefahr durch Krümel am Boden der Ukraine: Die F-16 verschluckt gern Gegenstände

Er bestätigt: Die sowjetischen Flugzeuge sind „robuster“, könnten von minderwertigen Flugplätzen aus starten und benötigen weniger Wartung. Mindestens drei Kilometer sollte die Rollbahn für Start und Landung lang sein, sagt Ken Collins im öffentlichen Quora-Forum. „Ich bin auf einhalb Kilometern gelandet, aber das ist zu viel Verschleiß für Bremsen und Reifen. Noch einmal: Drei Kilometer sind am besten“, schreibt dort der ehemalige Kampfpilot der US-Luftwaffe. Yuriy Ihnat weiß das und arbeitet an Lösungen, wie er Politico berichtet hat – die Maschinen müssten tatsächlich Ukraine-tauglich gemacht werden. „Das betrifft die Vorbereitung der Start- und Landebahnen, da das Fahrwerk gegenüber den MiG empfindlicher ist, die Räder kleiner sind und die Lufteinlässe tief über der Start- und Landebahn liegen“, sagt der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe.

Die Maschinen liefen ständig Gefahr, „dass Gegenstände verschluckt werden“, wie er sich ausdrückt. Dafür werde die ukrainische Luftwaffe offenbar spezielle Teams bilden, um der F-16 ihre Komfortzone zu bereiten, wie Justin Bronk mutmaßt: Sorgfalt werde die Ukraine auch darauf verwenden müssen, Teams mit Dichtungsmasse einzusetzen, um Risse und Spalten oder unebenen Beton auf Start- und Landebahnen möglichst nah an der Frontlinie abzudichten und zu vermeiden, dass aus nur wenigen gut gepflegten Standorten ein offensichtliches Ziel werde, wie der Analyst des Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI) erklärt.

US-Berater stellt klar: Die F-16 gegen Putin werden in der Ukraine stationiert

Das Magazin The Aviationist spekuliert mit dem Einsatz der F-16 von aufgemotzten Autobahnen aus. Die ukrainische Luftwaffe führe ihre Operationen schon länger von Autobahnraststätten und improvisierten Flugplätzen aus durch, schreibt Autor David Cenciotti. „Dies ist Teil ihrer Strategie zur Steigerung der operativen Flexibilität und Widerstandsfähigkeit“.

Heikel wird allemal die Frage, wo die West-Flieger geparkt würden: „Geplant ist, die F-16 in der Ukraine zu stationieren“, sagte jüngst Jake Sullivan dem Sender PBS. „Das bilaterale Sicherheitsabkommen, das der Präsident und Präsident Selenskyj unterzeichnet haben, untermauert diesen Punkt: Wir wollen der Ukraine helfen, diese Fähigkeit zu erlangen. Es sollte eine Fähigkeit sein, die in der Ukraine angesiedelt ist“, äußerte der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten Joe Biden. Der Einsatz von den Nato-Partnern Polen und Rumänien aus scheint damit vom Tisch zu sein. Während also die künftigen Piloten den Umgang mit dem Kampfjet lernen, müssen parallel die Boden-Crews den Vögeln ihren Horst bereiten, wie Politico weiter schreibt.

Trotz Gift in den Adern: F-16 gilt als Phönix der ukrainischen Luftwaffe

Das beinhaltet die scheinbar banalen Notwendigkeiten sicherzustellen, dass von Werkzeugsätzen bis hin zu Ersatzteilen und Ständern für die Parkpositionen oder die Bewaffnung der 60 überlassenen Maschinen alles vorhanden sein. Und dass die Crews das Biest zähmen können: Vor fast zehn Jahren hat der Nordbayerische Kurier eine Katastrophe beschrieben, die die ukrainischen Bedienungsmannschaften das Leben kosten könnte: „F-16-Absturz: Die Retter sollen zum Arzt“, hatte das Blatt getitelt – ein F-16-Kampfjet war am 11. August 2015 nahe Engelmannsreuth abgestürzt. Die Rettungskräfte, die Ammoniak gerochen hatten, mussten sich untersuchen lassen.

Hydrazin war ausgetreten, ein Giftstoff, der das Notstrom-Aggregat der F-16 befeuert. Leberschäden und Nierenfunktionsstörungen sollen davon auftreten können – auch den Umgang mit dieser Komponente des Jets müssen die Mannschaften lernen; ohne Vollschutz und Atemschutz sei die Diva nach den damaligen Erkenntnissen auch für die eigenen Leute brandgefährlich. Immerhin scheint die Ukraine die F-16 als Maschine zu vergöttern, wie den Phönix, der aus der Asche emporsteigt. „Anfangs, als wir das System zum ersten Mal kennenlernten, schien es uns unverständlich und unrealistisch, es in die ukrainische Realität zu integrieren“, äußerte „Ihor“ gegenüber Politico.

„Ihor“ ist einer der ukrainischen Techniker, der sich parallel zu den Piloten mühevoll in das Prinzip F-16 hineinarbeitet. „Jetzt verstehe ich, dass es die Arbeit sehr vereinfacht, Zeit spart und es wert ist, dass wir weitermachen. Wenn wir uns als Land, als Luftwaffe entwickeln wollen.“

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