Anleger sollten gerade wachsam sein: „Autoaktien sind aus gutem Grund günstig“
Die Konjunktur schwächelt, die Autobranche steckt in einer Krise - doch der Dax jagt die Rekorde. Was bedeutet all das für Anleger?
Frankfurt - An den Börsen steigt die Nervosität wieder, schließlich drücken der Nahost-Konflikt, die Konjunkturschwäche und in Deutschland auch die Probleme in der wichtigen Autobranche auf die Stimmung. Gleichzeitig ist die Fallhöhe groß: Allein seit Jahresbeginn hat der Dax rund 15 Prozent zugelegt, in den vergangenen zwölf Monaten waren es 25 Prozent – und bei US-Technologieaktien sogar deutlich über 30 Prozent.
Am Dienstag (8. Oktober) fiel der Dax wieder unter 19 000 Punkte. Ist das der Beginn einer größeren Korrektur, eines Absturzes? Das haben wir Heiko Böhmer von der Fondsgesellschaft Shareholder Value gefragt, die unter anderem den rund eine Milliarde Euro schweren Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen verwaltet.
KI-Aktien überbewertet: Droht der Crash an der Börse?
Herr Böhmer, der Dax hat seit Jahresanfang trotz Ukraine-Krieg, Nahostkonflikt und Konjunkturkrise rund 15 Prozent zugelegt. Sind Aktien jetzt zu teuer?
Blickt man auf die Kurse, sind Aktien tatsächlich sehr teuer. Doch auch wenn das für Börsenlaien komisch klingen mag: Kurse sind wenig aussagekräftig.
Sondern?
Es geht um die Bewertungen von Aktien und gemessen daran, ist der deutsche Dax relativ günstig. Er hat im Moment ein KGV von zwölf.
Ein KGV? Das müssen Sie kurz erklären.
Beim KGV setzt man den Kurs einer Aktie ins Verhältnis zu den Gewinnen eines Unternehmens, also das Kurs-Gewinn-Verhältnis. So weiß man, dass etwa bei einem KGV von zwölf, wie es der Dax gerade hat, es zwölf Jahre dauert, bis man den Preis der Aktien mit den aktuellen Gewinnen finanziert hätte. Das ist ein viel besserer Indikator, um zu messen, ob Aktien teuer sind.
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Aktien sind also trotz der Kursanstiege günstig?
Bei einer Übertreibung wie der Internetblase hatten deutsche Aktien auch schon ein KGV von 20, in Börsencrashs fällt das KGV wieder auf einstellige Werte. Zwölf ist also trotz der jüngsten Kursrekorde weit weg von einer Übertreibung. Das gilt aber nur für deutsche Aktien.
Und für amerikanische?
Sieht es ganz anders aus. Beim breiten US-Index S&P 500 sind wir bei einem KGV von 22, beim Technologieindex Nasdaq sogar bei fast 30. Das ist schon weit über dem zehnjährigen Durchschnitt – obwohl US-Werte immer etwas teurer sind als deutsche Aktien.
So hat sich der Dax 2024 entwickelt
15 Prozent Gewinn haben deutsche Aktien seit Jahresbeginn eingefahren. Das klingt zunächst gut. Doch dahinter verbergen sich riesige Unterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen. So kamen dieses Jahr vor allem die Industriewerte und Autobauer heftig unter die Räder: Der Zulieferer Continental ist seit Jahresanfang fast 30 Prozent im Minus, BMW 23, VW 16, Porsche 15, Mercedes acht. Ebenfalls im Minus: Der Versorger RWE, die Chemiekonzerne Brenntag und BASF, der Logistiker DHL oder der Flugzeugbauer Airbus.
An der Dax-Spitze finden sich dagegen viele Unternehmen in Sondersituationen. So ließ die Aktie von Siemens Energy 2023 heftig Federn, dieses Jahr ist sie dafür 190 Prozent im Plus. Auch die Commerzbank-Aktie hat im Zuge des UniCredit-Einstiegs einen Höhenflug hingelegt. Und Rheinmetall und MTU, die beide auch Rüstungsgeschäfte machen, profitieren von den vielen Brandherden weltweit. Der MDax der mittelgroßen Werte hat übrigens seit Jahresbeginn kaum Erträge gebracht. Die Unternehmen hier leiden stärker unter der heimischen Wirtschaftsflaute.
