Bald kommt wohl weiterer Zuwachs - „Putin braucht nicht viel tun“: Die Liste der russlandnahen Regierungschefs wächst

Die alte Regierung habe „das Land an die Wand gefahren“. Dafür hätten die Österreicherinnen und Österreicher sie „massiv abgewählt“, davon ist Herbert Kickl überzeugt.

Mit dem Chef der Freiheitlichen Partei (FPÖ) könnte Österreich erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs einen rechtsnationalen Bundeskanzler bekommen; derzeit laufen die Koalitionsverhandlungen mit der zweitplatzierten Volkspartei (ÖVP).

Liga der prorussischen Populisten wird stärker

Und ein Blick über Österreich hinaus zeigt: Die Liga der prorussischen Populisten und EU-Skeptiker wird in der Region entlang der Donau stärker – und könnte sich in nächster Zeit über weiteren Zuwachs freuen.

„Der Erfolg Kickls ist der Niedergang, moralisch und faktisch der ÖVP zu verdanken. Wer nicht mehr buchstabieren kann, was christlich-sozial heißt, hat sich ausverkauft“, kritisiert Monika Salzer. Sie ist Gründerin der Organisation „Omas gegen rechts“.

„Wir gehen einer Orban-Diktatur entgegen“

Zu Tausenden gingen die Mitglieder des Vereins und andere FPÖ-Gegner letzte Woche auf die Straße, um gegen die Koalitionsgespräche zu demonstrieren. Kickl als Kanzler? Das komme einer Kampfansage gegen Menschenrechte, dem Abbau des Rechtsstaats und Freiheiten gleich, ist Salzer überzeugt: „Wir gehen einer Orban-Diktatur entgegen.“

Kickl und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sind Verbündete – und das seit einigen Monaten auch offiziell: Im vergangenen Oktober hofierte der FPÖ-Politiker Orban während dessen Besuch in Wien wie einen Staatsgast, beide unterzeichneten damals die „Wiener Erklärung“. 

Das Dokument unterstreicht unter anderem die „besondere Verantwortung des abendländischen Charakters unseres Kontinentes“.

In Tschechien deutet viel auf Rückkehr von Andrej Babiš hin

Auch außenpolitisch könnte in Wien bald ein neuer Wind wehen. So feiern etliche FPÖ-Funktionäre neben Orban auch den kremlnahen slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico als vermeintlich wahre Friedensbringer im Ukrainekrieg. Beide hatten sich im vergangenen Jahr mit Wladimir Putin in Moskau getroffen.

Dieses Jahr könnte die Gruppe russischer Fürsprecher innerhalb der EU weiter anwachsen – nicht nur in Österreich. Auch im nördlichen Nachbarland Tschechien wird voraussichtlich im Oktober gewählt. Vieles deutet auf eine Rückkehr des früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš hin.

Der Rechtspopulist führt derzeit mit seiner Partei ANO die Umfragen an. „Und da auch zwei weiteren rechtspopulistischen Parteien gute Resultate vorhergesagt werden, könnte sich eine sehr weit rechts stehende Regierung bilden“, meint Ulf Brunnbauer, Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg.

In Ungarn und Tschechien sei die Bevölkerung laut Brunnbauer bislang eher russlandkritisch eingestellt gewesen – „bis Rechtspopulisten im Lande begannen, Brüssel zum Kriegstreiber zu erklären und Russland zu entschuldigen“.

„Eigentlich braucht Putin nicht viel zu tun“

Die bittere Einsicht aus Ostmitteleuropa, aber auch den USA: Große Teile der Wählerschaft in liberalen Demokratien wählten antidemokratische Kräfte nicht nur aus Protest, sondern auch aus ideologischer Identifikation. „Eigentlich braucht Putin nicht viel zu tun, damit sich die westlichen Demokratien selbst schwächen oder abschaffen“, so Brunnbauer.

In Österreich sei der Rechtsruck auch eine Nebenwirkung der Covid-Pandemie, berichtet Malwina Talik, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM): „Der Anstieg der Popularität der FPÖ in den letzten Jahren ist vor allem auf ihren kritischen bis verschwörungstheoretischen Umgang mit den strengen Corona-Maßnahmen zurückzuführen.“

Dass sich Populisten durch eine Einschränkung von Freiheiten aber auch selbst schaden können, hat wiederum Polen bewiesen. Dort gingen die Massen 2020 gegen die strengen Abtreibungsgesetze auf die Straße, die das Verfassungsgericht unter der Regierungspartei PiS beschlossen hatte.

„Um Populisten zu bezwingen, braucht man ein Gegenangebot“

Bei den darauffolgenden Wahlen wurden die Nationalkonservativen zwar erneut stärkste Kraft – jedoch mit deutlichem Verlust und ohne eine erneute Regierung bilden zu können. „In der Wahlkampagne der Opposition wurde die Wahl als ein Kampf um die Demokratie betrachtet, und es herrschte das Gefühl, dass eine weitere PiS-Regierung das Land in den Autoritarismus führen würde“, so Talik.

Auch Renata Mieńkowska-Norkiene, Politologin an der Uni Warschau, bescheinigt ihrem Heimatland eine „starke Zivilgesellschaft“, welche die Politik zur Rechenschaft ziehe.

Jedoch sei der Regierungswechsel nicht allein dem Kampf für Demokratie geschuldet. Die Expertin betont: „Um Populisten zu bezwingen, braucht man ein Gegenangebot.“ In Polen habe die damalige Opposition eine Erhöhung des Mindestlohns und andere Reformen angekündigt. Im Vergleich dazu wirken die Mitte-Parteien in Deutschland und Österreich derzeit eher visionslos. 

Von Markus Schönherr