Klingbeil will Robin Hood spielen und „Reichen“ Geld abnehmen - der Plan kann nicht klappen

Schon heute klaffen im Bundeshaushalt gewaltige Löcher. Bis 2029 türmt sich eine Finanzierungslücke auf rund 170 Milliarden Euro auf, allein im Etat 2027 fehlen in den Planungen der Bundesregierung rund 34 Milliarden Euro. 

Die Zeiten, in denen sich die Regierung mit kreativen Sondervermögen und einer weit gedehnten Schuldenbremse durchwurschteln konnte, neigen sich dem Ende zu. Das Grundproblem: Die Ausgaben steigen ungebremst, während die Einnahmen trotz Rekordbelastung vieler Steuerzahler nicht mithalten.

Klingbeil inszeniert sich als Robin Hood – sein Plan hat einen Haken

SPD-Finanzminister Lars Klingbeil setzt deshalb auf eine alte sozialdemokratische Reflexbewegung: höhere Steuern für „die Reichen“ und für „die mit den guten Einkommen“. 

Klingbeil inszeniert sich als moderner Robin Hood – doch die Sache hat Haken. Denn die oberen Einkommensgruppen tragen schon heute einen disproportional großen Teil der Finanzierung.

Uwe Wagschal, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Er erforscht Direkte Demokratie, Wahlen und öffentliche Finanzen und lehrte an renommierten Institutionen weltweit. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Wer gut verdient, sieht sich mit einer steilen Steuerprogression konfrontiert. Ab einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent – und bei besonders hohen Einkommen zusätzlich 3 Prozentpunkt (also 45 Prozent) – greift der Staat kräftig zu. 

Obendrauf kommen die sogenannte Reichensteuer (drei zusätzliche Prozentpunkte) und der Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer. Das alles sind bereits erhebliche Belastungen, die kaum den Eindruck erwecken, der Staat ginge mit den Wohlhabenden zimperlich um.

Wie viel bleibt wem?

Die Zahlen sprechen für sich. Eine Familie mit zwei Kindern und 50.000 Euro Jahreseinkommen zahlt rund 3230 Euro Einkommensteuer im Jahr – eine Belastung von etwa 6,5 Prozent. 

Wer hingegen das Zehnfache verdient also, 500.000 Euro, überweist an den Fiskus rund 181.500 Euro, also 36,3 Prozent seines Einkommens. Das ist nicht zehnmal so viel wie bei einer proportionalen Steuer, sondern rund 56,2 Mal so viel. 

Wie weit man diese Schere noch weiter öffnen will, ist im Übrigen tatsächlich eine Gerechtigkeitsfrage: nämlich der Leistungsgerechtigkeit.

Mit anderen Worten: Die oberen Einkommen tragen schon heute die Hauptlast. Der deutsche Fiskus ist progressiv, und er ist es in internationalem Vergleich besonders stark. Klingbeils Forderung, diese Gruppe noch stärker heranzuziehen, blendet diese Realität aus. 

Es klingt populär und populistisch, ist aber fiskalisch riskant – und ökonomisch zweifelhaft. Der Trend ist aber eindeutig: Betrachtet man den Anteil der Top-10-Prozent der Einkommensbezieher so erbringen diese mittlerweile (letzte Daten für 2021) knapp 60 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens. 

Dieser Anteil ist über die letzten Jahrzehnte deutlich gestiegen. 2001 trugen die Top-10-Prozent nur etwa 45 Prozent des Einkommensteueraufkommens, wobei die SPD in 20 der 24 Jahre mitregierte (Union 16 Jahre). Die geplanten Erleichterungen „unten“ und nun möglichen Erhöhungen „oben“ werden den Trend fortsetzen.

Konsolidierung à la Klingbeil: Verantwortung abwälzen

Doch selbst wenn man Klingbeils Steuerideen folgt, bleiben die Haushaltslöcher bestehen. Denn Einnahmeerhöhungen allein schließen keine strukturelle Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen. Dazu wären klare Konsolidierungsanstrengungen auf der Ausgabenseite nötig – und genau hier zeigt sich die Schwäche seiner Linie.