Treibt der Hype um Künstliche Intelligenz, kurz KI, die Bewertungen so hoch?
Auf jeden Fall, doch auch dort gibt es etliche Abstufungen. Bei Microsoft oder der Google-Mutter Alphabet sind die Bewertungen noch im Rahmen, bei Nvidia hingegen eher nicht. Hier ist das KGV jenseits der 50. Das heißt: Beim aktuellen Gewinn des Konzerns würde es 50 Jahre dauern, bis der Kurs refinanziert ist. Dennoch kann die Aktie weiter steigen: Gibt es an der Börse einen Hype um Firmen wie Nvidia, hoffen alle, dass der Kurs schon noch weiter steigen wird, auch wenn die Aktie schon jetzt eigentlich zu teuer ist. Kann man machen, ist aber nicht wirklich strategisch kluges Vorgehen.
Eine hohe Bewertung führt also nicht automatisch zum Absturz?
Es gibt immer wieder Phasen, in denen Bewertungen in den Hintergrund treten. Das ist aktuell der Fall. Die Story um KI ist für Anleger einfach zu verlockend. Aber irgendwo kommt ein natürlicher Deckel. Zuletzt waren mehrere US-Technologieunternehmen jeweils mehr als drei Billionen Dollar wert. Zum Vergleich: SAP als größter Dax-Titel kommt auf weniger als 300 Milliarden. Da merkt man schon, dass die Luft dünner wird und wir in einer späten Phase des Hypes sind. Zumal gar nicht klar ist, ob sich die Milliardeninvestitionen der Konzerne in KI wirklich so schnell auszahlen, wie manche hoffen.
Sie rechnen also mit einem Crash?
Was heißt Crash? 20 bis 25 Prozent Korrektur sind an der Börse völlig normal, das muss jedem klar sein. Und so eine Korrektur kann durch ganz verschiedene Ereignisse ausgelöst werden. Steckt man in so einem Absturz, ist das hart. Mit etwas Abstand ist es aber nur eine Delle nach unten in einem stetigen Aufwärtstrend. Aber klar: Je höher die Bewertungen, desto höher die Gefahr, dass eine Korrektur kommt.
Gibt es derzeit auch günstige Aktien?
Natürlich! Deutsche und europäische Aktien zum Beispiel, vor allem aus der sogenannten Old Economy. Versicherer wie die Münchner Rueck sind etwa attraktiv. Diese Unternehmen wachsen zwar nicht gewaltig, aber sie haben trotz Klimawandel ein stabiles Geschäft und zahlen auch gute Dividenden. Ein absoluter Zukunftsmarkt ist auch die Medizintechnik. Die Gesellschaft altert, gleichzeitig steigt der Wohlstand und es gibt dort viele Innovationen. Das weiß auch eigentlich jeder. Doch während der Corona-Pandemie sind die Kurse dort so hochgeschossen, dass sie zuletzt wieder eingebrochen sind. Nun sind die Medizinfirmen wieder günstig zu haben.

Sollte man immer nur auf die Bewertungen schauen, wenn man Aktien kauft?
Auf keinen Fall, denn günstig bedeutet nicht automatisch gut – das ist bei Aktien ähnlich wie beim Einkauf. Autoaktien sind beispielsweise aus gutem Grund günstig. Die Kurse der Autobauer sind schon weit heruntergekommen, aber die Gewinne sind noch nicht eingebrochen. Deshalb sehen sie auf den ersten Blick attraktiv aus. Kein Mensch kann aber sagen, wo Volkswagen, BMW oder Mercedes in fünf Jahren stehen und ob die große Krise der Hersteller noch kommt. Die Branche steckt mitten im Umbruch, die Konkurrenz ist riesig, zudem müssen die Firmen gigantische Investitionen schultern und schütten gleichzeitig hohe Dividenden aus. Das ist eine gefährliche Konstellation. Deshalb lieber Finger weg von Autoaktien.