Es ist egal, ob man die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen dafür loben oder, wie es andere tun, tadeln will für ihren Ansatz, gemeinsame Überzeugungen zur Grundlage der Zusammenarbeit von Staaten zu machen. Klar ist, dass mit dem Amtsantritt von Donald Trump diese Politik tot ist. Für den US-Präsidenten zählt nur das Recht des Stärkeren und nicht vertragliche Abkommen oder internationales Recht.
Merz muss eine neue China-Politik entwickeln
Eine neue Bundesregierung unter einem wahrscheinlichen Bundeskanzler Friedrich Merz muss in dieser veränderten Gemengelage einen neuen Ansatz für die Außen- und Sicherheitspolitik im Allgemeinen und für die China-Politik im Besonderen entwickeln. Was die Ampelpartner nach langem Ringen zu Papier brachten, war kein großer Wurf.
Die SPD ist schon länger auf Schmusekurs zu China und ist stolz, schon so lange Beziehungen in das totalitäre Riesenreich zu unterhalten, in dem die Menschenrechte permanent mit Füßen getreten werden.
Christian Lindner wurde bei einem Pekingbesuch abgekanzelt, weil er und die Liberalen sich für die Menschen in Hongkong und die ihnen versprochene Demokratie eingesetzt hatten.
Annalena Baerbock war, naturgemäß, wegen ihres Pochens auf den Menschenrechten im Reich der Mitte unbeliebt.
Über den Gastautor
Alexander Görlach ist Honorarprofessor für Ethik an der Leuphana Universität in Lüneburg und Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Nach einem Aufenthalt in Taiwan und Hongkong hat er sich auf den Aufstieg Chinas konzentriert und was dieser für die Demokratien in Ostasien im Besonderen bedeutet. Von 2009 bis 2015 war Alexander Görlach zudem der Herausgeber und Chefredakteur des von ihm gegründeten Debatten-Magazins The European. Heute ist er Kolumnist und Autor für verschiedene Medien. Er lebt in New York und Berlin.
Merz zählt China zur „Achse der Autokratien“
Und der neue Kanzler, wird er gegenüber Peking weniger „wertebezogen“ auftreten? Friedrich Merz hat noch im Januar Xi Jinpings Volksrepublik zu einer neuen „Achse der Autokratien“ dazugezählt. Völlig zurecht, denn Peking hält nicht nur die Kriegsmaschinerie Wladimir Putins in der Ukraine am Laufen, sondern agiert umtriebig mit den größten Verbrecher-Regimen der Gegenwart, neben Russland vor allem mit Nordkorea und dem Iran.
Vor Angela Merkel, von der Merz nichts wissen will, hatten sie in Peking Respekt, das Wort der Bundeskanzlerin hatte Gewicht.
Olaf Scholz hingegen sah man als Schwächling an. Insbesondere, nachdem er es noch nicht einmal vermocht hatte, seine Regierung für eine Legislaturperiode zusammenzuhalten.
Merz muss sich jetzt in den Augen Pekings erst einmal beweisen, denn er hatte ja noch kein Regierungsamt inne.
Peking hat diesmal keine Zeit für lange Sondierungen
Allerdings hat Peking, anders als sonst, vielleicht nicht allzu viel Zeit, um abzuschätzen und zu sondieren, wie mit Merz am besten zu verfahren sein würde.
Bis dato jedenfalls hätte Peking auf einen kritischen Zwischenton à la „Achse der Autokratien“ überempfindlich reagiert und dem Urheber einer solchen Aussage unterstellt „die Gefühle von 1,4 Milliarden Chinesen beleidigt zu haben“ und umgehend eine Entschuldigung eingefordert.
