Schimmel, Löcher, Ungeziefer: Deutsche Polizei-Gewerkschaft schlägt wegen Zustand in Wachen Alarm
Schimmel, Ungeziefer, desolate Autos: Polizei-Gewerkschafter Husgen prangert katastrophale Zustände an – und fordert eine Milliardenspritze vom Bund.
Berlin – Schimmel an den Wänden, Löcher in der Decke, Ungeziefer unterm Schreibtisch: Hunderte Polizeiwachen in Deutschland sind so marode, dass sie Polizistinnen und Polizisten krank machen, sagt Hagen Husgen, Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP), im Gespräch mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Probleme gebe es auch mit zahlreichen defekten Dienstfahrzeugen, so der Gewerkschafter, der klare Forderungen an die Bundesregierung und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat.
Herr Husgen, wenn Sie drei Wünsche frei hätten: Was müsste die Regierung für die Polizei tun?
Erstens brauchen wir den politischen Willen, eine zahlenmäßig ausreichende Polizei aufzubauen, die auf dem allerneuesten Stand der Technik ist. Zweitens muss endlich mehr in innere Sicherheit investiert werden, ohne Geld geht nichts. Und drittens brauchen wir mehr Befugnisse für unsere Ermittlungsarbeit. Nur dann macht es überhaupt Spaß, die vielfältigen Aufgaben zu erfüllen.

Heißt: Im Moment macht’s keinen Spaß, Polizist zu sein?
Vielen macht es keinen Spaß mehr, das muss ich ganz ehrlich sagen. Es ist ein toller Beruf, für die meisten ist es sogar eine Berufung. Ein Beruf, der Spaß macht, wenn die Bedingungen stimmen. Aber wenn man sich die Umstände genauer anschaut, muss ich manchmal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Trotz aller Bemühungen gibt es immer noch schimmelige Polizeiwachen, kaputte Dienstfahrzeuge: Wir Polizisten müssen oftmals aus Scheiße Bonbons machen.
Polizei-Gewerkschaft: „Gesundheitsgefährdend, was man unseren Leuten zumutet“
Woran liegt das?
Die Polizei wird im Stich gelassen. Das Thema innere Sicherheit wird in der großen politischen Debatte oft stiefmütterlich behandelt, spätestens, wenn es um Geld geht. Dabei geht ohne Sicherheit nichts – weder Bildung noch Wirtschaft.
Aber die Bundesregierung plant jetzt sehr viel mehr Geld für innere Sicherheit ein. Reicht das noch nicht?
Nein, das reicht auf keinen Fall. Wir haben in Deutschland bei der Polizei allein bei unseren Immobilien einen Investitionsstau im zweistelligen Milliardenbereich. Allein in Berlin sind es zwei Milliarden Euro, in Sachsen eine Milliarde.
Wie sind denn die Zustände in den Polizeigebäuden?
Die Sanitäreinrichtungen in manchen Dienststellen wollen Sie sich manchmal gar nicht anschauen. Jahrzehntealte Toilettenbecken, Schimmel in den Dienststellen, Ungeziefer, kaputte Heizungen und Löcher in den Dächern, durch die es regnet. Es ist teilweise gesundheitsgefährdend, was man unseren Leuten dort zumutet. Es mangelt an Wertschätzung und Respekt gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Und das hat auch Folgen für die Zukunft.
Inwiefern?
Wenn ein 19-Jähriger bei der Polizei anfangen will und sieht, wo er hinkommt, in einen Keller mit einem Spind in einer dunklen Ecke, dann brauchen wir uns nicht wundern, dass die Leute sagen: Ich drehe auf der Hacke um und bin wieder weg. Wir haben ein großes Nachwuchsproblem und das liegt eben auch an den nicht gerade modernen Zuständen in vielen Bereichen. Und ich rede nicht nur von maroden Immobilien.
„Einfach nur peinlich für die Polizei“
Worum geht es noch?
Beispiel Dienstfahrzeuge. Manchmal ist es beschämend, einfach nur peinlich für die Polizei, mit solchen Autos unterwegs zu sein. Fahrzeuge mit aufgerissenen Sitzen und einer halben Million Kilometer auf dem Tacho, kaputte Schaltknüppel. Wenn Bürgerinnen und Bürger das sehen, gibt die Polizei kein gutes Bild ab. Früher hatten wir eigene Kfz-Werkstätten in öffentlicher Hand. Das wird alles immer mehr privatisiert. Je mehr ich privatisiere, desto abhängiger werde ich.
Wie sieht es bei Ihnen im Büro aus?
Oder in der Werkstatt, im Pausenraum, auf den Krankenhausfluren oder im Klassenzimmer? Gibt es Probleme wie Schimmel an den Wänden im Pflegeheim oder defekte Schultoiletten? Oder könnte Ihr Arbeitsplatz vielleicht Vorbild für andere Institutionen und Unternehmen sein? Erzählen Sie es uns und schreiben Sie eine Mail an: peter.sieben@redaktion.ippen.media
Das gilt auch für die Software der Firma Palantir, oder? Die stammt aus den USA. In mehreren Bundesländern nutzt die Polizei sie.
