„Aufstehen, weiter geht’s!“ Leistung muss wieder zählen – auch bei Kindern

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Bayerns Innen- und Sportminister Hermann will nach den Olympischen Spielen in Paris auch in Deutschland das Leistungsprinzip wieder stärken. Ein Interview.

München – Es waren fröhliche Spiele in Paris, sichere und begeisternde. Sagt auch Joachim Herrmann, Bayerns Innen- und Sportminister. Trotzdem ist er mit der deutschen Medaillenbilanz nicht zufrieden: Geht besser, findet er, da geht mehr. Er rät zu mehr Leistungsbereitschaft. Und bringt für München eine Olympiabewerbung 2040 ins Spiel. Wir treffen den CSU-Politiker zum Interview – im Olympiapark.

Olympia in Paris lief für die Veranstalter toll, die deutschen Athleten wurden zu Hause auch mit Jubel empfangen. Was gibt es zu mäkeln, Herr Minister?

Es war perfekt organisiert, und ich war wie viele in unserem Land unheimlich stolz auf die Erfolge unserer Sportlerinnen und Sportler. Ich habe zum Beispiel in Paris erleben dürfen, wie Jessica von Bredow-Werndl und Isabell Werth Gold und Silber im Dressurreiten geholt haben. Toll! Wir freuen uns über jede Medaille, und es waren auch grandiose vierte und fünfte Plätze dabei. Trotzdem müssen wir über die Gesamtbilanz reden. Warum hat Großbritannien fast doppelt so viele Medaillen wie Deutschland? Warum haben die Niederlande, so groß wie Bayern, so viele Medaillen wie ganz Deutschland?

Glück? Zufall? Und ist das denn so wichtig?

Das sind Länder, die unübersehbar rechtzeitig ihre Sportförderung massiv erhöht haben. Wenn es jemandem egal ist, ob wir Medaillen gewinnen, respektiere ich das. Ich sehe das anders, ich will unterstützen, dass wir uns zum Leistungsprinzip bekennen und stolz sind, wenn deutsche Sportlerinnen und Sportler die Weltspitze erreichen. Für die Spitzensportförderung steht hier der Bund in der Verantwortung. Bayern leistet einen großen Beitrag im Nachwuchsleistungssport und auch im Bereich der Sportstätten, ohne die ein Spitzensport in Deutschland undenkbar wäre. Die Länder und der Bund müssen über die aktuellen Entwicklungen sprechen.

Haben wir ein Problem mit der Sportförderung?

Wenn wir wollen, dass Deutschland erfolgreicher abschneidet, müssen wir mehr Geld investieren. Darüber wird nun seit Jahren mit dem Bund diskutiert, vorangegangen ist wenig. Und ich halte den Trend für fatal, die Leistungszentren im Spitzensport in einem Land der Größe Deutschlands massiv zu zentralisieren.

Wo konkret passiert das?

Beispiel Schwimmleistungszentren: Den Standort in Bayern aufzugeben und alles nach Magdeburg zu packen, wäre totaler Blödsinn. Da verlieren wir Talente. Mein Gegenbeispiel sind die vier Rodel- und Bobzentren in ganz Deutschland, bei uns am Königssee, in NRW, Thüringen und Sachsen. Das funktioniert, wir sind seit Jahren in diesen Disziplinen einsame Weltspitze. Und die Spitzensportler kommen eben sehr oft aus der Heimatregion eines dieser vier Leistungszentren.

Sie deuten an: Es muss mehr um Leistung gehen. Sind wir zu lätschert geworden? Oder ist der Vorwurf gerade gegenüber Spitzensportlern unfair?

Die einzelnen Sportler trifft das nicht, die kämpfen, trainieren unglaublich viel. Die Frage ist: Warum haben wir nicht mehr Talente? Warum nicht mehr überraschende Triumphe wie jenen der Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye? Wir sollten daraus lernen, wieder mehr auf Leistung zu setzen. Die Relativierung des Leistungsgedankens findet leider immer stärker beim Kinder- und Jugendsport statt, ist aber grober Unfug – unter anderem beim deutschen Standardsport Fußball.

