Alles hängt an den Grünen - Schulden-Showdown im Bundestag: Was für Merz und das Land heute auf dem Spiel steht

Mitten in den Koalitionsgesprächen kommen am Donnerstag die Bundestagsabgeordneten der vorherigen Wahlperiode noch einmal zusammen. Hinter diesem seltenen Ereignis steckt ein echtes politisches Drama. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Sondersitzung, in der über eine Schuldenbremsen-Ausnahme und ein Infrastruktur-Sondervermögen diskutiert wird.

Warum braucht es die Sondersitzung?

Die Staatsfinanzen sind schon länger ein großes Streitthema. Auch weil die Ampel-Koalition in der vergangenen Legislaturperiode nach einem Verfassungsgerichtsurteil vor einem Haushaltsloch stand, zerbrach das Bündnis. Über den Umgang mit der Finanzierungslücke wurde auch im Wahlkampf gestritten. Die Fronten waren klar: SPD und Grüne hatten sich für Reformen ausgesprochen, die mehr Schulden ermöglichen. CDU, CSU und FDP waren strikt dagegen.

Einem Bericht des „Stern“ zufolge war Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz aber schon damals klar, dass er erheblich in seinem Handlungsspielraum als Regierungschef eingeschränkt werden könnte. In den Sondierungsgesprächen mit der SPD haben die Koalitionäre in spe dann beschlossen, mit zwei Grundgesetzänderungen die Aufnahme von Schulden zu erleichtern.

Dafür ist aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig. In der Zusammensetzung des Parlaments nach der Wahl wäre Merz dafür auf die Stimmen der Union, SPD und Grünen plus entweder AfD oder Linken angewiesen. Die CDU hat aber mit diesen beiden Parteien eine Zusammenarbeit ausgeschlossen.

Einfacher ist die Zwei-Drittel-Mehrheit mit dem „alten“ Bundestag zu erreichen. Solange der „neue“ nicht konstituiert wurde, kann der noch zusammentreten. Dort reicht eine Zusammenarbeit von Union, SPD und Grünen aus, um das Grundgesetz zu ändern.

Ist das Vorgehen rechtlich unbedenklich? 

AfD und Linke hatten rechtliche Bedenken an dem Vorgehen angemeldet. Der zentrale Kritikpunkt war, dass eine Entscheidung im „alten“ Bundestag die Rechte der Abgeordneten im „neuen“ Bundestag beschneiden würde. Abgeordnete beider Fraktionen hatten sich daher ans Bundesverfassungsgericht gewendet.

Viele Juristen halten das Vorgehen aber für unproblematisch. Mit anderen Fällen ist es zudem nicht ganz vergleichbar. Eigentlich war erwartet worden, dass bereits eine Vorentscheidung am Mittwoch fällt, doch bislang haben sich die Richter in Karlsruhe nicht geäußert.

Was planen Union und SPD?

Union und SPD haben in ihrem Sondierungspapier festgehalten, wie die neue Schuldenpolitik aussehen soll:

  • Alle Verteidigungsausgaben, die über einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, dürfen an der Schuldenbremse vorbei finanziert werden.
  • Für Infrastruktur-Projekte soll ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro geschaffen werden – auch das sind Schulden, aber abseits des regulären Haushalts. 100 Milliarden Euro davon sollen den Bundesländern und Kommunen zur Verfügung gestellt werden.
  • Anders als bislang sollen die Bundesländer künftig 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Schulden aufnehmen dürfen.

Vor allem in der Union haben diese Pläne zu Kritik geführt. Viele hätten die Latte für die Schuldenbremsen-Ausnahme bei der Verteidigung höher gelegt. Zudem halten sie das Infrastruktur-Sondervermögen für einen Verhandlungserfolg der SPD, mit dem indirekt womöglich auch Konsumausgaben wie Sozialleistungen finanziert werden könnten.

Wie stehen Grüne und FDP zu den Plänen?

Die Grünen, auf deren Zustimmung die schwarz-roten Koalitionäre in spe angewiesen sind, sperren sich gegen die Pläne. Zum einen weisen sie darauf hin, dass die Union sich zu wenig um ihre Zustimmung bemüht hat. Insbesondere die scharfen Wahlkampf-Attacken von CSU-Chef Markus Söder auf die Grünen wirken noch nach. Zum anderen haben die Grünen aber auch inhaltliche Kritikpunkte:

  • Der Klimaschutz spielt nach Ansicht der Partei bislang keine relevante Rolle in den Gesetzesentwürfen. Gerade bei Infrastruktur-Projekten geht es aber auch um Anpassungen an den Klimawandel.
  • Zudem finden die Grünen das Infrastruktur-Sondervermögen grundsätzlich falsch, weil es zeitlich begrenzt ist. Für die notwendigen Ausgaben sollte eher eine Ausnahme von der Schuldenbremse geschaffen werden.
  • Die Grünen wollen die Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigung erweitern. Auch verwandte Themen wie der Zivilschutz und die Nachrichtendienste sollen auf diese Weise besser finanziert werden.

Am Montag haben die Grünen ihre Absage an das schwarz-rote Paket erklärt. Viele werten das als Manöver, um die eigene – eigentlich schon gute – Verhandlungsposition noch weiter zu verbessern. So ist auch zu erklären, dass die Grünen-Spitzen sich am selben Tag zu Gesprächen mit Union und SPD getroffen haben. Bislang gibt es keine Einigung. Die Grünen haben einen eigenen Gesetzentwurf für die Beratungen am Mittwoch eingebracht.

