Fußballtrainer wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht − Blick hinter die Kulissen der Kripo

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Ein Ostallgäuer Fußballtrainer muss sich vor Gericht verantworten. Er soll gemeinsam mit einer Frau aus Thüringen deren Tochter missbraucht haben. © Symbolbild Maryna Pleshkun/Panthermedia

Seit rund einem dreiviertel Jahr sitzt ein Ostallgäuer Fußballtrainer in Untersuchungshaft, weil er im Verdacht steht, zu schwerem sexuellen Kindesmissbrauch angestiftet zu haben. Nun steht er vor Gericht.

Allgäu - Das Landgericht Gera, wo der Fall verhandelt wird, hat neun Verhandlungstage zwischen dem 1. März und 14. Mai angesetzt. Der Tatvorwurf: schwerer sexueller Missbrauch von Kindern. Tatort: Bayern und Thüringen. Tatzeit: 2018 bis 2023.

In der Anklageschrift ist zu lesen, dass eine zu Beginn des Tatzeitraums 29-jährige Frau sowie ein zu Beginn des Tatzeitraums 43-jähriger Mann an der zu Beginn achtjährigen Tochter der Angeklagten sexuelle Handlungen durchgeführt haben sollen. Die Angeklagten sollen dabei auch Bild- und Videodateien von dem Mädchen hergestellt haben.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten, bei dem es sich um den Ostallgäuer Fußballtrainer handelt, unter anderem sexuellen Missbrauch von Kindern in 52 Fällen, davon in mindestens einem Fall schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in mindestens vier Fällen zur Last. Bis zu einer Verurteilung der Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Kripo-Beamtinnen erzählen

Unsere Zeitung hat aus diesem Anlass einmal bei der Kriminalpolizei nachgefragt, wie in Fällen von sexuellem Missbrauch ermittelt wird. Wie verarbeiten die Beamten selbst ihren belastenden Job und was raten sie den Opfern? Beim Blick hinter die Kulissen erzählen eine Ermittlerin und eine Opferschutzbeauftragte der Polizei.

Manche Fälle gehen trotz aller Professionalität und Berufserfahrung auch einer gestandenen Kriminalhauptkommissarin wie Carmen Bauer nah. Sie erinnert sich an zwei Mädchen im Jugendalter, die seit Jahren von ihrem Stiefvater schwerst missbraucht wurden. Der älteren Schwester, berichtet Bauer, gelang es eines Tages zu fliehen und mithilfe eines Onkels die Polizei zu informieren. Bei der getrennten Vernehmung der Opfer sei schnell klar geworden: Die Mädchen erzählen die Wahrheit. Zu sehr glichen sich ihre Erzählungen, mitsamt aller schrecklichen Details.

Drei Verhandlungstage seien in diesem Fall angesetzt worden, erzählt die Hauptkommissarin. Am ersten habe sie als Sachbearbeiterin ausgesagt. Am zweiten war sie wieder anwesend: denn die beiden Mädchen hatten den Wunsch geäußert, dass Carmen Bauer dabei sein soll. „Sie haben eine weibliche Person gebraucht, die sie kennen. Als seelische Unterstützung“, sagt die Beamtin. Für sie ist dieser Fall – so schlimm er war – ein Erfolg: Der Täter wurde zu 9,6 Jahren verurteilt.

Täter zur Rechenschaft ziehen

Insgesamt, erzählt die Ermittlerin, habe sie in den 14 Jahren ihrer Berufslaufbahn etwa 20 Sexualtstraftäter hinter Gitter gebracht. Und das ist es auch, was sie antreibt: „Meine Motivation ist es, eine Tat aufzuklären, dem Opfer zu helfen und dafür zu sorgen, dass der Täter zur Rechenschaft gezogen wird.“ Bei der Kriminalpolizei in Kempten ist sie gemeinsam mit zwei Kolleginnen hauptsächlich mit den Sexualdelikten beschäftigt. Aber auch die männlichen Kollegen ermitteln in diesem Bereich. Immerhin, so schätzt Carmen Bauer, machen die Delikte, bei denen sexuelle Gewalt eine Rolle spielt, fast die Hälfte aller Kriminalfälle aus.

Überfallartige Angriffe durch Unbekannte seien dabei äußerst selten. Der allergrößte Teil des Missbrauchs finde im sozialen Umfeld statt. „Und die Dunkelziffer ist riesig“, sagt Bauer. Erschreckende Zahl am Rande: Etwa 20 bis 25 Prozent der Missbraucher seien weiblich. Wie perfide die Täter vorgehen, beschreibt sie anhand eines Beispiels: Ein elfjähriges Mädchen sei von seinen Eltern zu einem guten Bekannten der Familie geschickt worden, um dort Nachhilfeunterricht zu bekommen.

