Schwund und Geschwafel: Die Welt rätselt über Russlands Kampfjet-Produktion. Die Ukraine behauptet deren schnellen Crash, Russland wirft Ballast ab.
Moskau – „Luftparität, nicht Luftüberlegenheit, prägt weiterhin den Status zwischen den Kontrahenten“, schreiben Douglas Barrie und Giorgio Di Mizio – die Behauptung der Autoren des US-Thinktanks International Institute for Strategic Studies (IISS) ist allerdings fast zwei Jahre alt: Inzwischen hat Wladimir Putins Luftwaffe im Ukraine-Krieg mehr Federn lassen müssen als zu Beginn dieses Waffengangs – nicht nur, weil die Ukraine beispielsweise mit F-16-Kampfjets nachgerüstet worden ist. Der Defense Express beispielsweise sieht die russische Militärluftfahrt „am Rande des Bankrotts“.
Das ukrainische Magazin veröffentlicht dieses Urteil zeitgleich mit Meldungen über die Lieferung einer neuen Charge von russischen SU-34 – als „Ergebnis kontinuierlicher Bemühungen, die Produktionsrate auf mehr als das Doppelte des Friedensniveaus zu steigern“, wie das russlandnahe Military Watch Magazin aktuell berichtet. Mit „Frontbomber“ übernimmt Patrick Zwerger die russische Bezeichnung dessen, was die russischen Streitkräfte jetzt an Nachschub bekommen haben – für welche Front auch immer; vielleicht auch gegen die NATO: „gleich drei Maschinen auf einen Streich“. „Das zumindest ist der Eindruck, der sich aus dem Bild- und Videomaterial ergibt, das das Flugzeugbau-Konsortium UAC zur Auslieferung der jüngsten Charge neuer Su-34 in Nowosibirsk veröffentlicht hat“, schreibt Zwerger in der Flugrevue.
Nachschub für Putins Verluste: „Russland ringt mit dem Verschleiß seiner Su-34“
Die Maschinen sind bitter nötig; Russland hat an diesem Modell einige im Verlauf des Ukraine-Krieges an die Verteidiger geopfert. 138 Maschinen dieses Typs hatte die russische Luftwaffe im vergangenen Jahr besessen – wie der World Air Forces-Index von 2024 veröffentlicht hat. Der Ukrainer Taras Chmut rechnete mit 160 Maschinen, wie der Militäranalytiker auf X veröffentlicht hat. 40 Maschinen sind im Verlauf des Ukraine-Krieges zerstört worden, schreibt die Statistikplattform Oryx. Insofern hat die Invasionsarmee ungefähr ein Drittel ihrer Flotte dieses Flugzeugtyps eingebüßt und durchaus hohe Verluste zu beklagen. „Russland ringt mit dem Verschleiß seiner Su-34“, wie Patrick Zwerger noch im Oktober 2024 geschrieben hatte.
„Das oberste Ziel des Westens muss darin bestehen, den Niedergang der russischen Rüstungsindustrie zu fördern und so die Gesamtbedrohung durch Russland zu verringern.“
Der Autor der Flugrevue hatte berichtet, dass der Ukraine-Krieg vor allem an die Substanz speziell dieses Typs geht. Die Suchoi Su-34 spiele in den Plänen Wladimir Putins eine zentrale Rolle – die Hauptrolle, wie Zwerger Russlands damaligen Verteidigungsminister Sergei Schoigu sagen lässt. Die Flugrevue übernimmt aktuell Schätzungen aus mehreren inoffiziellen Quellen, laut derer verschiedene Einheiten der russischen Luftwaffe in 2025 zwischen 15 und 17 Maschinen allein dieses Typs erhalten habe. Damit könne diese Flotte auf mehr als 200 Maschinen gewachsen sein – was wiederum dem Index und den Verlusten widerspräche. Mathieu Boulègue jedenfalls sieht Russlands Rüstungsindustrie am Boden liegen, wie er im Sommer veröffentlicht hat.
In einer Analyse für den Thinktank Chatham House behauptet er, dass die aktuelle Forschungslage nahe lege, Russlands Rüstungsindustrie entwickle sich rückläufig – egal, wie bemüht der Kreml um eine gegenteilige Darstellung sei. „Die Produktion wird in den kommenden Jahren voraussichtlich vereinfacht und gedrosselt werden müssen, während Russland gezwungen sein wird, eine geringere Produktqualität hinzunehmen und unter einem Innovationsstillstand in seiner technologischen Forschung und Entwicklung zu leiden“, schreibt er. Wie Boulègue angedeutet hat, gibt die „Gegenseite“ Kontra, so wie Military Watch schreibt. Dem Magazin zufolge stoße die russische United Aircraft Corporation nun mehr als 30 Flugzeuge pro Jahr aus.
Der Fluch des Ukraine-Krieges: Russlands „Jagdbomber mit dem Entenschnabel“
Ungenannt bleibt, welche Typen gemeint sind. Laut UAC habe sich die Produktionskapazität allein der Su-34 seit Anfang 2022 mit den 30 Maschinen pro Jahr mehr als verdoppelt. „Dadurch konnte die Flotte trotz des geschätzten Verlusts von 40 Kampfflugzeugen während der 46 Monate andauernden Kampfhandlungen im ukrainischen Einsatzgebiet weiter ausgebaut werden“, so Military Watch. Kaum ein anderer Typ fliege so viele Einsätze wie der „Jagdbomber mit dem Entenschnabel“, sagt Zwerger. „Wir müssen uns anstrengen!“, soll Russlands Ex-Verteidigungsminister behauptet und dabei die Erhöhung der Produktion gemeint haben. Laut Forbes sind die Su-34 die geeigneten Trägersysteme für die präzisesten Waffen Russlands – deren Gleitbomben; beispielsweise der KAB-Serie.
