Rassismus-Parolen zu Aperol und Champagner auf Sylt: Was den Beteiligten jetzt droht

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Seit Tagen diskutiert Deutschland über ein Sylt-Video. © Lea Sarah Albert/dpa

Die Aufnahmen von jungen Leuten haben Nachahmer auf Volksfesten animiert. Auf der Wiesn soll ein ursprünglich harmloser Hit sogar verboten werden.

München – In der Nobel-Disco „Pony“ ist nichts mehr wie vorher. Seit Tagen müssen sich die Betreiber rechtfertigen, warum sie nicht eingeschritten seien, als junge Party-Gäste an Pfingsten munter „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ auf der Terrasse gegrölt hatten. Inzwischen bekommen sie sogar Morddrohungen.

Am Sonntag versammeln sich 70 bis 80 Menschen vor der Promi-Bar, sie haben Plakate dabei, demonstrieren gegen Rassismus. „Das macht einen betroffen, und das macht einen besorgt, dass so etwas hier auf Sylt stattfindet“, sagt der Veranstalter der Mahnwache.

Rechtsextremer Vorfall auf Sylt befeuert Debatte um Rassismus in Deutschland

Sylt, sonst bekannt für seinen 40 Kilometer langen Sandstrand, für Sternerestaurants und exklusive Clubs, ein Paradies für Surfer, Golfer, Prominente, Austernliebhaber – die Insel im Norden erlebt derzeit unruhige Tage. Die Gemeinde Kampen, 462 Einwohner, oft auch als das Saint-Tropez des Nordens bezeichnet – ganz Deutschland blickt auf den Ort, an dem die Reichen und Schönen nach dem Sonnenbaden für eine Champagner-Sause im „Pony“ auch mal 150 Euro Eintritt zahlen.

Seit einigen Tagen steht der Ort nicht mehr für Glanz und Glitzer, sondern für einen Rassismus-Skandal, der ungewohnt viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das 14-Sekunden-Video einer jungen Gruppe, die an Pfingsten auf der Terrasse des „Pony“ heiter „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu Gigi D’Agostinos Elektro-Hit „L’amour toujours“ grölt, verbreitet sich seit Donnerstagabend in rasender Geschwindigkeit in den Sozialen Medien.

Was droht jetzt den Beteiligten?

Der Staatsschutz ermittelt in der „Pony“-Affäre. Aber kann man die Beteiligten rechtlich belangen? Im Raum stehen die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung. Das Zeigen des Hitlergrußes etwa ist allein für sich strafbar. Strafrechtsexperte Prof. Sönke Florian Gerhold von der Uni in Bremen sagte dem „Stern“ aber, es sei eine Wertungsfrage, ob es wirklich ein Hitlergruß war. Anhand der kurzen Videosequenz sei das nicht eindeutig.

Offen sei auch, ob die Parolen als Volksverhetzung gewertet würden. „Dafür müssten sie nach § 130 Strafgesetzbuch auch zu Hass aufstacheln oder zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufrufen“, sagte Gerhold. Die Parolen seien aber nicht in einem aggressiven Kontext, sondern auf einer Party geäußert worden. Das sei zwar geschmacklos, er rechne aber nicht mit einer Anklage. Sollte es doch zu einer Verurteilung kommen, sei eine Geldstrafe wahrscheinlich. Theoretisch sind auch Haftstrafen von drei (verfassungswidrige Kennzeichen) bzw. fünf Jahren (Volksverhetzung) möglich.

Und wie sieht es arbeitsrechtlich aus? Etwa im Fall der Influencerin Milena Karl, die eine Mitarbeiter auf dem Video erkannte und ihr fristlos kündigte? Arbeitsrechtsexperte Prof. Michael Fuhlrott sagte dem ZDF, er habe Zweifel, dass die Kündigung vor den Arbeitsgerichten Bestand habe. Denn das Privatleben sei privat. „Im Normalfall braucht es eine erkennbare Verbindung zum Arbeitgeber, zum Beispiel wenn man Kleidung des Unternehmens trägt oder ausdrücklich gegen Kollegen hetzt.“

Böhmermann zu Sylt-Eklat: „Wer und wo sind diese Menschen?“

„Wer und wo sind diese Menschen?“, fragt der Satiriker Jan Böhmermann, als er eine der ersten Versionen auf der Plattform Instagram teilt. Kurz darauf ist bereits der Name der jungen Frau bekannt, die das Lied am Anfang des Clips anstimmt – so wie ihr Wohnort, ihr Arbeitgeber und ihr Profil auf der Business-Plattform LinkedIn. Ihre Chefin, die Influencerin Milena Karl, verkündet tags darauf, dass sie ihre Mitarbeiterin fristlos gekündigt habe. „Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht großziehen möchte“, sagt sie. Am Freitagnachmittag äußert sich sogar der Kanzler dazu. „Ganz klar: Solche Parolen sind ekelig, sie sind nicht akzeptabel“, sagt Olaf Scholz. Am Abend strahlt auch die „Tagesschau“ das Video aus.

