Wegen fatalem Bundestagsbeschluss droht Deutschland Füchtlingswelle wie 2015

Droht uns die nächste Flüchtlingswelle?

Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung sah ursprünglich vor, dass sich Deutschland stärker humanitär engagiert, um Fluchtursachen vorzubeugen. Erklärtes Ziel sei, die Zahl Flüchtender zu senken. Doch dann wurden für das laufende Jahr die vorgesehenen Mittel von 2,3 Milliarden Euro auf 1,05 Milliarden Euro halbiert. Dieser Betrag wird nach dem Beschluss des Haushaltskabinetts der vergangenen Woche auch im nächsten Jahr für alle internationalen Projekte ausreichen müssen, während die Ukraine-Hilfe um 3,5 Milliarden Euro auf rund 11 Milliarden aufgestockt wird.

Hier wurden Prioritäten gesetzt, die den seit zwei Jahren verübten Genozid im Sudan ausblenden. Auf der IPC-Skala, mit der die Vereinten Nationen die Ernährungssicherheit einstufen, steht der Sudan auf der untersten Stufe. Mindestens 375.000 Menschen sind direkt von einer humanitären Katastrophe betroffen und 21 Millionen Menschen von Hunger bedroht. In dieser Situation dürften für viele die Risiken einer Flucht in jedem Fall geringer erscheinen, als das Schicksal jener halben Million Landsleute zu teilen, die durch die andauernden Kämpfe bereits verhungert sind.

Wer führt diesen Krieg?

Seit zweieinhalb Jahren kämpft im Sudan die paramilitärische Gruppe Rapid Support Forces (RSF) gegen die offiziellen Streitkräfte, die Sudanese Armed Forces (SAF). Die arabisch-nationalistische Miliz RSF war auch im Libyschen Bürgerkrieg und in den Kämpfen im Jemen beteiligt und hat dort einige Förderer. Nach dem Sturz des damaligen Präsidenten war sie zeitweilig Teil der sudanesischen Militärregierung, die seit 2019 von General Abdel Fattah al-Burhan geführt wird.

Über die Eingliederung der RSF in das sudanesische Militär kam es jedoch zwischen den beiden Generälen zu Streitigkeiten, die sich zu erbitterten Kämpfen ausweiteten, oftmals inmitten von Wohngebieten. Seitdem sind mindestens 150.000 Menschen allein diesen brutalen Machtkämpfen zum Opfer gefallen. Die Liste der Kriegsverbrechen auf beiden Seiten ist lang. Im April 2023 versuchte die RSF gegen die Regierung zu putschen. Zahlreiche Gräueltaten, wie zuletzt die Massenerschießungen und die sexuelle Gewalt in El-Fascher, versetzen die Zivilbevölkerung weiter in Panik.

Nach Einschätzung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Volker Türk, sei dies ein „Stellvertreterkrieg um seine natürlichen Ressourcen und Rohstoffe". So besitzt der Sudan unter anderem reiche Goldvorkommen. Türk verweist auf zahlreiche Länder und Organisationen in der Region, die unterstützend an diesem Krieg beteiligt sind und von dessen Fortsetzung profitieren.

Dazu zählen die, wenn auch dementierten, Waffenlieferungen an die RSF durch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), während die sudanesische Armee allen voran von Ägypten, Saudi-Arabien und dem Iran unterstützt wird. Und um die Lage weiter zu komplizieren gibt es zum Beispiel auch für die Militärregierung kämpfende ukrainische Spezialkräfte, da der Sudan der Ukraine illegal Kriegswaffen lieferte.

