Nächstes CDU-Wahlversprechen nicht haltbar? Gutachten zieht klaren Schluss zu Merz‘ Zurückweisungsplänen

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Migrationspolitik ist ein zentraler Streitpunkt in den Sondierungen zwischen Union und SPD. Friedrich Merz wich bereits von seiner radikalsten Forderung ab.

Berlin – In der Rechtsabteilung des Bundeskanzleramtes hält man die von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz geforderten dauerhaften Zurückweisungen von Asylsuchenden an deutschen Grenzen offenbar für illegal. Das geht aus einem internen Gutachten hervor, über das der Berliner Tagesspiegel am Freitag (7. März) berichtete. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigte den Bericht. Am Donnerstag (6. März) sollen Union und SPD sich in den Sondierungen in der Migrationspolitik in einigen Punkten einig geworden seien. Von Zurückweisungen war jedoch keine Rede mehr.

Juristen nicht nur im Bundeskanzleramt halten Merz‘ Plan für Zurückweisungen für illegal

Im Bundeskanzleramt sei man auf Basis der ständigen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und der „überwiegenden Auffassung der Rechtswissenschaft“ zu dem Schluss gekommen, dass der Vorschlag von Merz wohl illegal wäre. Das erklärte ein Sprecher der Bundesregierung der Tageszeitung. Im Kanzleramt sei man der Meinung, dass die von der CDU ventilierte Idee, einen in den EU-Verträgen vorgesehen Ausnahmezustand wegen einer angeblichen Überforderung des deutschen Asylsystems auszurufen, europarechtlich nicht haltbar sei.

Eine Position, die etwa der Konstanzer Migrationsrechtler Daniel Thym seit Jahren vertritt. Alle Versuche von EU-Mitgliedstaaten nach dieser Ausnahmeklausel – Artikel 72 der Verträge über die Arbeitsweise der Europäischen Union – seien gescheitert, schrieb er 2024 im Fachportal Verfassungsblog. Ein Dutzend Urteile gebe es, in denen der EuGH gegen den Versuch von Mitgliedsstaaten geurteilt habe, mit dem Notstandsargument EU-Recht auszuhebeln. Grundsätzlich, schrieb Thym 2022 in einem Gutachten, sei es für wohlhabendere EU-Staaten sogar noch schwerer, eine Überforderung ihrer Asylsysteme vor dem EuGH glaubhaft zu machen. So scheiterte etwa Österreich 2022 mit diesem Argument vor dem EuGH.

Union hält Dublin-System für dysfunktional und wollte deshalb Schutzsuchende abweisen

Die Union berief sich zuletzt immer wieder auf die „Dysfunktionalität“ des sogenannten Dublin-Systems (Infobox) wonach Asylsuchende im ersten EU-Land, das sie erreichen, bleiben sollten. So argumentierte etwa die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz aus Aschaffenburg gegenüber dem Nachrichtenmagazin Stern. Andere Mitgliedsstaaten würden seit Jahren „fast so viele Asylbewerber zu uns, wie wir ihnen überstellen.“ Das sei „grotesk“, so Lindholz. Bei den meisten nach dem Dublin-System nach Deutschland überstellten Menschen handelte es sich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge um Angehörige anerkannter Geflohener.

Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg Ende Januar stellte Merz einen Fünf-Punkte-Plan „für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“ vor. Der Kanzlerkandidat der CDU ließ ihn eine Woche später als rechtlich wirkungslosen Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und AfD im Bundestag beschließen. Merz kündigte an, „im Wege der Richtlinienkompetenz“ des Bundeskanzlers an seinem ersten Tag im Amt Zurückweisungen aller Schutzsuchenden an deutschen Grenzen durchzusetzen. Da Merz auch erstmals einen gemeinsamen Beschluss der CDU mit Stimmen der extremen Rechten im Bundestag durchsetzte, warfen ihm liberale und linke Beobachter vor, die Demokratie zu beschädigen.

Wie funktioniert das Dublin-System (nicht)?

Grundsätzlich ist die europäische Rechtslage klar: Wer einen Asylantrag stellt, hat Anspruch auf eine rechtsstaatliche Prüfung – auch wenn die betreffende Person bereits einen Antrag in einem anderen EU-Land gestellt hat. Dann greift allerdings das sogenannte Dublin-System, wonach das Land des Erstantrages auch die Verantwortung für den oder die Antragsstellende trägt. Daher sollte die Person dann in das jeweilige Land des Erstantrages abgeschoben werden. Pauschal davon ausgenommen sind Minderjährige.

Dublin-Abschiebungen scheitern an Fristen und anderen EU-Mitgliedsstaaten

Allerdings gibt es EU-Länder, in die Abschiebungen regelmäßig von deutschen Gerichten gestoppt werden: In Italien etwa werden Asylsuchende oft so schlecht versorgt, dass insbesondere vulnerablen Gruppen oft zugestanden wird, ein Asylverfahren in Deutschland zu durchlaufen. Ähnliches gilt für Griechenland, wobei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2024 mitteilte, die Abschiebungen dorthin wieder aufzunehmen.

Für eine Abschiebung nach der Dublin-Verordnung hat jeder Staat sechs Monate Zeit. Die meisten Dublin-Abschiebungen scheiterten 2024 an den anderen Mitgliedsstaaten, die Fristen verstreichen ließen oder sich weigerten, die Menschen zurückzunehmen. (kb)

Verfassungsrechtler sieht „Alarmzeichen“ in Merz‘ Plänen – Zurückweisungen in Sondierungen kein Thema

Unter Juristinnen und Juristen herrschte bereits damals ein gewisses Entsetzen über die Inhalte von Merz‘ Plan: Neben den Zurückweisungen forderte der Kanzlerkandidat damals auch, alle „vollziehbar ausreisepflichtigen“ Ausländer „unmittelbar“ zu verhaften. Im Januar 2025 wären das ungefähr 220.000 Menschen gewesen. Der Hallenser Verfassungsrechtler Winfried Kluth sah in der „Leichtigkeit“, mit der Menschen ihrer Freiheit genommen werden sollte, „ein Alarmzeichen für einen verlorenen rechtsstaatlichen Kompass“.

Pocht in den Sondierungen auf seinen Migrationsplan: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU).
Pocht in den Sondierungen auf seinen Migrationsplan: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU). © Guido Bergmann/dpa

Diese Forderung räumte Merz bereits vor der Bundestagswahl wieder ab. So sagte er in einem TV-Duell mit dem Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass man die 40.000 unmittelbar Ausreisepflichtigen „natürlich nicht alle festnehmen“ könne. Eher ein praktisches als ein rechtsstaatliches Argument.

Ob die Union an der Forderung nach Zurückweisungen aller Asylsuchenden festhalten kann, war während der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD am Freitagnachmittag noch unklar. SPD-Chef Lars Klingbeil lehnte ausnahmslose Zurückweisungen in der ARD-Sendung „Maischberger“ klar ab. Dem Newsletter-Dienst table.media zufolge seien aus Sondiererkreisen einige Einigungen zu zwischen den Parteien zu vernehmen: Dauerhafte Grenzkontrollen, mehr Befugnisse und Personal für die Bundespolizei, Ausweitung der Abschiebehaft für Straftäter, weniger Klagemöglichkeiten gegen Abschiebungen und eine „sehr ernsthafte“ Prüfung von Asylverfahren außerhalb der EU. Die Zurückweisungen wurden nicht genannt. Merz steht wegen seiner Zustimmung zu Reform der Schuldenbremse und kreditfinanzierten Infrastrukturinvestitionen parteiintern unter Druck. (kb)

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