„Wahlarena“ und „Klartext“: Wer die Studio-Zuschauer bei ARD und ZDF aussucht – und nach welchen Kriterien
Die Wahlduelle von ARD und ZDF liefern nicht nur Streit zwischen Kandidaten – sondern auch über das Publikum im Studio. Ein Blick hinter die Kulissen.
„Es wird ein spannender Abend“, versprach Moderator Christian Sievert am Donnerstag zu Beginn von „Klartext“. Den Anspruch des Senders formulierte Chefredakteurin Bettina Schausten: Die Sendung sei „die beste Gelegenheit sich zu informieren, wenn Sie noch keine Entscheidung getroffen haben, heute Abend sind Sie richtig im ZDF.“ Nacheinander wurde den vier Kanzlerkandidaten Scholz, Habeck, Weidel und Merz live auf den Zahn gefühlt. 5,14 Millionen Menschen schauten zu. Doch wer hat die 120 Gäste vor Ort wonach ausgesucht?
Vor einer Woche, nach der Sendung „Schlagabtausch“ mit den kleinen Parteien, war das ZDF für die Zusammensetzung des Publikums kritisiert worden. Denn das stammte vor allem von zwei Berliner Universitäten und beklatschte nur Aussagen der Linken und der Grünen. Hatte das ZDF aus dem Fehler gelernt? Kurz nach der Sendung zur nahenden Bundestagswahl teilte ein Nutzer auf X ein Foto, auf dem ein junger Mann mit Vollbart zu sehen ist – er saß im „Schlagabtausch“ und nun bei „Klartext“.
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Kritische Fragen im ZDF-„Klartext“ an Weidel – doch überraschend kam das nicht
Das ZDF teilte mit: „Neben den Aufrufen auf Social Media hat die Redaktion zusätzlich Personen kontaktiert, die sich beispielsweise in Fernsehbeiträgen oder Zeitungsartikeln zu unterschiedlichsten Themen geäußert haben. Ziel ist es, eine vielfältige und thematisch breite Diskussion zu ermöglichen. Bürgerinnen und Bürger können dabei ihre Erfahrungen teilen, Fragen und Erwartungen an die vier Politiker richten. Aus mehreren hundert Zuschriften hat die Redaktion die Auswahl getroffen.“

In der 150 Minuten langen Sendung wurde an dritter Stelle AfD-Chefin Alice Weidel befragt. Zuerst von Christoph Miethke, der als Potsdamer Unternehmer vorgestellt wurde. Er trug ein 86 Sekunden langes Statement vor und fragte, wie Weidel sicherstellen wolle, dass sich seine Mitarbeiter mit ausländischem Pass willkommen fühlten. Was das ZDF nicht sagt: Miethke ist „stolzer Unterstützer“ von „Brandenburg zeigt Haltung“. Sein Zitat auf der Website: „Feinde der Demokratie, Rassisten und Zyniker wählt man nicht. Nicht aus Protest, nicht aus Ignoranz, einfach gar nicht!“
Wahlsendungen bei den Öffentlich-Rechtlichen: Applaus für „Wir brauchen mehr Migration!“
Danach kam Bodo de Vries zu Wort. Der Geschäftsführer des Evangelischen Johanneswerks war zuvor bereits in der „Lokalzeit“ des WDR aufgetreten und engagiert sich politisch bei „Nicht mit uns!“ Tage vor der Sendung warb er für seinen Auftritt auf der Homepage der Pflegeeinrichtung. Er werde Weidel „unmissverständlich sagen, dass wir Menschen aus anderen Herkunftsländern sehr schätzen und auch dringend brauchen.“ Gesagt, getan. De Vries hielt einen politischen Vortrag: „Wir brauchen nicht weniger Migration, sondern mehr!“ Applaus des Publikums. Neben De Vries saß und redete eine abgelehnte Asylbewerberin aus Georgien, die in seiner Pflegeeinrichtung arbeitet.
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Später lachte das Publikum Weidel, die sich angriffslustig und dünnhäutig zeigte, für ihre Aussagen aus. Am Ende kam die 20-jährige Erstwählerin Judith Wolff zu Wort. Sie bezeichnete Weidels Haltung zur EU als „fehlgeleitet“, sie würde die Vorteile des Binnenmarktes „ignorieren“. Ihre Suggestivfrage: „Wollen sie wirklich gegen die Expertise von Wirtschaftsinstituten handeln?“ Gut wäre gewesen, hätten die Zuschauer erfahren, dass die Studentin laut ihrem LinkedIn-Profil 2023 ein viermonatiges Praktikum bei Tim Pargent, einem bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, gemacht hat.
Hat das ZDF davon gewusst? Der Sender schreibt: „Die Gäste, die sich mit einer Frage oder Wortmeldung einbringen, wurden vorher gefragt, ob sie einer Partei angehören.“
Politiker-Duelle vor der Bundestagswahl: Geld für die Studio-Zuschauer im ZDF – ARD schweigt
Das ZDF bestätigt zudem, dass den Gästen eine „Reisekostenpauschale“ gezahlt wurde. Die Höhe sei abhängig von der Entfernung zwischen Wohnort und Berlin, wo die Sendung aufgenommen wurde.
Am Montagabend werden Scholz, Habeck, Weidel und Merz in der „Wahlarena“ erneut zwei Stunden lang befragt. Diesmal stellen sie sich ab 21.15 Uhr live im Ersten den Fragen von 155 Zuschauern. Sie seien unter 2000 Bewerbern ausgewählt worden. Auch der Autor dieses Artikels hatte sich beworben. Und erhielt eine Absage. Der für die Sendung verantwortliche WDR teilte mit, man habe Menschen „aus unterschiedlichen Regionen oder Altersgruppen berücksichtigt und sich an den zentralen Themen des Wahlkampfs orientiert. Ein weiterer Aspekt bei der Auswahl war zum Beispiel, ob die Bewerberinnen und Bewerber ihre Frage mit persönlichen Erfahrungen ergänzen konnten.“ Davon war allerdings im Frageformular keine Rede.
Die Frage, warum die Sendung in Berlin auch durch Techniker des NDR aus Hamburg realisiert wurde und welche Kosten dabei anfielen, ließ der Sender unbeantwortet. Auch zur Frage nach einem Honorar für die Gäste schweigt der Sender.
Bei der privaten Konkurrenz gab es ebenfalls eine Wahl-Runde mit den vier Spitzenkandidaten. RTL und ntv zeigen ihr „Quadrell“ am Sonntag. Und lösten das Dilemma eines möglicherweise parteiischen Publikums auf ihre Weise – es gab gar keine Zuschauer. Eine Sprecherin: „Das passt aus unserer Sicht nicht zu einem direkten Schlagabtausch der Kanzlerkandidaten, von dem die Zuschauer substanzielle und von der Umsetzung her neutrale Informationen für ihre Wahlentscheidung erwarten können.“ (Alexander Teske)