Shams Ul Haq ist Terrorismus-Experte und Autor, bekannt für seine investigativen Recherchen. Nach dem Fall Kabuls 2021 interviewte er als erster deutscher Journalist Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Das Geschäft mit den Geflüchteten

In dem an Bodenschätzen so reichen Sudan reicht das Elend der Zivilbevölkerung hingegen mittlerweile zur Verzweiflung. Auf der Flucht vor Militärs und Milizen haust ein großer Teil der Bevölkerung mittlerweile in improvisierten Flüchtlingslagern. Geschätzt 30 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen, etwa 12 Millionen mittlerweile in Nachbarländern wie dem Tschad oder Ägypten untergekommen.

Doch beispielsweise in Ägypten gilt seit Ende letzten Jahres ein neues Asylgesetz. Seitdem werden die etwa 1,5 Millionen Sudanesen, die hierhin geflohen waren, rigoros abgeschoben. Um dem zu entgehen, hilft nur noch die Flucht ins nahe Europa. Und das ruft wiederum international agierende Schlepperbanden auf den Plan. Auf den Routen via Libyen und über das Mittelmeer werden zwar viele der Flüchtenden dem sicheren Tod ins Auge blicken, aber diejenigen, die der Hölle im Sudan entkommen können, nehmen dieses Risiko in Kauf. Ist Deutschland wirklich darauf vorbereitet?

Wie eine Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mitteilte, hat Deutschland im vergangenen Jahr 913 Geflüchtete aus dem Sudan aufgenommen, bis September 2025 weitere 528. Eine verschwindende Zahl, denn es wurden insgesamt allein in diesem Jahr bis zum Herbst 124.410 Asylanträge gestellt. Eigentlich hatte sich die Bundesrepublik verpflichtet, pro Jahr 6.500 Menschen, die von der UNHCR als besonders vulnerable Personen ausgewählt wurden, nach Deutschland einreisen zu lassen, doch auch dieses Programm wurde seit dem Regierungswechsel ausgesetzt.

In Zeiten knapper Kassen wurde nun vom Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossen, die seit dem Regierungswechsel geltende Halbierung der humanitären Hilfe auch für das nächste Jahr beizubehalten. Und diese Situation erinnert nicht zufällig an das Jahr 2015.

Unkoordinierte Fluchtbewegung

In jenem Jahr strömten Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland. Ein Anstoß für diese Migrationsbewegung war unter anderen, dass die humanitäre Unterstützung für Geflüchtete in deren Nachbarländern schlagartig durch die Merkel-Regierung gekürzt worden war. Das scheint sich gegenwärtig zu wiederholen.

Zugleich haben in Zeiten klammer Kassen aktuell auch die USA, Großbritannien und Frankreich ähnliche Maßnahmen beschlossen. Das hat nach Auskunft von Filippo Grandi, dem Hohen Flüchtlingskommissar der UN, im Tschad dazu geführt, dass die sudanesischen Flüchtlingslager „von Schleppern bereits kontrolliert“ werden.

Bisher sind es nur einige Tausende, die den Weg nach Europa wagen. Noch verschlechtert das winterliche Wetter die Chancen für die Meerespassage. Doch im Strom der Flüchtenden, der sich zeitverzögert in einigen Monaten in Bewegung setzen wird, werden sich wieder viele Menschen befinden, deren Kriegstraumatisierung aus Gründen der Behandlungskapazitäten und der mangelnden Sprachkenntnisse nicht ausreichend therapiert werden wird. Und es stellt sich die berechtigte Frage, ob den Strom der Flüchtenden nicht wiederum radikalisierte Extremisten nutzen werden, um mit einer falschen Identität einzureisen. So wie es nicht zuletzt auch bei den Bataclan-Attentaten der Fall war, die sich in diesem Jahr jährten.

Ist Deutschland wirklich darauf vorbereitet oder hofft es allen Ernstes, dass – gemeinsam mit Italien – der „Kapazitätsaufbau“ der Libyschen Küstenwache so erfolgreich sein wird, dass die Sudanesen in den dortigen Wüstencamps hängenbleiben? Man sollte sich diesen Fragen stellen, noch bevor sich der Strom Flüchtender in Bewegung setzt.