Zum Wahlerfolg der Linken: Wie Heidi Reichinnek die Partei wiederbelebte
Die Parteivorsitzende schaffte es durch ihren Auftritt in den sozialen Medien, für ihre Partei über acht Prozent zu holen. Wie das gelang.
Berlin – Im Stechschritt läuft sie an das Rednerpult. Noch bevor sie überhaupt das Wort ergreift, wird sie von der Bundestagspräsidentin ermahnt. Sie soll sich mäßigen. Doch die folgenden nicht einmal drei Minuten sehen alles andere als nach Contenance bewahren aus. Heidi Reichinnek hämmert immer wieder mit dem rechten Zeigefinger auf das Pult. „Das sind keine Zufallsmehrheiten – Sie haben diese Mehrheiten gesucht“, donnert sie Friedrich Merz entgegen. „Und das ist das verdammte Problem.“
Nach Zusammenarbeit von AfD und CDU: Wutrede von Reichinnek geht in sozialen Medien viral
Es ist Ende Januar, die Union hat gerade das erste Mal zusammen mit der AfD einen Antrag durchgebracht – für eine schärfere Migrationspolitik. Und die Linke dümpelt in Umfragen zwischen drei und fünf Prozent. Doch seit dem Spontanausbruch von Reichinnek klettert die Linkspartei im Eiltempo die Prozenteleiter empor. Ein Video der Wutrede geht in den Sozialen Medien, auf Tiktok durch die Decke. Auf einmal kennt man die Spitzenkandidatin, Co-Chefin der zur Gruppe geschrumpften Linken im Bundestag.

Nicht einmal einen Monat später erreicht die totgeglaubte Linke bei der Bundestagswahl 8,7 Prozent, in Bayern 5,7 Prozent. Bei der Wahlparty in Berlin gibt es Freudestrahlen, ein wenig Tränen, fast ungläubige Blicke. Und Heidi Reichinnek wird jetzt gefeiert als Frau, die die Linke rettete.
Reichinnek stichelt gegen CSU-Chefs TikTok-Auftritt: „Söder geht es um Selbstdarstellung“
Es waren damals die Probleme von Kindern und Jugendlichen, die Reichinnek 2021 in den Bundestag zogen, sagt sie. Die kennt sie aus ihrer Arbeit bei der Jugendhilfe gut. Eigentlich wollte die 36-jährige Abgeordnete aus Niedersachsen ja gar nicht auf Tiktok aktiv sein, ließ sich aber überreden. „Wenn man mit jungen Menschen in Kontakt kommen will, wenn man ihnen Politik näherbringen will“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung, „dann muss man eben auch in den Sozialen Medien sein.“
Und das scheint sich ausgezahlt zu haben. Das Video ihrer Wutrede wurde sieben Millionen Mal auf Tiktok angeschaut, ihrem Account folgen rund 576 000 Menschen. Zum Vergleich: Merz hat dort 95 000 Fans, eines der beliebtesten Videos wurde zwei Millionen Mal angeklickt. Darin isst er mit Social-Media-Kenner Markus Söder (CSU) eine Currywurst mit Pommes. Von Söders erfolgreichen Strategie im Netz hat sich Reichinnek aber nichts abgeschaut. „Söder geht es um Selbstdarstellung, mir geht es um Inhalte“, sagt sie.
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Inhalte, die Reichinnek ebenfalls für den Erfolg der Partei verantwortlich macht. Die Linke setzte auf das altbekannte Soziale. Zu hohe Mieten, zu teure Lebensmittel, zu niedrige Löhne. Themen, die offenbar gerade junge Menschen ansprechen (25% bei den unter-25-Jährigen). Sechs Wahlkreise – vier in Berlin, einen in Erfurt, einen in Leipzig – konnte die Partei damit gewinnen. Und nach Abspaltung des BSW scheint in die einst so zerrüttete Linke nun wieder Ruhe eingekehrt zu sein.