Anstatt selbst harte Prioritäten zu setzen, verfolgt Klingbeil eine sogenannte Bottom-up-Strategie: Die Ministerien sollen selbst Vorschläge machen, wo sie sparen könnten. Doch das ist, als würde man die Kühe fragen, ob sie geschlachtet werden wollen. 

Die internationale Erfahrung zeigt: Solche Verfahren scheitern fast immer. Ressorts kämpfen um ihre Budgets, keiner will den Rotstift ansetzen, und am Ende bleibt der Status quo. Dabei steht im Koalitionsvertrag, dass alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages unter Finanzierungsvorbehalt stehen. 

Und der Finanzminister könnte sich durchsetzen: im internationalen Vergleich verfügt er über viel Macht. So heißt es im Art 112 Grundgesetz: „Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen.“ Der Finanzminister hat also ein starkes Vetorecht.

Was andere Länder vorgemacht haben

Ein Blick ins Ausland belegt, wie erfolgreiche Konsolidierungen in der Vergangenheit funktioniert haben. Länder wie etwa Schweden, Belgien oder Kanada haben in den 1990er und 2000er Jahren nicht auf Selbstverpflichtungen der Ressorts gesetzt, sondern auf Top-down-Konsolidierung.

  1. Schweden unter dem Sozialdemokraten Persson führte ein striktes Ausgabenrahmenverfahren ein, das die Gesamtausgaben deckelte und dem Parlament nur noch begrenzte Spielräume ließ. Dieses Regelwerk sorgte dafür, dass die Ausgaben über Jahre hinweg real sanken.
  2. Kanada startete ein radikales Konsolidierungsprogramm, das von oben gesteuert wurde: Das Finanzministerium schnitt ganze Programme, definierte Prioritäten neu und setzte harte Einschnitte gegen Widerstände durch. Innerhalb weniger Jahre wandelte sich das Land vom Defizitstaat zum Musterknaben mit Haushaltsüberschüssen.
  3. Belgien verknüpfte Konsolidierung mit europäischem Druck und setzte auf einen zentralen Sparkurs, der – auch wenn schmerzhaft – Wirkung zeigte.

Nach der Finanzkrise 2008, zogen etwa die baltischen Länder und Irland besonders die Zügel an. Allen Beispielen ist gemeinsam: Es braucht eine starke zentrale Steuerung, klare politische Entscheidungen und die Bereitschaft, Konflikte offen auszutragen. 

Bottom-up-Verfahren sind im besten Fall eine Simulation von Sparwillen, im schlimmsten Fall reine Verzögerungstaktik. Aktuell sind es vor allem Länder wie Indien und Argentinien unter Milei, in denen Top-Down-Konsolidierungen Wirkung zeigen. 

Selbst Griechenland, unter dem konservativen Mitsotakis, erwirtschaftet aktuell Budgetüberschüsse im zweiten Jahr in Folge und verbessert sein Rating an den Finanzmärkten.

Fazit: Robin Hood spielen? Das reicht nicht!

Klingbeil will Robin Hood spielen und den „Reichen“ mehr abnehmen und die Beute umverteilen. Dahinter steht eine Nullsummenlogik – die Effekte auf Wachstum, Vertrauen und Stabilität der Wirtschaft werden ausgeblendet. 

Doch der deutsche Staat ist kein Dorf im Sherwood Forest. Das Land ist ein komplexer Industrie- und Dienstleistungsstaat, der zudem hoch verschuldet ist, vor allem, wenn man die implizite Verschuldung, also die Zahlungsversprechen in der Zukunft (etwa für Beamtenpensionen) einrechnet. 

Was fehlt, ist nicht der Mut zur Umverteilung, sondern die Kraft zur echten Prioritätensetzung. Wer Haushaltskonsolidierung ernst meint, muss klare Schnitte vornehmen und darf sich nicht hinter einem Ressort-Pingpong verstecken.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.