Söder-Show auf dem flachen Land – und ein bisschen Trump-Angst: „Fordert er bald Neuschwanstein?“

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Markus Söder mischt im Wahlkampf in Bocholt in NRW mit: Dort wechselte er schnell in den Kalauermodus – und teilte nicht nur gegen Umweltschützer aus.

Bocholt – Das Land ist so flach, dass man als Bayer im Münsterland vielleicht ins Grübeln kommen kann, ob die Erde am Ende nicht doch eine Scheibe ist. Zumindest von der Kulisse her kein Heimspiel für Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, der am Donnerstag nach Bocholt im Kreis Borken kurz vor der niederländischen Grenze angereist war. Immerhin: Vor der Halle im Gewerbegebiet am Ende einer Landstraße, die eher ein Feldweg ist, gab‘s den obligatorischen Bratwurstwagen. Also doch ein bisschen Heimat für den Wurstfreund, der angereist war, um im Wahlkampf vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen mitzumischen. „Ich gehe davon aus, dass er auch mal probiert“, sagt der Wurstwagenbetreiber – und wird am Ende Recht behalten.

NRW-Kommunalwahlkämpfe ziehen sonst selten viel Politprominenz von außerhalb des Bundeslandes an. Diesmal ist das anders. Vizekanzler Lars Klingbeil tourt für die SPD durch den tiefen Westen, Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel kam für seine Genossen extra nach Köln, Kanzler Friedrich Merz war in den letzten Tagen gefühlt überall in NRW. Immerhin: Die Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland sind ein Stresstest für die schwarz-rote Koalition im Bund, die einen holprigen Start hingelegt hat. Und während CDU, SPD und Grüne in NRW an Boden verlieren, wird die AfD etwa im Ruhrgebiet immer stärker.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (links) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in Bocholt. © Peter Sieben

Und jetzt also Söder, der in Bocholt gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst die Werbetrommel für den Unionskandidaten und amtierenden Bürgermeister Thomas Kerkhoff rührt. Gut 1000 Gäste waren laut CDU in der Halle und ein Presseaufgebot samt ZDF-Heute-Show-Team, wie es die 70.000-Einwohner-Stadt wohl noch nie gesehen hat. Als wenn das noch nicht genug wäre, war neben dem CDU-Bundestagsabgeordneten Paul Ziemiak auch Jens Spahn mit von der Partie.

Söder, Wüst und Spahn beim Wahlkampf in Bocholt in NRW: „Ein Saal voller normaler Leute“

Den gebürtigen Münsterländer kennt man hier in der Gegend ganz besonders gut: Wer zur Veranstaltungshalle wollte, fuhr sehr wahrscheinlich auch an der Firma Fiege vorbei, die in Corona-Zeiten für Spahn Masken verteilen sollte – aber nicht konnte. Diese Episode ist heute Teil der sogenannten „Maskenaffäre“, die Spahn seit Wochen unter Druck setzt. Womöglich war‘s ein Zeichen von Feingefühl, für den Wahlkampfauftritt die Halle eines anderen Logistikunternehmens auszuwählen.

Paul Ziemiak in Bocholt.
Paul Ziemiak in Bocholt. © Peter Sieben

Paul Ziemiak formulierte es so in seiner Eingangsrede: „Ich sehe einen Saal voller vernünftiger, normaler Leute“. Der Beifall: verhalten. So leicht ist der gemeine Westfale nicht aus der Reserve zu locken. Dafür umso mehr Jubel, als Ziemiak den „NRW-Teamchef“ Wüst, Spahn und Markus Söder ankündigte. Die drei ließen sich erst einmal Zeit – so viel, dass das Isselburger Blasorchester sein bayerisches Marschständchen ganze fünf Mal wiederholen musste. Zum Glück ist der gemeine Westfale geduldig.

Für Gastgeber Hendrik Wüst ging dann kaum mehr Heimspiel, sein Wahlkreis liegt genau hier. „Was ist besser als ein Ministerpräsident?“, rief er in die Menge – und gab die Antwort selbst: „Zwei Ministerpräsidenten.“ Wüst, der anders als Söder eher nicht mit grellen Social-Media-Aktionen und Hau-Drauf-Rhetorik auffällt und vielleicht glatt als eine Art Anti-Söder gelten kann, betonte Gemeinsamkeiten.

Wüst in Bocholt: „Politik für die Besonnenen“

„Vor zwei Jahren hat mir Markus Söder Nürnberg gezeigt. Ich hatte die Idee: Wenn wir wieder eine Wahl haben, dann lad ich ihn ein. Und er hat zugesagt“, so Wüst. Bayern und NRW seien sich ja gar nicht so unähnlich. „Bayern ist Laptop und Lederhose. Und NRW ist der Weg von der Kohle zur KI“, so Wüst, der damit zu seinem großen Thema kam: „Wir wollen der KI-Hotspot Nummer eins in Europa werden.“ NRW verstehe sich darüber hinaus als das soziale Gewissen der Bundesrepublik. „Das ist bei der CSU ja nicht viel anders. Da wird Politik für die ganz normalen Leute gemacht, für die Vernünftigen und Besonnenen“, so Wüst und übergab an Markus Söder.

