Ostsee als „Nato-See“? Putins Flotte unterfinanziert - aber Studie warnt den Westen
Einer Studie zufolge kann die Nato in der Ostsee nicht auf alle Bedrohungen angemessen reagieren. Mit Blick auf die Baltische Flotte Russlands brauche es mehr Fähigkeiten.
Rostock - Boris Pistorius (SPD) lässt zum Jahreswechsel nicht nach. Der Bundesverteidigungsminister warnt in beinahe jedem Interview eindringlich vor dem Imperialismus von Kreml-Autokrat Wladimir Putin, der wohl Zeit seines Lebens russischer Präsident bleiben will.
Ostsee: Nato hat es mit der Baltischen Flotte Russlands zu tun
Währenddessen sucht Pistorius für die Bundeswehr nach vertieften Partnerschaften, etwa mit der British Army aus Großbritannien. Durch die russische Exklave Kaliningrad und die Baltische Flotte Moskaus gerät derweil auch die Ostsee verstärkt in den Fokus deutscher Sicherheitspolitik.
Einer Studie der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden (CEIP) zufolge gibt es in genau diesem Meer zwischen Deutschland, Skandinavien und Baltikum für das westliche Verteidigungsbündnis Nato noch einiges zu tun. Die Ostsee als eine Art „Nato-See“ zu bezeichnen, sei eine „unglückliche Formulierung“, schreibt die CEIP. Die US-Denkfabrik verweist zum Beispiel auf „verdächtige Schäden an der Gaspipeline Balticconnector“.

Die Ostsee-Anrainerstaaten seien zum Jahreswechsel 2023/24 mit einem „dynamischen regionalen Sicherheitsbild konfrontiert, das eine weitere Verbesserung der Fähigkeiten und erhöhte Kapazität erfordert“, heißt es in der Analyse des Think Tanks aus Washington. Die „regionale Bedrohung“ unterscheide sich „dramatisch von der auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges“.
Baltische Flotte Russlands: Nur ein U-Boot - Studie zur Ostsee warnt dennoch
Das CEIP meint, die wahre Ausrüstung der Baltischen Flotte Russlands zu kennen. Demnach seien bei Kaliningrad, dem früheren Königsberg, ein „einziges dieselelektrisches Angriffs-U-Boot“, fünf Lenkwaffenzerstörer, eine Lenkwaffenfregatte, fünfunddreißig kleinere Patrouillen- und Küstenkampfschiffe sowie dreizehn amphibische Landungsboote stationiert. Laut der US-Denkfabrik sind die russischen Seestreitkräfte seit dem Ende des Kalten Krieges „chronisch unterfinanziert“.
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Und es sei keine Streitmacht, „die in der Lage wäre, durch die Meerenge von Dänemark auszubrechen, um alliierte Nachschubrouten über den Nordatlantik anzugreifen“. Mit Nachschub im Nordatlantik wäre im Rahmen der Nato offensichtlich die US Navy gemeint. Aber: Das CEIP warnt vor einem möglichen „kleinen amphibischen Angriff“, und zwar, „um strategische Inseln anstelle von Städten oder weiten Küstenabschnitten zu erobern“.
Baltische Flotte
Die Baltische Flotte wurde schon im Jahr 1696 gegründet, damals durch Zar Peter I. im Russischen Kaiserreich. Die Schiffe und Soldaten sind in Baltijsk bei Kaliningrad stationiert, das rund eine Million Einwohner hat und eine Exklave Moskaus ist. Der Stützpunkt liegt genau zwischen den Nato-Staaten Polen (rund 38 Mio. Einwohner) und Litauen (rund 3 Mio. Einwohner). Die Nato äußerte in der Vergangenheit wiederholt Sorgen wegen der Suwalki-Lücke, die die Baltische Flotte über 104 Kilometer an der polnisch-litauischen Grenze entlang mit dem russischen Partner Belarus verbindet.
Möglich seien „sowohl verdeckte als auch offene Hybridangriffe“ oder etwa „Spezialoperationen im Meer“. Russlands „weitgehend unterfinanzierte Marine in der Region“ sei immer noch imstande, „unterseeische Energieverbindungen zwischen den Baltischen Staaten und dem Rest der Region“ zu unterbinden. Die Erdgaspipeline Balticconnector dient der These als Beispiel. Am 10. Oktober 2023 hatte Helsinki vermeldet, dass ein Schaden an der Röhre und einem parallel verlaufenden Telekommunikationskabel EE-S1 auf „äußere Ursachen“ zurückzuführen sei.
Ostsee zwischen Finnland und Estland: Möglicher Angriff auf Pipeline Balticconnector
Zehn Tage später gaben finnische Ermittler bekannt, dass sich das chinesische Schiff „Newnew Polar Bear“ zum Zeitpunkt der Beschädigung der Balticconnector am Schadensort aufgehalten habe. Es werde ein möglicher Zusammenhang geprüft. Brisant: China hatte seit Beginn des Ukraine-Kriegs seine Kooperation mit Russland verstärkt. Die USA warnen immer wieder vor diesem geopolitischen Duo. Zumindest russische Provokationen sind in der Ostsee indes nichts Neues. Ein Beispiel: Am 10. Juli 2019 waren bei klarer Sicht Kriegsschiffe vor der deutschen Küste aufgetaucht. Es handelte sich aber nicht etwa um Schiffe der deutschen Marine aus dem Hauptquartier in Rostock.

Sie fuhren stattdessen unter russischer Flagge. Das berichteten seinerzeit die Kieler Nachrichten (KN), der sicherheitspolitische Blog Augen geradeaus! und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.). Die KN veröffentlichten ferner Fotos von dem Manöver, die den Lenkwaffen-Kreuzer „Marshall Ustinov“ sowie den U-Boot-Jagd-Zerstörer „Seweromorsk“ vor der Insel Fehmarn zeigen sollen. Der F.A.Z. zufolge handelte es sich damals um das bislang größte Seemanöver (Übung „Ocean Shield“) der russischen Seestreitkräfte in der Ostsee, mit 69 eingesetzten Schiffen und Booten sowie mit mehr als 10.600 Soldaten.
Russische Kriegsschiffe vor Fehmarn: Deutsche Marine angeblich völlig überrascht
Wie die KN und die F.A.Z übereinstimmend berichteten, soll die deutsche Marine völlig überrascht davon gewesen sein, dass ganze russische Verbände an Rügen und Fehmarn vorbei zum Großen Belt gefahren sind. Wie groß die Mannstärke der Baltischen Flotte derzeit ist, ist derweil nicht bekannt. Laut britischem Geheimdienst hatte Moskau zuletzt S-400-Triumf-Luftabwehrsysteme aus Kaliningrad in die Ukraine verlegt. Und die US-Zeitschrift Foreign Policy hatte schon im Herbst 2022 berichtet, dass wegen der hohen Verluste im Angriffskrieg von einst 30.000 vor den baltischen Ländern und vor Südfinnland stationierten Soldaten bis zu 80 Prozent in die Ukraine abgezogen werden mussten. (pm)