Sie meinen die Jugendligen, in denen es nicht mehr um Sieg gehen soll, sondern um Spaß am Spiel.

Ich weiß von vielen Trainerinnen und Trainern sowie Vorständen vor Ort, dass die solche Debatten für einen ziemlichen Schmarrn halten. Auch eine E-Jugend will Spiele gewinnen und sich nicht nur darüber freuen, ein bisschen Ball zu spielen. Es ist falsch, wenn irgendwelche Superexperten Kinder krampfhaft vor Niederlagen schützen wollen. Das Großartige an der Jugendarbeit in unseren Vereinen ist doch, dass sie den jungen Menschen genau das spielerisch nahebringen: Wer sich anstrengt, kann großartige Erfolge haben, aber man wird auch Niederlagen erleben und sie wegstecken müssen. So ist das im Leben, und der Sport bereitet viele Kinder darauf vor: Aufstehen, weiter geht’s!

Sind Bundesjugendspiele ohne Sieger nutzlos?

Natürlich sind in unserem christlichen Menschenbild alle gleich viel wert – der Stabhochspringer, der sechs Meter überspringt, ebenso viel wie der Joachim Herrmann, der das nicht schafft. Aber zum Prinzip, dass aus Spitzenleistungen Vorbilder entstehen, müssen wir als Gesellschaft wieder stärker stehen. Wir haben eine gesellschaftliche Tendenz, den Wettbewerb zu viel zu problematisieren. Aber was ist daran so schlimm, wenn der eine besser in Mathe und der andere erfolgreicher bei den Bundesjugendspielen ist? Diese Gleichmacherei und der Versuch, niemanden mit Maßband und Stoppuhr zu diskriminieren, weil er vielleicht nicht so schnell laufen kann, ist verkrampft.

Zurück zu Olympia. Briten und Franzosen haben doppelt so viele Medaillen wie wir, sie waren auch Gastgeber. Gibt‘s den Zusammenhang zwischen Ausrichterschaft und langfristigem sportlichem Erfolg?

Den kann es geben. Ein großes Sportereignis kann in der Breite motivieren, auch in weniger populären Sportarten. Als vor zwei Jahren hier in München die European Championships erfolgreich liefen, hat das natürlich Menschen begeistert, nicht nur vorm Fernseher. Die ganze Stadt war auf den Beinen, und für einige Sportarten gab das einen Schub.

Sollte München sich dann nicht gleich auch für Olympia bewerben? So richtig wagt sich da keiner ran...

Eine deutsche Olympiabewerbung wäre aus meiner Sicht absolut richtig für 2040 oder 2044. München sollte sich als Gastgeber anbieten. Wir haben große Startvorteile, haben weltweit ein strahlendes Image und haben mit der Fußball-EM und den European Championships bewiesen, wie gut wir sportliche Großveranstaltungen organisieren können. Meine feste Überzeugung: Ein Konzept wie in Paris mit modernen, ökologischen Spielen könnte München perfekt umsetzen.

Die Isar wäre sauberer als die Seine.

Ja, aber die Strömung der Isar wäre auch für Schwimmwettkämpfe zu stark. Der entscheidende Punkt ist: Die großen Sportstätten sind in München vorhanden, mit dem Olympiastadion, den Sporthallen, der Fußball-Arena, wir haben Reitsportanlagen in Daglfing, den Eiskanal in Augsburg, die Schießanlagen in Garching-Hochbrück und die Regattastrecke in Schleißheim. Paris hat dazu noch temporär Sportanlagen für kurze Zeit aufgestellt, etwa die Tribünen fürs Beachvolleyball vorm Eiffelturm oder für den Pferdesport in Versailles.

Also: keine Bauruinen?

Das gehört zum ökologischen Anspruch einer deutschen Bewerbung – anders als zum Beispiel bei manchen Stadien in Südafrika, die wenige Jahre nach der Fußball-WM wieder verrotten. Und noch ein Aspekt: Wenn wir beklagen, dass Sport-Großereignisse an Staaten mit zweifelhafter Menschenrechtslage vergeben werden – dann müssen wir uns in der Mitte Europas eben selbst bewerben!

