Konflikt im Südkaukasus: Als Georgien und Russland Krieg führten

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Nach fünf Tagen war alles vorbei: 2008 gewann Russland den Krieg in Georgien. Seitdem ist der Konflikt eingefroren – mit bis heute spürbaren Folgen.

Tiflis – Am 14. Mai hat Georgien das umstrittene Gesetz über „ausländische Einflussnahme“ verabschiedet. Der Entwurf ist aus Russland kopiert: Im Land tätige NGOs und Medien sollen sich registrieren, wenn sie mindestens 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten.

Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ argumentiert, das Gesetz sorge für mehr Transparenz. Kritiker sehen in ihm eine Einschränkung der Medienfreiheit wie in Russland. Dort wird es regelmäßig angewendet, um unliebsame Stimmen mundtot zu machen.

Georgien und Russland seit Jahrzehnten auf Kriegsfuß

Für Georgien, wo ein Großteil der Bevölkerung auf einen EU- und Nato-Beitritt hofft, ist die Entscheidung eine Grundsatzfrage: Bleibt das Land auf seinem pro-europäischen Kurs? Oder rutscht es in die Autokratie – wie sein Nachbar Russland? Präsidentin Salome Surabischwili hat ihr Veto angekündigt, doch ihre Macht ist begrenzt. Wenn sich die Regierungspartei durchsetzt, ist dies ein definitiver Schritt Richtung Russland. Dabei sind die beiden Staaten seit Russlands Einmarsch 2008 eigentlich verfeindet.

Georgien EU
Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp

Der Konflikt um die beiden abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien begann bereits Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Beide erklärten zunächst ihre Unabhängigkeit. Abchasien wollte einen eigenen Staat für die ethnische Minderheit der Abchasen. Südossetien wollte eine Vereinigung mit dem russischen Nordossetien erzielen. Der Konflikt eskalierte, im Georgisch-Abchasischen Krieg starben mehr als 10.000 Menschen. Seit 1994 sind in beiden Staaten russische „Friedenstruppen“ stationiert.

Insbesondere in Südossetien schien sich die Lage unter anderem dank lascher Grenzpolitik zu entspannen. Dann kam die Nacht vom 7. auf den 8. August 2008. Georgische Truppen marschieren in die beiden de facto Republiken ein – um einem russischen Angriff zuvorzukommen, sagt Tiflis. Nach fünf Tagen enden die Kämpfe am 12. August 2008. Dabei kamen circa 850 Menschen ums Leben, fast 200.000 weitere mussten fliehen. Manche davon sind bis heute Vertriebene.

Russland will seine Einflusssphäre vergrößern

Russland dementiert, einen solchen Angriff geplant zu haben. Auch die EU kommt ein Jahr später zu dem Entschluss, es hätte keine Anzeichen dafür gegeben. Doch: Um seine Einflusssphäre im Süden auszudehnen, habe Russland den Konflikt angestachelt. Zum Beispiel durch die Herausgabe russischer Pässe – wie aktuell in der Ukraine. Auch ökonomisch sind Südossetien und Abchasien völlig von ihrem Wohltäter abhängig. Heute erkennen die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens – neben Russland – nur vier weiteren Staaten an: Syrien, Nicaragua, Venezuela und der Pazifik-Inselstaat Nauru. Durch die fehlende Anerkennung sind die de facto Republiken sowohl politisch als auch wirtschaftlich abgekapselt.

Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp

Mit seiner Isolationspolitik, der russischen Staatsbürgerschaft und der erzwungenen Abhängigkeit versucht der Kreml, die beiden Regionen informell zu annektieren. Doch auch militärisch ist das Land nach wie vor präsent. Die Georgier sagen: Jeden Tag verschieben die russischen Soldaten die Grenze einen Schritt weiter. In der Folge werden manchmal Zivilisten aufgrund „illegaler Grenzübertritte“ verhaftet und zu Bußgeldern gezwungen.

Seit dem Ukraine-Krieg entfernen sich Bevölkerung und Politik zunehmend voneinander

In der Bevölkerung wächst deshalb seit dem Ukraine-Krieg die Angst vor einem Einmarsch, das Verhältnis ist angespannt. Wer in Tiflis über die großen Boulevards schlendert, sieht überall Sticker und Graffitis wie „Ruzzia is a terror state“ oder „Russen, lebt in Angst“. Insbesondere seit dem Anstieg russischer Migranten, die dem autoritären Staat oder dem Kriegsdienst entkommen wollten, kommt es zu Anfeindungen. Die Russen seien unter anderem schuld an den unmöglichen Mietpreisen, heißt es.

Die abtrünnigen Republiken sind für Georgien ein Problem. Denn: Die ersehnte Nato-Mitgliedschaft – und damit der Schutz vor der ehemaligen Besatzungsmacht – setzt voraus, dass ein Land die Kontrolle über sein gesamtes Territorium hält. Die EU ihrerseits hat Georgien zwar 2023 offiziell als Beitrittskandidaten aufgenommen. Doch die wankende demokratische Ordnung kann den Gesprächen schnell ein Ende bereiten. Bevölkerung und Politik driften immer weiter auseinander: die einen Richtung Westen, die anderen gen Osten. Und so bleibt das Informationszentrum über die Nato und EU am Freiheitsplatz der Hauptstadt weiterhin geschlossen. (ah)

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