In Wahrheit sind nur knapp 100 Millionen der 1,4 Milliarden Menschen in China überhaupt Mitglied in der Kommunistischen Partei. Sie dürften, wenn überhaupt, die Beleidigten sein, von denen Xi spricht, denn offenen Informationszugang und freie Medien gibt es in der Volksrepublik nicht. Eine normale Person würde also niemals erfahren, was im Ausland über China gesagt wird. Das ist bislang zumindest unterblieben.
Xi sucht Verbündete gegen Trumps Wirtschaftspolitik
Wahrscheinlich deshalb, weil Xi Jinping mit Donald Trump im Weißen Haus dringend Verbündete in reichen Ländern braucht, mit denen er Handel treiben und so den drohenden Ausfall aus dem Exportgeschäft in die USA kompensieren kann.
Deutschland im Herzen Europas ist ein natürlicher Kandidat für ein solches Bündnis, weswegen man es in Peking darauf ankommen lassen wird, Friedrich Merz für eine solche wie auch immer näher zu definierende „privilegierte Partnerschaft“ zu gewinnen.
Peking rechnet sich nicht zu Unrecht Chancen dafür aus, denn auch der neue Kanzler der Bundesrepublik wird von Minute eins nach seiner Vereidigung unter massivem Druck stehen, die angeschlagene deutsche Wirtschaft wiederzubeleben.
China für Deutschland weniger attraktiv als früher
China ist für eine Zusammenarbeit, die Xi vorschweben mag, heute für Deutschland nicht mehr ganz so attraktiv wie noch vor wenigen Jahren.
Nach der Corona-Pandemie hat sich die Wirtschaft nicht richtig erholt, hinzu kam das Platzen der Immobilienblase und eine Rekord-Jugendarbeitslosigkeit. Die privaten Haushalte halten sich mit dem Konsum zurück, sodass der Absatz aus Deutschland nach China kontinuierlich zurückgeht.
Dennoch: Ohne den chinesischen Markt, so sagen es etwa Volkswagen und BASF, wären einige Unternehmen nicht mehr überlebensfähig.
Für beide Seiten wäre einiges gewonnen
Vor Xi Jinpings radikalem ideologischem Kurswechsel vor zwölf Jahren konnte man Deutschland und China gleichermaßen einen gewissen Hang zur Rationalität, Effizienz und Lösungsorientierung unterstellen.
Wenn Xi Jinping unter dem Druck, die chinesische Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, bereit wäre, zumindest Deutschland und seinen europäischen Partnern gegenüber in wichtigen, entscheidenden politischen Fragen ein Stück weit entgegenzukommen, wäre für beide Seiten einiges gewonnen. Interessengeleitete, nicht wertegeleitete Außenpolitik wäre das dann.
Peking wird das versuchen und Friedrich Merz in einem ersten Schritt umwerben. Der herbe Sauerländer mag dabei eine ganz eigene Herausforderung darstellen, denn von einem goldenen Saal und dem Pomp eines Staatsbesuchs wird er sich, anders als Donald Trump und Emmanuel Macron, nicht so leicht einlullen lassen.
Xi hat nicht unendlich viel Zeit, das Ruder herumzureißen
Kritiker eines solchen Ansatzes müssen verstehen, dass Donald Trumps erratisches und fanatisches Zerstören der bestehenden Weltordnung zur Konsequenz hat, dass alte Allianzen vernichtet werden, an deren Stelle neu treten müssen.
In einer Welt, in der die wichtigsten Akteure, USA, China, Russland, sich totalitär gerieren, ist, leider, kein Raum mehr, gemeinsame Werte auszuloten und gemeinsam ihre Gültigkeit zu proklamieren.
Deutschland hat mit dem China vor Xi gute Erfahrungen gemacht. Und wenn Xi an der Macht bleiben will, dann hat er nicht unendlich viel Zeit, das Ruder herumzureißen, denn 2027 läuft seine dritte Amtszeit aus. Dann kann er, theoretisch zumindest, ausgetauscht werden. Mit Europa an seiner Seite hat Xi bessere Chancen, einen solchen Abgang zu vermeiden.