Stand schon zu Kaisers Zeiten: 130 Jahre alte Linde bereitet Sorgen – Zugversuch soll Aufschluss geben

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Viele Zahlen: Baumexperte Niko Winkler sieht sich die ersten Datenübertragungen an. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Die Linde am Japanischen Garten wurde auf ihre Standfestigkeit überprüft. Sogenannte Zugversuche und komplizierte Berechnungen sollen Aufschluss über die Sicherheit geben.

Wolfratshausen – Sie gehört zum Stadtbild Wolfratshausens wie die Loisach: die alte, 17 Meter hohe Linde am Japanischen Garten. Derzeit allerdings gilt sie ein bisschen als Sorgenkind. Der städtische Baumkontrolleur hatte nach einer eingehenden Untersuchung ein weiteres Gutachten empfohlen, da die Linde in ihrem Inneren hohl ist. Die kürzlich durchgeführten baumstatischen Zugversuche sollen Aufschluss über die Stand- und Bruchsicherheit geben.

Auf etwa 130 Jahre wird der Baum laut Annalena Beischl, in der Stadtverwaltung zuständig für Umwelt- und Naturschutz, geschätzt. Die Wolfratshauser Linde stand also schon, als Kaiser Wilhelm II. 1894 den Schlussstein am Reichstagsgebäude legte und in London die berühmte Tower Bridge fertiggestellt und für den Verkehr freigegeben worden ist.

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Bereits vor einigen Jahren wurde die Baumkrone gesichert, im Stamm selbst sind Verbolzungen angebracht – eine Praxis, die man früher angewendet hat, um Bäume zusammenzuhalten. Um sich ein erstes Bild über den aktuellen Zustand zu machen, ließ die Stadtverwaltung im Mai 2023 eine Schalltomografie durchführen. Aufgrund der gemessenen Impulse entstand so ein Querschnittsbild, das den Holzzustand anzeigte. „Das Ergebnis fiel negativ aus“, hieß es aus dem Rathaus, „deshalb wird ein Zweitgutachten eingeholt.“

1,77 Tonnen Zug wirken auf die Linde: Christian Schick am Handhebelseilzug.
1,77 Tonnen Zug wirken auf die Linde: Christian Schick am Handhebelseilzug. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Dazu beauftragt hat die Stadt die Firma „Treeconsult“ aus Gauting. „Wir machen die Zugversuche über zwei Achsen, eine in nordwestliche, die andere in nordöstliche Richtung“, erklärte Niko Winkler, während seine Kollegen Janosch Heimbucher und Christian Schick die ersten Elastometer am Stamm anbrachten. Diese messen, wie die Holzfaser unter Zug mit Dehnungen und Stauchungen reagiert und liefern die Daten direkt auf einen Laptop. „Für das Auge sind diese Verformungen nicht wahrnehmbar, werden aber über die hochsensiblen Messgeräte erfasst und aufgezeichnet“, so Winkler. Die Grenzwerte hatten die Baumexperten im Vorhinein mit Blick auf den Zustand des Baums festgelegt: „Wir werden 100 Mikrometer nicht überschreiten.“ Bei einer gesunden Linde wären 180 bis 200 Mikrometer im grünen Bereich. (ein Mikrometer entspricht 0,000001 Metern). Weitere Messgeräte am Stammfuss der Linde funktionieren so ähnlich wie eine Wasserwaage. Sie registrieren eine etwaige Neigung der Wurzelplatte.

Linden sind wahre Regenerationskünstler.

Fast schon liebevoll strich Winkler über den aufgeplatzten Stamm, der einen Blick in den Hohlraum zulässt. Eine Verbolzung war zu sehen, aber auch eine neu gebildete Wurzel. „Linden sind wahre Regenerationskünstler“, sagte der Experte. So können sie auch mechanische Verletzungen wie Schnitzereien oder Verletzungen der Rinde nach einem Unfall mit Wundholz überziehen und schließen.

Beim Zugversuch wird der Baum auf seine Standfestigkeit geprüft

Dann ging alles ganz schnell: Letzte Fotos zur Dokumentation wurden gemacht, Daten notiert. Danach wurde das in der Krone angebrachte Seil leicht gespannt. Christian Schick ging zum Handhebelseilzug und erhöhte langsam, aber kontinuierlich den Zug. Plötzlich rief der Kollege „Halt!“ Der Grenzwert war erreicht. 17,3 Kilonewton (1,77 Tonnen) wirkten nun auf die Linde. Schick lockerte das Seil, der erste Zugversuch nach Nordwesten war beendet.

Die alte Linde am Japanischen Garten wird durch Zugversuche auf ihren Zustand getestet.
Die alte Linde am Japanischen Garten wird durch Zugversuche auf ihren Zustand getestet. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Während die Geräte und Seile für den zweiten Versuch vorbereitet wurden, erklärte Niko Winkler das weitere Vorgehen. „Die Messergebnisse werten wir mit einem speziellen Programm aus. Dabei berücksichtigen wir unter anderem den Standort – beispielsweise, ob der Baum an einem Seeufer oder auf abschüssigem Gelände steht – und die zu erwartende Windbelastung.“ Zusätzlich werden die Fachleute einen Sicherheitsfaktor mit einberechnen. Erst dann könne man sagen, was der Baum unterm Strich alles aushält und wo die schwächsten Stellen sind, so Winkler weiter. Eine Hilfsmaßnahme könne das leichte Einkürzen sein, um den Schwerpunkt zu verlagern. Aber bitte mit Gefühl, denn: „Alles, was an Blattmasse wegkommt, kostet den Baum an Vitalität.“

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Ein paar Stunden später beendeten die Baumexperten ihre Arbeit, packten die Messgeräte wieder ein und entfernten das Flatterband, das das Umfeld des Japanischen Gartens absperrte. Nun geht es ans Rechnen und Bewerten. Winkler meinte, dass die Ergebnisse die Stadtverwaltung in zwei, drei Wochen erreichen werden. „Außer, es ist etwas Akutes. Dann rufen wir umgehend an. Aber das wollen wir ja nicht hoffen.“

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