Inzwischen sind die Namen aller Protagonisten öffentlich. Einige leben und arbeiten in München. Einer von ihnen ist ein Influencer mit knapp 60.000 Followern auf Instagram – sein Profil ist inzwischen gelöscht. Auch ein junger Mann aus Prien soll dabei sein. Ein Hamburger, der als Berater für mittelständische Unternehmen arbeitet, wurde ebenfalls fristlos gekündigt.

„Pony“-Geschäftsführer: „Marke ist massiv geschädigt worden

Auch der Mann, der in dem Video mit den Fingern auf der Oberlippe einen Hitlerbart andeutet und einen Arm zu einer Art winkenden Hitlergruß hebt, hat seinen Job bei einer Münchner Werbeagentur verloren. Inzwischen hat er sich öffentlich für die Aktion entschuldigt. Er habe einen „ganz schlimmen Fehler“ gemacht, sei betrunken gewesen – die Aktion sei nicht „Ausdruck seiner inneren Haltung“ gewesen, zitiert ihn die „Bild“. Er habe sich der Polizei gestellt. „Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung.“ An die Öffentlichkeit sei er getreten, weil seine Freunde und seine Familie viele Anfeindungen erhalten hätten. „Deshalb meine Bitte: Seid böse mit mir, aber nicht mit meinen Freunden und Verwandten.“

Auch der „Pony“-Club berichtet von Hass-Nachrichten. „Wir werden aufs Übelste beleidigt und erhalten Morddrohungen“, heißt es auf dem Instagram-Profil des Clubs. Dazu veröffentlichte er eine Sequenz aus einem Überwachungsvideo, das die Szene aus einem anderen Blickwinkel zeigt. „An alle, die ständig fragen: ,Hat man das nicht mitbekommen?‘ Ihr seht selbst, dass die Mehrheit auf dem Video ihren Spaß hat, während eine kleine Gruppe etwas skandiert, das mit unseren Grundwerten nicht vereinbar ist.“ Der Club fordere Schadensersatz von den Problem-Gästen – die Marke sei „massiv geschädigt worden“, sagt „Pony“-Geschäftsführer Tom Kind der Bild.

Wie das Hamburger Abendblatt berichtet, war der Vorfall im „Pony“ an Pfingsten kein Einzelfall. Auch in zwei weiteren Clubs in Kampen soll es an dem Wochenende zu rassistischen Vorfällen gekommen sein. Der Club „Rotes Kliff“ räumte demnach ein, in dem Club sei ebenfalls Gigi D’Agostinos Partyhit „L’amour toujours“ mit dem ausländerfeindlichen Text gegrölt worden. Das sei „widerlich und erbärmlich“. Man habe den jeweiligen Personen Hausverbot erteilt. In der „Sturmhaube“ ebenfalls in Kampen soll zudem eine schwarze Frau beleidigt und körperlich attackiert worden sein. Der frühere linke Bundestagsabgeordnete Niema Movassat hat online ein Video verbreitet, das den Angriff zeigt.

Vorfall in Disco in Sylt: Ein Liebes-Hit wird zur Nazi-Hymne

Die Sylt-Aktion hat inzwischen auch weitere Menschen zum Nachahmen motiviert. Auch auf der Erlanger Bergkirchweih haben am Freitagabend zwei Männer (21 und 26) die rassistischen Parolen zu „L’amour toujours“ skandiert – andere Gäste verständigten daraufhin den Sicherheitsdienst. Der Staatsschutz leitete bereits Ermittlungen ein. In Löningen bei Cloppenburg in Niedersachsen hat am Wochenende sogar ein ganzes Schützenfest-Zelt „Deutschland den Deutschen“ mitgesungen, wie auf einem Online-Video zu sehen ist.

Auch in der rheinland-pfälzischen Gemeinde Kröv gab es eine ähnliche Aktion: Dort wurde am Samstag eine private Gartenparty von der Polizei „wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ aufgelöst. Nähere Angaben zu den Parolen und Liedern gab es zunächst nicht.

„L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino wurde nicht erst beim Sylt-Skandal zur rassistischen Hymne umgedichtet. Der gut 20 Jahre alte Party-Hit galt eigentlich lange als harmloser Ohrwurm-Klassiker, in dem es um die Liebe geht – inzwischen haben aber vor allem Rechtsextreme die Melodie für sich beansprucht. Die „Ausländer raus“-Version des Liedes hat bereits im vergangenen Oktober bei einem Dorffest in Mecklenburg-Vorpommern für einen bundesweiten Eklat gesorgt – unter den grölenden Gästen war auch ein Mann zu sehen, der einen Pullover mit dem Wappen Preußens trug. Seitdem kursieren vor allem auf TikTok immer wieder Videos von Volksfesten und Partys, auf denen die ausländerfeindlichen Parolen dazu gesungen werden – keines davon hat allerdings so viel Aufmerksamkeit erregt wie das Sylt-Video.

Auf dem Oktoberfest soll das Lied sogar verboten werden. Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner sagte unserer Zeitung: „Ich werde bis zur äußersten Grenze des rechtlich Machbaren dafür sorgen, dass das Lied auf der Wiesn keinen Platz hat. Wer dagegen verstößt, wird mit einem Platzverweis und Hausverbot belegt.“ Da gebe es „überhaupt keinen Spielraum“. (Kathrin Braun)

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