Alternativ hätten Union und SPD im „alten“ Bundestag auch mit der FDP eine knappe Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Liberalen – eigentlich schon aus dem Parlament geflogen – haben aber weiter grundsätzliche Probleme mit neuen Schulden. Sie haben ebenfalls einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht:

  • Die FDP will das bereits bestehende Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro um 200 Milliarden Euro erweitern.
  • An dieses Geld soll die Regierung aber nur rankommen, wenn sie es schafft, aus dem regulären Haushalt Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu finanzieren.
  • Ein Infrastruktur-Sondervermögen lehnt die FDP komplett ab.

Auch mit der FDP haben die Koalitionäre in spe Gespräche geführt. Eine Einigung liegt allerdings in weiter Ferne.

Was bedeutet die Abstimmung für eine mögliche schwarz-rote Koalition?

Viele Wünsche von CDU, CSU und SPD können nur erfüllt werden, wenn Geld dafür vorhanden ist: zum Beispiel die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, die Mütterrente oder die sinkenden Strompreise. Scheitern die schwarz-roten Pläne, müssten die Verhandler wieder bei Null beginnen. Ob das gelingen kann, ist allerdings fraglich.

Wie es im Falle eines Scheiterns weitergehen würde, ist völlig offen. Realistische Koalitionsalternativen mit eigener Mehrheit im Bundestag gibt es nicht. Eine Minderheitsregierung wäre dann eine Option. 

Sie könnte entweder von Friedrich Merz geführt werden. Er hat das aber bislang ausgeschlossen, weil er dann wahrscheinlich auch auf Stimmen der AfD angewiesen wäre. Auch eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung zum Beispiel unter dem bisherigen Verteidigungsminister Boris Pistorius geistert als Szenario durch Berlin. Eine andere Option wären Neuwahlen. So oder so: Die Stabilität des politischen Systems würde ins Wanken geraten.

Wie wahrscheinlich die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wird, hängt entscheidend an einer Einigung mit den Grünen. Aber auch danach gibt es Unwägbarkeiten: Denn wie erwähnt gibt es in der Union Unzufriedenheit über den Schulden-Deal. Womöglich verweigern einzelne Abgeordnete aus der Fraktion der Gesetzesänderung ihre Stimme. 

Auch bei SPD und Grünen könnten Stimmen wegfallen. In beiden Fraktionen gibt es zahlreiche Abgeordnete, die dem neuen Bundestag nicht mehr angehören werden und entsprechend keine Konsequenzen zu befürchten haben, wenn sie gegen die Fraktionslinie stimmen. Es dürfte einige Politikerinnen und Politiker geben, die sich womöglich an CDU und CSU für deren Wahlkampf-Attacken rächen wollen.

Wie geht es weiter?

Ein Scheitern der Schulden-Pläne bereits am Donnerstag ist unwahrscheinlich. Denn zunächst wird im Bundestag nur die erste Lesung abgehalten. Dann muss das Thema in die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Dafür reicht eine einfache Mehrheit – die haben Union und SPD allein.

Am kommenden Dienstag soll dann die zweite und dritte Lesung stattfinden. In der Schlussabstimmung kommt es darauf an: Steht die Zwei-Drittel-Mehrheit? Tut sie das, muss sich der Bundesrat mit den Gesetzesänderungen befassen. Am 21. März wird dann dort final über das Schulden-Paket abgestimmt.

Auch in der Länderkammer sind Union und SPD auf andere Parteien angewiesen. Die Grünen regieren in zahlreichen Ländern mit mindestens einem der künftigen Koalitionsparteien. Einigen sich die Landesregierungen nicht auf ein gemeinsames Abstimmungsverhalten, müssen sie sich der Stimme enthalten. Das könnte ausgerechnet auch CSU-Chef Markus Söder in Bayern passieren. Die Freien Wähler, mit denen er dort regiert, zieren sich bislang noch.

Wie stehen die Bürger zu dem Thema?

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen findet die schwarz-roten Pläne grundsätzlich richtig. 71 Prozent sprechen sich in einer Forsa-Umfrage für die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben durch eine Änderung der Schuldenbremse aus. Bei Anhängern von Union, SPD und Grünen liegt der Anteil sogar bei jeweils rund 90 Prozent. Keine Mehrheit hat das Vorhaben unter Anhängern von Linken (49 Prozent), BSW (43) und AfD (33).

Ein ähnliches Muster ergibt sich bei der Frage nach dem Infrastruktur-Sondervermögen. Insgesamt halten das 76 Prozent für richtig. Allerdings ist hier auch die Zustimmung bei Linken-Anhängern mit 75 Prozent und BSW-Anhängern mit 57 Prozent deutlich höher. Nur die AfD-Anhänger lehnen es mehrheitlich ab.

Die Umfrage zeigt auch, wofür die Infrastruktur-Milliarden ausgegeben werden sollen. Den größten Investitionsbedarf sehen die Befragten bei Schulen, Brücken, Wohnungsbau und Schienennetze. Eher wenig drängend werden demnach Investitionen in Strom- und Telekommunikationsnetze gesehen.