Bei den gewaltigen Datenmengen, die wir heute haben, geht es nicht mehr ohne eine solche Software. Aber die muss ja nicht von Palantir sein. Besser wäre, wenn es bundeseinheitlich ein Tool gäbe, das wir selbst entwickelt haben und wo wir Herr der Lage sind. Aber dafür fehlen wohl die Mittel.
Heißt: Bei der Digitalisierung drückt der Schuh?
Die digitale Ausstattung innerhalb der Polizei ist schlecht. 2016 wurde die Saarbrücker Agenda beschlossen, da geht es um eine Vereinheitlichung der bundesweiten Digitalisierung. Seitdem hat sich nicht viel getan. Jedes Land werkelt auf dem eigenen Teller rum, es fehlt eine klare und vor allem zeitnahe Ansage vom Bund, vom Innenminister.
Also weniger Föderalismus?
Föderalismus ist in einigen Bereichen wichtig, keine Frage. Aber für eine funktionierende Polizei muss man den Föderalismus bei einigen Punkten wie beispielsweise der Digitalisierung zurückdrehen.
2024 gab es Schlagzeilen, weil Polizeibeamte im Einsatz Schimmelbrötchen bekommen hat. War das eigentlich ein Einzelfall?
Das kommt leider immer wieder vor. Und das liegt eben auch daran, dass viel outgesourct wird. Profit darf nicht im Vordergrund stehen. Für mich gehört Service der Polizei in die Polizei. Solche Fälle zeigen auch, dass es mit der Wertschätzung für die Polizei nicht weit her ist.
Als die Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard neulich einen Pulli mit dem Schriftzug „ACAB“ trug: Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ganz ehrlich: Ich hab mich gefragt, ob sie noch richtig tickt. Wir Polizisten machen einfach nur unsere Arbeit. Wir schützen die Allgemeinheit und riskieren dafür unsere Gesundheit. Polizist sein, das ist harte körperliche und psychisch belastende Arbeit. Es ist ein Unding, dass Leute, die in der politischen Öffentlichkeit stehen, uns schlecht machen. Aber wenn bei denen eingebrochen wird, rufen die sofort die Polizei, die ist dann plötzlich Freund und Helfer.
Rechtsextremismus bei der Polizei: „Schattenseiten des Lebens“
Laut einer Erhebung gibt es in Deutschland rund 200 Polizeibeamte, die unter Extremismusverdacht stehen. Dabei geht es vor allem um Rechtsextremismus. Wie erklären Sie sich das?
Wenn man die Zahl in Relation zu allen Polizeibeamten stellt, wird klar: Es ist kein strukturelles Problem. Aber jeder einzelne Extremist bei der Polizei ist einer zu viel. Als Polizist hat man im Berufsalltag oft mit den Schattenseiten des Lebens zu tun. Die sieht man öfter als das Rosa-Rote, und die Belastungen im Job sind groß. Das darf keine Entschuldigung sein. Aber manchmal kippt vielleicht einer aus Frust wegen der harten Belastungen um und denkt: Das System ist schlecht, und vielleicht haben die, wer auch immer die sind, ja recht.
Bräuchte es mehr Betreuung für Beamte, mit Belastungen umzugehen?
Ja, definitiv. Es gibt zwar überall Betreuungsangebote, die aber nicht ausreichen, und manchmal nehmen Kolleginnen und Kollegen die nicht wahr. Auch weil sie Angst haben, dann als schwach zu gelten, oder denken, dass sie keine Hilfe brauchen. Das ist ein Trugschluss. Da müssen wir für mehr Sensibilität sorgen.
Weil Polizisten am Ende auch nur Menschen sind?
Natürlich. Aber wir sind kein Spiegelbild der Gesellschaft, wie es immer so schön heißt. Die Polizei muss mehr sein. Wenn wir ein Spiegelbild der Gesellschaft wären, dann müsste ja zum Beispiel ein bestimmter Anteil der Beamten auch extreme Anschauungen haben, die durch das Spiegelbild gerechtfertigt wären. Extremismus darf es in der Polizei nicht geben.
Würden Sie Ihren Beruf noch einmal ergreifen?
Ja, ich würde es auf jeden Fall noch mal machen, weil mir die Arbeit unheimlich viel Spaß macht. Aber ich bin 61 und lange genug im Geschäft. Ich weiß, dass nicht alles rosarot ist, und ich kann dies einordnen. Das kann ein 19-Jähriger nicht einschätzen – er braucht unheimlich viel Unterstützung. Und dennoch bleibt der Polizeiberuf ein schöner und lohnenswerter Beruf. Dafür muss aber viel mehr getan werden.