Die Krankenkassen schlagen Alarm. Die Ausgaben steigen 2025 auf 353 Milliarden Euro. Versicherte müssen wohl bald mehr zahlen.
Berlin – Die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung bereitet Anlass zu Sorge. Nach Berechnungen des GKV-Schätzerkreises, der im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Kassenlage evaluiert, werden die jährlichen Aufwendungen im kommenden Jahr von derzeit 330 Milliarden auf 353 Milliarden Euro steigen. Diese Zunahme um 23 Milliarden Euro entspricht einer Steigerungsrate von 6,7 Prozent. Parallel dazu erreichen die Lohnnebenkosten mit 42,5 Prozent einen historischen Höchststand, für 2026 werden sogar 42,9 Prozent prognostiziert. Während über Sparmaßnahmen und grundlegende Reformen diskutiert wird, warnen Kassenvertreter vor erheblichen Beitragserhöhungen.
Beim Koalitionsausschuss am Mittwoch (10. Dezember) stehen auch die Krankenkassenbeiträge auf der Tagesordnung. Der Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt, hatte im Vorfeld vor erheblichen Beitragserhöhungen im kommenden Jahr gewarnt. „Wenn der Koalitionsausschuss aus dem kleinen Sparpaket auf den letzten Metern nicht doch noch ein echtes Sparpaket schnürt, werden wir in wenigen Wochen umfangreiche Beitragserhöhungen erleben“, sagte Blatt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Verband habe 51 Vorschläge vorgelegt, wo im Gesundheitswesen gespart werden könne, ohne die Versorgung zu verschlechtern – denn das Problem liege nicht bei den Einnahmen, sondern bei den Ausgaben.
Kostenexplosion: Krankenhausbehandlungen bilden mit 100 Milliarden Euro den größten Posten
Wie diese verteilt sind, zeigen aktuelle Zahlen des GKV-Spitzenverbands. Krankenhausbehandlungen bildeten demnach im vergangenen Jahr mit über 100 Milliarden Euro den größten Einzelposten. Sie liegen damit nahezu doppelt so hoch wie der zweitgrößte Block für Arzneimittel. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres stiegen die Krankenhausausgaben pro Versichertem um annähernd 10 Prozent. Kein anderer Bereich verzeichnet derzeit eine vergleichbar hohe Steigerungsrate.
Ambulante ärztliche Versorgung rangiert mit gut 50 Milliarden Euro im Vorjahr auf Position drei der Ausgabenhierarchie. In den ersten drei Quartalen 2025 erhöhten sich die Kosten den GKV-Zahlen zufolge pro Kopf um circa 7,5 Prozent. Arzneimittel legten um etwa 6 Prozent zu, während zahnärztliche Behandlungen mit rund 4,3 Prozent vergleichsweise moderat zulegten. Krankenhäuser und ärztliche Leistungen zusammengenommen machen damit den größten Anteil der Kostensteigerungen aus.
Zusatzbeitrag steigt: Warken plant Anhebung auf 2,9 Prozent, Bundesrat blockiert vorerst
Trotzdem plant Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) eine Anhebung des ausschließlich von Arbeitnehmern zu tragenden Zusatzbeitrags von gegenwärtig 2,5 auf 2,9 Prozent. Kassenvertreter bezweifeln jedoch, ob diese Erhöhung um 0,4 Prozentpunkte ausreichen wird. Der Bundesrat hat die vorgesehenen Sparmaßnahmen vorläufig blockiert. Jener Gesetzentwurf hätte Entlastungen von zwei Milliarden Euro für das kommende Jahr bewirken sollen.
Bereits im September hatte Warken eine Experten-Kommission einberufen, die Konzepte für eine grundlegende Gesundheitsreform entwickeln soll. Deren Aufgabe besteht darin, die GKV-Finanzen ab 2027 zu stabilisieren. Bis dahin dürfte die Marke von 43 Prozent bei den Sozialversicherungsbeiträgen bereits übertroffen sein. Während Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung in den vergangenen zwei Jahrzehnten gesunken sind, sind jene zur Kranken- und Pflegeversicherung kontinuierlich gestiegen. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, warnte kürzlich im ARD-„Bericht aus Berlin“, nach der bevorstehenden Beitragsanpassung werde es im übernächsten Jahr „noch schlimmer weitergehen“.
Ärzteverband fordert: Fehlanreize im System abbauen, Fokus weg von lukrativen Behandlungen lenken
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hatte im Mai Vorschläge für eine bessere und effizientere medizinische Versorgung unterbreitet. Eine der zentralen Forderungen war dabei der Abbau von Fehlanreizen im System. „Es gibt Fehlanreize, die den Fokus auf lukrative Behandlungen lenken, aber oft wegführen von bedarfsgerechter Versorgung. Was wir stattdessen brauchen, ist mehr Steuerung, um Patientenbedarfe besser zu lenken, Ressourcen gezielter einzusetzen und Über- und Unterversorgung zu reduzieren“, so die DEGAM.
Bürgerversicherung: Beitragssatz könnte durch Einbeziehung Privatversicherter sogar sinken
Doch neben einer sinnvollen Kostensenkung ist auch eine solide Finanzierung des Gesundheitssystems unabdingbar. Der ‚Verband demokratischer Ärzt*innen‘ (vdää*) schlägt hierzu eine solidarische Bürgerversicherung vor, die alle Einkommen und Einkommensarten zur Beitragszahlung heranzieht. Verbunden damit wäre die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Eine solche Regelung würde die Finanzierungslast breiter verteilen, was zu spürbar sinkenden Beitragssätzen führen könnte. Davon würden auch Arbeitgeber profitieren, deren Beitragsanteile sich entsprechend verringern würden.
Eine Studie der Universität Bremen aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Ergebnis, dass der Beitragssatz so um mindestens drei Prozentpunkte sinken würde. Grundlage dieser Berechnung ist die Einbeziehung von Privatversicherten in die gesetzliche Krankenversicherung – also vieler gut verdienenden und durchschnittlich gesünderen Menschen. Auch alle Einkommen oberhalb der aktuellen Beitragsbemessungsgrenze (derzeit 5.512,50 Euro monatlich) und weitere Einkommensarten wie Kapitaleinkünfte sowie größere Mieteinnahmen würden die Höhe des Beitragssatzes beeinflussen. In Österreich gibt es eine umfassende gesetzliche Krankenversicherung schon heute. Fast die gesamte Bevölkerung (99,9 Prozent) zahlt dort in denselben Topf. (Quellen: ÄrzteZeitung, ARD, Bundesamt für soziale Sicherung, DEGAM, Funke-Mediengruppe, ntv, Tagesspiegel, Uni Bremen, vdää*) (tpn)