Gegen Putin: Abgeordneter fordert EU-Erlaubnis zum Waffenkauf
Angesichts des Ukraine-Kriegs sollte die EU direkt Waffen zur Verteidigung ihrer Bevölkerung kaufen dürfen, meint der EU-Abgeordnete Michael Gahler.
Brüssel – Zur Abschreckung vor Russlands Präsidenten Wladimir Putin will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie setzen. Das fordert der EU-Abgeordnete Michael Gahler bereits seit längerer Zeit. Der CDU-Politiker ist der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament und Ständiger Berichterstatter des Europäischen Parlaments zur Ukraine. Im Interview mit IPPEN.MEDIA nennt Gahler erfolgreiche Rüstungsprojekte in Europa und sagt, in welchen Bereichen er die größten Hindernisse sieht.
Herr Gahler, frustriert es Sie, dass die Öffentlichkeit drei Jahren nach Beginn des Ukraine-Krieges in großen Teilen immer noch darüber diskutiert, ob der europäische Rüstungsmarkt gestärkt werden muss?
Ich verstehe das Unverständnis vieler Wählerinnen und Wähler in Europa. Auch wir als EU-Parlamentarier kritisieren diesen Missstand. Seit dem Vertrag von Lissabon 2009 gibt es rechtliche Strukturen für einen europäischen Rüstungsmarkt, aber das Potenzial wurde nie ausgeschöpft. Ich war mir lange sicher, dass die EU-Mitgliedstaaten dieses Potenzial nicht nutzen würden – außer es ändern sich drei wesentliche Faktoren. Erstens: Die EU-Mitgliedsstaaten haben alleine zu wenig Geld, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Zweitens: Die Amerikaner sagen endgültig, dass wir uns um unsere eigene Verteidigung selbst kümmern müssen. Und drittens: Es gibt eine außerordentliche Bedrohungslage, welche die Sicherheitsarchitektur in Europa gefährdet. Mittlerweile sind alle drei Punkte eingetreten. Dass trotz dieser Lage in den meisten Hauptstädten Europas Verteidigung immer noch hauptsächlich aus der nationalen, industriepolitischen Brille betrachtet wird, kann nur verwundern.
Ihre EVP-Fraktion plädiert im EU-Parlament für einen stärkeren Aufbau eines europäischen Rüstungsmarktes. Gibt es in dieser Frage einen ausreichenden Konsens in Europa?
Da die rechtliche Grundlage für den Binnenmarkt für Verteidigungsgüter bereits seit 2011 besteht, ist zumindest ein Konsens vorhanden, auf dem man aufbauen kann. Es erscheint nur konsequent, dass sich unsere europäischen Streitkräfte, die eigentlich seit Ende des Kalten Krieges nur gemeinsam operieren, auf eine leistungsfähige industrielle Basis in einem gemeinsamen Markt stützen können. Ein einheitlicher europäischer Rüstungsmarkt, der auf gemeinsamen Standards basiert, wird einerseits die Fähigkeit unserer Streitkräfte zum effektiven Zusammenwirken maßgeblich steigern, andererseits aber auch die Wirksamkeit europäischer Steuergeld.
EU-Abgeordneter Gahler: Europa muss sein Potenzial erkennen – auch mit Blick auf die Ukraine
Denken Sie, dass nun konsequentere Taten folgen werden?
Ich bin zuversichtlich, dass die Mitgliedstaaten dieses Potenzial zunehmend erkennen werden und wir das Erreichte auf der europäischen Ebene weiter ausbauen können. Dies muss natürlich mit einer erheblichen Steigerung der Verteidigungsinvestitionen auf nationaler und europäischer Ebene einhergehen, die oberhalb von drei Prozent liegen müssen.
Meine News

Andere Politiker meinen, dass Europa mehr militärische Rüstungsgüter aus den USA importieren sollte. Damit könne die EU das Handelsdefizit im Güterhandel verringern und Trump mit einem Deal entgegenkommen. Warum sprechen Sie sich gegen diese Alternative aus?