Und fallen vielleicht durch?

Ich weiß nicht, wie groß unsere Chancen sind, aber wir sollten den Mut haben, uns zu bewerben. Es wird in Politik und IOC geredet über eine deutsche Bewerbung von Berlin, von Hamburg, von Rhein-Ruhr – oder eben München.

Sie erinnern sich: Gegen Winter-Olympia gab es Bürgerbegehren in Bayern. Ärger über korrupte Funktionäre, IOC-Gehabe, Sorge vor Milliardenkosten. Was wäre diesmal denn anders?

Wir müssen mit der Bevölkerung reden. Damals gab es große Vorbehalte, auch wegen großer Neubauten. Die bräuchte es diesmal nicht, München wird sich nicht so verändern wie vor 1972, was ich übrigens als kleines Kind noch mitbekommen habe. Damals wurden hier im Olympiagelände buchstäblich Berge versetzt. Wo Olympia 2040 oder 2044 München aber helfen könnte, ist noch mal ein Schub bei der Infrastruktur. Und den braucht es, wie wir bei der Fußball-EM 2024 etwa bei der Bahn gesehen haben – da wurde ja schon als Ausnahme gefeiert, wenn mal ein Zug pünktlich fuhr.

Olympiabewerbung als Tritt in unseren eigenen Allerwertesten: Wir müssen wieder besser und schneller werden?

Ich nehme jedenfalls viel Stirnrunzeln im Ausland über manche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland wahr. Ja, das gilt nicht nur sportlich: Eine Bewerbung könnte uns eine Menge Schub geben.

Kritik an der Sportförderung

Das schwache Abschneiden der deutschen Olympia-Mannschaft in Paris ist aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln auch Folge einer unzureichenden Sportförderung. „Die deutsche Sportförderung ist ineffizient und verfehlt ihr Ziel“, sagte IW-Ökonomin Melinda Fremerey. In den vergangenen zehn Jahren stiegen laut IW-Studie die Ausgaben für Spitzensportförderung inflationsbereinigt von 44 Millionen auf knapp 60 Millionen Euro, aber bei abnehmendem Erfolg. Deutschland belegte in Paris nur noch Rang zehn im Medaillenspiegel. Laut Studie zahlte der Bund pro gewonnener Medaille fast doppelt so viel an Zuschüssen an die Sportverbände aus wie 2016.

Was Olympia 1972 für München brachte

Die Spiele von 1972 prägen München noch heute. München habe sich in einer dynamischen Phase befunden, schreibt Prof. Dr. Ferdinand Kramer von Institut für Bayerische Geschichte der LMU im „Historischen Lexikon Bayerns“. Die Millionen-Einwohnergrenze war überschritten, die öffentliche Infrastruktur an den Grenzen. Die Spiele boten die Chance, die Stadt schnell zu entwickeln: Mittlerer Ring, Altstadtring, U- und S-Bahn, Fußgängerzone, Olympiapark, Olympiadorf – begleitet von steigenden Mieten und Immobilienpreisen. „Nach den Spielen propagierte der neue Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) eine Mäßigung des Wachstums der Stadt; tatsächlich reduzierte sich die Einwohnerzahl zeitweise“, schreibt Kramer. Dennoch: Die neue Infrastruktur und Sendetechnologien machten München zum Medienstandort und begünstigten die Bewerbung für die Fußball-WM 1974. Das Olympiastadion war auch Basis für den internationalen Aufstieg des FC Bayern München. Wurden die Kosten für die Spiele anfangs auf 496 Millionen D-Mark geschätzt, waren es am Ende 1,967 Milliarden. Die Aufteilung: 50 Prozent Bund, je 25 Freistaat und Stadt. 1,332 Milliarden konnten durch Lotterien, Olympiamünze, Fernsehrechte und Eintrittskarten erwirtschaftet werden. Blieben 635 Millionen DM Defizit, davon 154 Millionen für die Stadt. Dem, schreibt Kramer, standen ein „Modernisierungsschub und ein nachhaltig wirkendes internationales Standing“ gegenüber.

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