Der Gang zum Interview nach einem Spiel ist für Trainer oft kein leichter. In den vergangenen Monaten war Julian Nagelsmann dabei meist in Erwartung unangenehmer Fragen, die Nachrichtenlage rundum die deutsche Nationalmannschaft war nicht die beste.
Als der Bundestrainer nun am Montagabend in Leipzig den weiten Weg zur anderen Seite des Feldes ging, gab es von den verbliebenen Fans in der Arena viel Jubel für ihn. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, er winkte den Menschen zu.
Nagelsmann wird von Fans in Leipzig gefeiert
Nach all der Kritik, nach all dem Zweifel der vergangenen Wochen: War das nun ein Moment der Genugtuung? „Ich spüre keine Genugtuung, ich bin glücklich“, sagte Nagelsmann später auf Nachfrage von FOCUS online über seine Gefühlswelt nach der Gala-Vorstellung gegen die Slowakei. 6:0, das WM-Ticket ist gebucht.
Genugtuung habe für ihn „immer einen leicht negativen Touch, als wenn ich jetzt sauer wäre auf alle anderen“, sagte er und betonte, die Nationalmannschaft sei doch „eine Herzensangelegenheit“.
„Am Ende geht's nicht um mich“, sagt Nagelsmann
Die DFB-Elf, für Nagelsmann so viel größer als vieles anderes, dort müsse man mit Herz dabei sein. „Da können wir jetzt nicht über mich persönlich sprechen“, sagte er. „Am Ende geht’s nicht um mich, nicht um mein Trainersein.“
Die Demut des Bundestrainers, nach den vergangenen Monaten angebracht. Im Sommer fiel die Nationalmannschaft in ein Loch, die Endrunde der Nations League ging vor heimischer Kulisse in die Hose, der Start in die WM-Qualifikation wurde mit einem 0:2 in Bratislava völlig vergeigt.
Zwar gewann das DFB-Team alle folgende Spiele gegen Nordirland und Luxemburg, ohne abeer dabei sportlich zu überzeugen. Selbst am Freitag noch quälte sich die Nationalelf zu einem mageren 2:0 im Stade de Luxembourg. Die direkte WM-Qualifikation war noch immer nicht fix.
Dementsprechend verhalten war nun die Erwartungshaltung des Leipziger Publikums. Das Spiel war nicht mal ausverkauft, wie schon zuletzt in Sinsheim und Köln. Viele leere Sitzschalen waren in der Arena zu sehen, sie symbolisierten eine neue Skepsis im Fußballland. Eineinhalb Jahre nach der teils euphorischen Heim-EM.
Und so war dann auch viel Nervosität vor Spielbeginn in der Arena zu spüren, die Angst vor dem Verpassen der direkten WM-Quali war tatsächlich real. Doch dann ging alles ganz schnell.
Und plötzlich lässt die DFB-Elf das Publikum singen
Noch in der ersten Halbzeit sangen die Fans: „Ohhhhhh, wie ist das schön. Sowas hat man lange nicht gesehen“. Die DFB-Elf hatte sich zuvor in einen Rausch gespielt, nahm die überforderten Slowaken auseinander.
4:0 stand es nach zum Teil wunderbaren Toren. Erst traf Nick Woltemade, dann Serge Ganbry, dann zweimal Leroy Sané. Ein Spiel wie im Rausch, es hätte zum Pausenpfiff sogar noch deutlicher sein können. Eine La Ola lief durch das Stadion, Runde um Runde.
Kimmichs energische Grätsche reißt die deutschen Fans mit
Und viele fragten sich dabei: Wer will dieses DFB-Team noch verstehen? Wie ist diese plötzliche Leistungssteigerung wieder möglich?
Zum einen mit: Emotionen. „Jeder wollte heute ein Zeichen setzen, jeder wusste, was auf dem Spiel steht“, sagte Joshua Kimmich später. Er selbst ging im Spiel als bestes Beispiel voran. Der Kapitän, der emotionale Leader.
Gleich zu Beginn löste er mit einer Monstergrätsche an der Seitenlinie frenetischen Jubel aus und setzte gleich den Ton für den weiteren Verlauf. Dieser Moment veränderte auf der Tribüne alles.
In der Schlussphase des Spiels wird das Stadion immer leerer
Die Mannschaft machte weiter, kämpfte um jeden Ball, die Deutschen warfen sich in jeden Zweikampf, ließen den Slowaken keine Luft.
Als später sogar Debütant Assane Ouedraogo nur zwei Minuten nach seiner Einwechslung den Schlusspunkt setzte, wurde es fast kitschig: rührende Bilder beim Jubel, alle freuten sich mit ihm. Die Fans konnten nicht anders, wurden mitgerissen – Fußball, du kannst so schön sein.
Dennoch wurden im zweiten Durchgang die Ränge immer leerer, immer mehr rote Sitzschalen drangen durch.
Das war ein skurriles Bild, insbesondere als nach den Toren fünf und sechs Wellen durch das Stadionrund zogen. Aber ja, auch eine halbe La Ola ist auch eine La Ola. Es war ein einzelner Schönheitsfleck.