Der groovte sich schnell in den Kalauermodus. Schimpfte über übertriebenen Tierschutz („Wenn jeder Lurch verhindert, dass wir wirtschaftlich vorankommen, dann dürfen wir uns nicht wundern“) Gendern („Wir brauchen keinen Gender-Zwang“) und Fußgänger („Sie erinnern sich an den Ex-Bundeskanzler mit der Jack-Sparrow-Augenklappe und seine Joggerei. Absurd, wie schlecht wir in Deutschland das Auto gemacht haben.“) Dann mit Blick auf Wüst: „NRW ist ein super Land und Bayern ist auch net ohne. Ohne NRW und Bayern wäre Deutschland schlechter dran.“ Das gefiel in der Halle.

Söder im Kalauermodus: „Der Ex-Kanzler mit der Jack-Sparrow-Augenklappe“

Überhaupt sei Deutschland zu schluffig. In den Schulen wolle man angeblich keine Leistung mehr, keine Noten, keinen Sportunterricht. Das sei ja mal anders gewesen. „Weitsprung mochte ich nicht, aber Werfen. Ich hatte einen kräftigen langen Arm, das ist bis heute so“, so Söder, der einen Hang zum Selbstlob hat. Er sei nicht bereit, „den Abstieg Deutschlands“ hinzunehmen: „Ich möchte, dass Deutschland wieder stärker wird.“

Lederhose und Blasmusik: Ein bisschen Heimat für den Besuch aus Bayern.
Lederhose und Blasmusik: Ein bisschen Heimat für den Besuch aus Bayern. „Ein Leben ohne Blasmusik ist möglich, aber sinnlos“, so Markus Söder in Bocholt. © Peter Sieben

Und dann noch eine Spitze gegen das Bürgergeld: es gehe nicht an, dass „ältere Frauen ihren Enkeln nicht mal ein Eis ausgeben“ können und merkten: „Dem Nachbarn wird die Wohnung bezahlt, obwohl er noch nicht lang da ist.“ Er wolle Zuwanderung in Arbeit. „Aber wir sind gegen soziale Zuwanderung in die Sozialsysteme“, sagte Söder, der diesen Satz mit einem „es ist einfach so“ zu untermauern versuchte. Dafür gab es Applaus.

Er wolle für Fortschritt sorgen, auch in der Raumfahrt, kündigt der CSU-Politiker an. „Da mosern die Leute: Der Söder will zum Mond. Will ich gar nicht. Obwohl ich ein paar Leute im Merz-Kabinett kenne, die würde ich schon gerne...“, witzelte der CSU-Chef. Tatsächlich ist Raumfahrt auch in NRW ein großes Thema, gilt als Branche mit gigantischem Wachstumspotenzial.

„Angst, dass Trump Neuschwanstein fordert“

Kurz vor Schluss gab es noch Lob für Kanzler Merz, er habe sich US-Präsident Donald Trump gegenüber gut geschlagen beim Thema Ukraine-Krieg. „Er hat ihn auch nach Bayern eingeladen, da hat Trump ja Wurzeln. Jetzt hab ich ein bisschen Angst, dass Trump demnächst Neuschwanstein fordert“, so Söder. Eine knappe Stunde redete der Bayer – deutlich länger als Gastgeber Wüst. Ganz am Ende dann noch ein Anflug von bayerischer Sturköpfigkeit, als Söder dem Schulferienstreit eine Absage erteilte. Seit Monaten schon monieren viele Bundesländer, darunter auch NRW, dass vor allem Bayern starre Ferientermine habe – während alle anderen ein rotierendes System nutzen. Will Bayern seine Regeln aufweichen? „No Chance“, rief Söder. Zur Versöhnung immerhin gab es noch ein Geschenk für Wüst: Eine Grillschürze mit Söders Konterfei und dem Spruch „Söder grillt“.

Markus Söder
Zum Schluss gab‘s noch eine Wurst für Bayerns Ministerpräsidenten und Fleischliebhaber Markus Söder. © Peter Sieben

Quintessenz des Nachmittags in Bocholt: Die Union will die Partei für „die Normalen“ sein, wer immer damit gemeint ist. Und wirtschaftlicher Aufschwung steht – so hat es sich Schwarz-Rot im Bund auch auf die Fahnen geschrieben – auf der Prioliste ganz weit oben. Ob es hilft, die AfD vielleicht doch noch kleinzuhalten? Am Wahltag am 14. September wird man es erleben.

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