Erst ein „Wunder“, dann der „Worst Case“? Ukraine-Analyst warnt Europa – nicht allein vor Putin

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Die US-Hilfen für die Ukraine kommen endlich, doch die Entwarnung bleibt aus. Ein Experte aus der Ukraine warnt vor dem „Worst-Case-Szenario“.

Kiew/München – Die Unterstützung der USA für die Ukraine ist nach monatelangem Ringen endlich beschlossen. In Kiew wird sowohl finanzielle als auch militärische Hilfe dringend benötigt. Doch trotz der Hilfe ist Vorsicht geboten. Der ukrainische Politikwissenschaftler Mykola Bielieskow nannte es am Dienstag (30. April) gegenüber IPPEN.MEDIA „ein Wunder“, dass die ukrainische Armee die Wartezeit überhaupt überstanden hat. Er blickt aber zugleich mit Skepsis auf die Zukunft – insbesondere auf die Rolle der USA.

Vor allem rät Bielieskow Europa, sich schnell auf die nächsten Schritte von Wladimir Putin vorzubereiten. Europa sollte sich auf das „Worst-Case-Szenario“ einstellen. „Das Wichtigste ist aus meiner Sicht jetzt, dass die Europäer dazu übergehen, mit keinem weiteren großen US-Hilfspaket zu rechnen“, warnte Bielieskow. Er warnte, der Kontinent könne innerhalb eines Jahres „auf sich gestellt“ sein. Das hängt mit der bevorstehenden US-Wahl 2024 zusammen. Der potenzielle neue Präsident Donald Trump steht den Hilfen für die Ukraine – gelinde gesagt – ablehnend gegenüber. Seine Republikaner blockierten das jüngste Paket lange Zeit im Repräsentantenhaus.

Waffenhilfe für die Ukraine schon bislang „gegen militärische Logik“

Bielieskow mahnte, angesichts „einer Vielzahl von Kriegen“ sei weitere Unterstützung aus Washington fraglich. In den letzten zwei Jahren habe das Handeln des Westens im Ukraine-Krieg ohnehin bereits der „militärischer Logik“ widersprochen. „Wenn Sie Ihrem Gegner erlauben – etwa wegen der Nicht-Bereitstellung von Waffen – die Initiative zu übernehmen, dann hilft das nicht, dann wird nichts Gutes daraus entstehen“, warnte der Wissenschaftler des Nationalen Instituts für Strategische Studien in Kiew und Analyst der ukrainischen Initiative „Come Back Alive“.

Ein ukrainischer Soldat auf einem Bradley-Schützenpanzer der USA – versiegt die Hilfe aus Washington?
Ein ukrainischer Soldat auf einem Bradley-Schützenpanzer der USA – versiegt die Hilfe aus Washington? © IMAGO/André Hirtz

Damit dürften auch die deutschen Debatten – zunächst um Kampfpanzer, später um Taurus-Marschflugkörper – gemeint gewesen sein. Bielieskow sprach indes eine noch deutlichere Warnung aus: Der Krieg in der Ukraine sei eine Angelegenheit von globalem Belang – die Ukraine kämpfe dabei auch als Stellvertreter Europas und bringe „große Opfer“. „Wir können nicht auf alle Zeit eure Unversehrtheit garantieren“, sagte der Experte. Auch die Sorge vor einem russischen Angriff auf Nato-Länder wie Estland kursieren bereits seit Längerem. Bielieskow fügte hinzu: „Menschen könnten denken, dass ein Jahr eine lange Zeit ist.“ Das sei ein Trugschluss.

Ukraine-Verteidigung gegen Putins Russland zuletzt ein „Wunder“ – „Nicht als gegeben hinnehmen“

Der Politikwissenschaftler mahnte die europäischen Staaten dazu, bereits jetzt Waffen- und Munitionsnachschub für eine mögliche Phase versiegender Unterstützung der USA sicherzustellen. Europa müsse sich darauf vorbereiten, „Waffen und Ausrüstung aus bestimmten Ländern zu erhalten“ – möglicherweise auch durch den Kauf aus den USA, wenn das Land 2025 kein eigenes Paket mehr bereitstelle. „Deutschland ist ein großes Land“, fügte Bielieskow hinzu. Daten aus dem Februar zeigen, dass Deutschland eines der wichtigsten Geberländer ist. Eine noch größere Rolle könnte in der Zukunft notwendig werden.

Bielieskow wies darauf hin, dass es bereits ein „Wunder“ war, dass die Frontlinien gegen Russlands Angriffe in den letzten sieben Monaten gehalten haben. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine Computersimulation bei Eingabe aller Parameter andere Ergebnisse vorausgesagt hätte als die, die wir jetzt haben“, betonte er. Die ukrainische Armee habe auf einer „unhaltbaren Basis“ einen Verteidigungskampf geführt – dabei aber an den Ressourcen gezehrt und die Fähigkeit zur zukünftigen Kampfbereitschaft geopfert.

Zwar habe Russland kürzlich Durchbrüche erzielt, jedoch nicht in der Tiefe, die für massive Offensivoperationen üblich ist. Dies sollte anerkannt werden. Gleichzeitig sollte dies „nicht als gegeben hingenommen werden“, warnte Bielieskow, „das lässt sich nicht ewig so fortführen“. Dringend benötigt werden auch weitere Flugabwehrsysteme, um zumindest städtische Gebiete gegen russische Luftangriffe verteidigen zu können. (fn)

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