„Die Su-34 waren die offensichtlichen Plattformen für diese neuen Waffen. Sie wurden zu Gleitbombern – fast ausschließlich. Die Besatzungen flogen hoch und schnell auf die Front zu und warfen bis zu vier KABs gleichzeitig ab, und das bis zu 20 Kilometern von ihren Zielen entfernt“, wie Forbes schreibt. Die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrainian bezieht sich auf Ergebnisse des russischen Thinktanks „Centre for Analysis of Strategies and Technologies“, um den Eindruck zu erwecken, russische Luftwaffe würde aus dem letzten Loch pfeifen. Laut der russischen Denkfabrik habe die Industrie im Jahr 2014 insgesamt 101 neue Kampf- und Kampftrainingsflugzeuge an die russischen Streitkräfte übergeben, im Folgejahr 89 Stück.
Kollaps von Putins Rüstungsindustrie? „Insgesamt ist dies eine sehr aufschlussreiche Geschichte“
„Dann begann sie rapide zu fallen und brach 2019 auf 20 Flugzeuge verschiedener Typen ein“, so Ukrainian. Defense Express stößt ins gleiche Horn mit einem Bericht über das 308. Flugzeugreparaturwerk im russischen Iwanowo, das in den Bankrott schlittere. Tatsächlich besteht die Leistungsfähigkeit einer Luftwaffe auch in der Nachsorge für den Fuhrpark. Am 9. Dezember war eine Antonow An-22 „Antei“ offenbar in der Luft zerbrochen und hatte sieben Besatzungsmitglieder getötet. Dem Absturz hatte keine militärische Fremdeinwirkung zugrunde gelegen, deshalb sieht der Defense Express die Ursache in fehlendem Geld – den Arbeitern soll schon länger ihr Lohn vorenthalten worden sein. Motivation und Leistung werden deshalb als Ursache der mangelhaften Instandhaltung des Transportflugzeugs behauptet.
„Insgesamt ist dies eine sehr aufschlussreiche Geschichte“, schreibt der Defense Express. Dem Magazin zufolge seien die russische politische wie militärische Führung bemühen zu vermitteln, dass besonders der Rüstungssektor ohne gravierende Problem laufe. Der Rüstungssektor allerdings ist weit gespannt: Russland ist knapp an allem, weil Russland mit allem aufzutrumpfen versucht: mit Panzern, mit Raketen, mit Truppen – und das unter Bedingungen knapper Güter aufgrund der Sanktionen.
Putin schwingt die Sense gegen Manager: „1500 Personen, also mehr als ein Viertel des Führungspersonals“
„Die Produktionskapazität des Landes ist inzwischen so hoch, dass es in etwas mehr als einem halben Jahr das Äquivalent des gesamten Arsenals der Bundeswehr produzieren kann. Seit dem Angriff auf die Ukraine hat Russland seine Kapazität zur Herstellung wichtiger Waffensysteme deutlich erhöht – bei Langstrecken-Luftabwehrsystemen etwa um den Faktor zwei und bei Panzern um den Faktor drei“, schreiben Guntram Wolff und Ivan Kharitonov vom „Institut für Weltwirtschaft“ in Kiel. Der Business Insider (BI) at im Juni noch den Eindruck erweckt, die russische Flugzeugproduktion setze zum Steigflug an und publizierte russische Prognosen, nach denen bis 2030 die Kampfjet-Flotte um ein Drittel wachse.
„Das wird helfen, große Stückzahlen im Rahmen des Rüstungsbeschaffungsauftrags zu produzieren, die die hohen Zahlen des Vorjahres übertreffen werden“, sagte Vadim Badekha gegenüber staatlichen russischen Medien, wie der BI den Geschäftsführer von UAC zitiert hat. Den Turbo dieses steilen Anstiegs soll der Abwurf von Ballast darstellen: 1500 Manager der russischen Luftfahrt-Rüstung sollten entlassen werden. „1500 Personen, also mehr als ein Viertel des Führungspersonals“, sagte Badekha laut dem BI. Für den CEO der Hebel gegen hohe Kosten für mehr Effizienz. Ist das ein Zeichen, dass Russlands Rüstungswirtschaft zum Durchstarten ansetzt oder eher abschmiert?
Mathieu Boulègue ist sicher, dass Letzteres zutrifft, wie er für Chatham House geschrieben hat: „Das oberste Ziel des Westens muss darin bestehen, den Niedergang der russischen Rüstungsindustrie zu fördern und so die Gesamtbedrohung durch Russland zu verringern.“ (Quellen: Ukrainian, Institut für Weltwirtschaft, International Institute for Strategic Studies, Centre for Analysis of Strategies and Technologies, Defense Express, Military Watch, Flugrevue, World Air Forces-Index, Oryx, Chatham House, Forbes, Business Insider, X) (hz)