Ein derartiger Deal wäre keiner zwischen gleichberechtigten Partnern, da die USA keinen Zugang zur Technologie in ihren Produkten zulassen und man damit eine „black box“ kauft. Das würde nicht nur weitere Abhängigkeit bedeuten, sondern auch das große Innovationspotenzial der europäischen Industrie allmählich verfallen zu lassen. Wenngleich sich das Füllen akuter Lücken durch US-Produkte – wie im Falle der F-35-Kampfjets in Ermangelung europäischer Alternativen – nicht immer vermeiden lässt, so muss es das Ziel sein, dass wir als Europa unabhängiger werden. Das ist auch ein erklärtes Ziel der Europäischen Verteidigungsindustriestrategie aus dem letzten Jahr. Entscheidend dafür ist, dass wir die europäische Verteidigungskooperation breit und zielgerichtet aufstellen. Darauf aufbauend kann man durchaus auch über „Deals“ im Sinne von Verteidigungsindustriekooperation mit den USA nachdenken, wenn denn die USA die Bedingungen für eine Partnerschaft auf Augenhöhe schaffen.
EU-Sicherheitsexperte nennt erfolgreiche Rüstungsprojekte in Europa
Wie hoch sind die aktuellen Produktionskapazitäten in Europa? Und wie viel mehr müssen Unternehmen herstellen?
Ein gutes Beispiel ist die 155mm-Artilleriemunition, welche die Ukraine im vergangenen Jahr dringend benötigte und kaum besaß. Zwar produzierte schon 2023 Europa jährlich rund eine Million Granaten, aber wir konnten sie nicht im ausreichenden Maße an die Ukraine schicken, weil ein Großteil der Munition vertraglich an andere Partner gebunden war. Nun haben wir die Produktionskapazitäten mit dem „Act in Support of Ammunition Production“ erweitert, die Ende dieses Jahres auf zwei Millionen anwachsen sollen. Das Resultat stellt mich zwar mit Blick auf die russische Produktion von über zwei Millionen plus Zukäufen aus Nordkorea und Iran noch nicht zufrieden, aber es ist ein richtiger Schritt.

Gibt es weitere gute Beispiele?
Ja, beispielsweise das EDIRPA-Programm. Mit diesem gemeinsamen Beschaffungsverfahren schuf die EU-Kommission Anreize für die Mitgliedsstaaten, dringend benötigte Verteidigungsgüter gemeinsam zu beschaffen. Für das Programm investierte die EU 300 Millionen, womit Beschaffungsvorhaben mit einem Gesamtvolumen von elf Milliarden Euro auf den Weg gebracht werden konnten. Dort bezahlt die Union die Mehrkosten der Kooperation bei der gemeinsamen Beschaffung. Zukünftig sollten wir den Beitrag aus dem EU-Haushalt für solche Vorhaben noch weiter ausbauen.
Gahler: EU sollte Waffen zur Verteidigung gegen Putin kaufen dürfen
Finden Sie es zeitgemäß, dass die EU nicht direkt Waffen zur Verteidigung seiner Bevölkerung kaufen darf – angesichts der Bedrohungslage?
Ich halte das absolut nicht für zeitgemäß, und es würde sich nur um eine kleine Vertragsänderung handeln.
Warum werden die Verträge nicht geändert?
Weil der politische Wille fehlt. Unter dem Eindruck dieses schrecklichen und verbrecherischen Krieges Russlands gegen die Ukraine müssten wir uns auf unseren Hosenboden setzen und wirklich alles für unsere Sicherheit tun. Aber: Solange Ideen abstrakt sind, sind viele dafür. In dem Augenblick, in dem Projekte konkret werden, kommen immer wieder die gleichen Reflexe. Dann wollen die meisten Mitgliedsstaaten das Beste für sich herausholen. Das ist mir zu kurzfristig gedacht. Bei der Sicherheit geht es nicht um einzelne Staaten, sondern um ganz Europa. Denn letztlich ist kein Mitgliedstaat in der Lage oder gar willens, eine vollumfängliche und effektive Verteidigung alleine zu finanzieren. Über die vergangenen sieben Jahrzehnte sollten wir gelernt haben, dass wir gemeinsam und geeint mehr erreichen können. Das ist die einzigartige Stärke Europas, die wir auch für unsere Verteidigung nutzen müssen.