Täter bauen zuerst Vertrauen auf

Die Annäherungsversuche des Mannes bezeichnet die Hauptkommissarin als „klassische Variante“. Vertrauensaufbau, auf den Schoß sitzen, um angeblich den Lernstoff besser zeigen zu können, schließlich schwerste Übergriffe. Der Tatnachweis sei in diesem Fall immerhin einfach gewesen, erinnert sich Carmen Bauer. Der Täter habe Videoaufzeichnungen gemacht, von denen das Mädchen der Polizei berichtete.

Dass das Opfer erst einmal durch den Aufbau von Vertrauen gefügig gemacht wird, sei typisch, bestätigt Kriminal­oberkommissarin Petra Tebel. Sie ist beim Polizeipräsidium Schwaben Süd/West eine der beiden Beauftragten für Kriminalitätsopfer. Ihre Aufgabe ist es, die Betroffenen zu beraten und dafür zu sorgen, dass sie die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Sie arbeitet mit den Ermittlern Hand in Hand – denn die hätten schlicht und einfach nicht die Kapazität, bis zu fünfstündige Beratungsgespräche mit den Geschädigten zu führen und ihnen die Zeit zu geben, die sie brauchen.

Legalitätsprinzip: Polizei muss ermitteln

Ist die Tat vollzogen, greifen die Täter laut Petra Tebel häufig zu Drohungen. „Ich bringe dein Haustier um“ oder „Ich erzähle allen, dass du mich dazu verleitet hast“ – damit lassen sich die Geschädigten zum Schweigen bringen. Meldet sich jemand, um einen Missbrauch anzuzeigen, wird er zuallererst auf eines hingewiesen: „Es gibt das Legalitätsprinzip“, sagt Petra Tebel. Das heißt, die Polizei muss ermitteln, wenn es einen Verdacht gibt – ein Zurück gibt es dann nicht mehr.

Im Zweifel rät sie Betroffenen dazu, sich erst einmal Hilfe bei Organisationen zu suchen, die ein Schweigerecht haben. Für die Geschädigten sei es schwierig, einen zweifachen Kontrollverlust zu verkraften, weiß die Beamtin. Erst der Übergriff, dann die Einleitung von Ermittlungen, obwohl das Opfer vielleicht aus Scham oder Angst doch lieber nichts sagen möchte. Als Polizistin befürworte sie natürlich, dass Übergriffe zur Anzeige gebracht werden – „der Täter wird sonst eher dazu animiert, das wieder zu machen“ – aber es sei klar, dass die betroffene Person „schon dazu bereit sein muss“.

Spuren sichern

Manchmal ist das erst Jahre oder Jahrzehnte nach dem Missbrauch der Fall. Dann wird es schwierig, Beweise zu sammeln. Deshalb rät Petra Trebel, auch dann Spuren zu sichern, wenn das Opfer die Tat erst einmal nicht anzeigen will. Also Tagebuch schreiben, Verletzungen fotografieren, eventuell Kleidungsstücke mit DNA-Spuren in einer Papiertüte aufbewahren.

Bisweilen wird das Erlebte trotz der Bemühung um Abgrenzung auch den Kriminalbeamten zu viel. Dann springt der psychosoziale Dienst ein. In Einzelgesprächen, Workshops oder durch Supervision wird den Ermittlern geholfen, die Belastungen ihres Jobs zu verarbeiten. Carmen Bauer hat darüber hinaus noch eine ganz persönliche Strategie: Ihr Partner, erzählt sie, sei auch bei der Kriminalpolizei. Nach besonders schwierigen Fällen könne sie mit ihm darüber sprechen – und dann auch abschließen.

Übrigens: Im Darknet ermitteln die Beamten der Kriminalpolizei nicht. Dafür gibt es Spezialisten einer Cyber-Crime-Ermittlungsgruppe.

Info: Was tun?

Es gibt verschiedene Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt, z. B. den Weissen Ring (Opfertelefon 116006), das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (0800-2255530), das Hilfeportal sexueller Missbrauch www.hilfe-portal-missbrauch.de, oder den Frauennotruf Kempten (0831-12100).

Ein großes Problem sind kinderpornographische Inhalte, die etwa über soziale Medien verbreitet werden. Taucht ein solches Bild oder Video etwa in einer WhatsApp-Gruppe auf, rät die Polizei, strafbare Inhalte nicht einfach zu löschen, sondern umgehend bei der Polizei zu melden. Denn nur so kann die Polizei Ermittlungen aufnehmen und die weitere Verbreitung des Materials stoppen. Die Inhalte dürfen nicht weitergeleitet werden – auch nicht an Lehrer oder den anderen Elternteil.

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