Verteidiger flüchten vor Putins Soldaten: Ukraine-Front droht bei Kupjansk der Kollaps
Die russischen Invasionstruppen Wladimir Putins erobern im Donbass und in der Region Charkiw Dorf um Dorf. Die Ukraine zieht sich dort hinter eine zentrale Verteidigungslinie zurück.
Kupjansk – Es ist eine harte Realität Anfang Mai 2024: Die Ukraine ist im eigenen Land gegen Aggressor Russland an gleich zwei maßgeblichen Frontabschnitten gehörig auf dem Rückzug.
Verluste der Ukraine: Russlands Armee rückt auf Kupjansk und Kramatorsk vor
Obwohl die russische Armee teils auf geradezu absurde „Schildkrötenpanzer“ zurückgreifen muss, rückt sie im Ukraine-Krieg immer weiter vor. Und zwar im Nordosten in der Region Charkiw auf die maßgebliche Verteidigungslinie bei Kupjansk, und weiter südlich im Donbass bei Awdijiwka in Richtung Kramatorsk, wo sich das ukrainische Hauptquartier für den gesamten Osten des geschundenen Landes befindet.
Der Telegram-Kanal „RVvoenkory“ verbreitete am Montag (6. Mai) ein Video sowie Fotos, die russische Soldaten in den beiden unmittelbar benachbarten Dörfern Kotlyarivka und Kyslivka zeigen sollen. Reihenweise Militär-Blogger teilten die Aufnahmen, die sich nicht unabhängig verifizieren lassen. Auffällig ist: Kiew verliert seit Wochen in immer rascherer Abfolge Dorf um Dorf.
Kupjansk bei Charkiw: Zentrale Verteidigungslinie der Ukraine gegen Russland
Militärisch brisant: Kotlyarivka und Kyslivka liegen nur noch knapp 20 Kilometer östlich der Kleinstadt Kupjansk (in der früher 30.000 Menschen gewohnt haben). Die gut ausgebaute Nationalstraße P07, die in ihrer Größe einer deutschen Bundesstraße ähnelt, führt von hier bis nach Kupjansk hinein, wo der Fluss Oskil eine Art natürliche Barriere bildet. Allein darin liegt schon die strategische Bedeutung von Kupjansk. Denn weiter südlich ist der Oskil stellenweise so breit, dass die Russen wohl kaum mit Pontonbrücken einen Brückenkopf über das Wasser hinweg bauen könnten – zumal Moskau diese Taktik aus dem Zweiten Weltkrieg bislang gar nicht angewandt hat.
Alarmierend: Wie ntv.de Anfang Januar berichtet hatte, ist unklar, wie gut die Ukrainer, etwa mit Schützengräben oder Unterständen, das Hinterland hinter Kupjansk in Richtung Charkiw abgesichert haben – der mit rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zweitgrößten Stadt des Landes. Jetzt geraten wohl mit einem Mal reihenweise Dörfer südöstlich von Kupjansk in Gefahr. Denn: Die natürliche Barriere Oskil gilt nicht nur für die Russen, sondern auch für die ukrainische Armee. Sie müsste oder muss schon ihre Soldaten hinter den Fluss zurückziehen, will sie keine versprengten Einheiten sich selbst überlassen und damit die eigenen Verluste weiter in die Höhe treiben.
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Verluste gegen Russland: Ukrainische Marine-Soldaten bei Krynky gestoppt
Durch Kupjansk führt indes auch die Nationalstraße P79 in Richtung Süden. Von hier aus werden die an der Straße liegenden Dörfer am westlichen Ufer des Oskil versorgt – militärisch und zivil. Mit einer Einnahme von Kupjansk sowie einer Kontrolle der P79 könnten die russischen Truppen etliche Quadratkilometer Gelände gut machen, die Front theoretisch auf einer Breite von mehr als 20 Kilometern bis nach Kruhlyakivka durchbrechen und den Oskil ihrerseits zu einer schwer überwindbaren Befestigungslinie ausbauen, während sie selbst einen Angriff auf Charkiw vorbereiten. So weit die Theorie.
In der Praxis zeigt sich indes bei Cherson im Dnipro-Delta, wie solch ein großer Fluss zur blutigen Hürde wird. Denn: Auf der Plattform X kursiert ebenso ein Video von ukrainischen Marine-Elite-Soldaten, wie diese versuchen, beim Brückenkopf Krynky auch nur ein paar Meter voranzukommen. Ihr Angriff wird jäh gestoppt, als direkt neben dem vordersten Soldaten eine Mine oder eine Art Handgranate explodiert. Zuletzt konnten ukrainische Soldaten den Dnipro-Brückenkopf noch bis zum Dorf Kosatschi Laheri ausweiten – sie machten damit in der Breite ganze acht Kilometer gut. Ende April konnten sie zudem die unbewohnte Insel Nestriga im Dnipro-Fluss-Delta sichern.
Ukraine-Armee verliert zwischen Awdijiwka und Kramatorsk mehrere Dörfer
Aber: Wie das Institute for the Study of War (ISW) in seinem Lagebericht vom Dienstag (7. Mai) schrieb, machte das russische Militär in der Zwischenzeit wieder Vorstöße am östlichen Dnipro-Ufer. Damit nicht genug: Wie unter anderem der Journalist Julian Röpcke bei X berichtet, zogen sich ukrainische Truppen regelrecht fluchtartig aus dem Dorf Arkhanhelske (Oblast Donezk) zurück, nachdem sie nur kurz zuvor die städtische Siedlung Otscheretyne knapp zwei Kilometer südwestlich geräumt hatten.
Seit Mitte Februar und dem Fall Awdijiwkas nehmen die Invasionstruppen Putins hier ein Dorf nach dem anderen ein und kommen so der Stadt Kramatorsk (vormals 150.000 Einwohnerinnen und Einwohner) bedrohlich nahe. Verheerend: Röpcke teilte in dem Sozialen Netzwerk ein Drohnen-Video, das demnach dokumentieren soll, wie ukrainische Soldaten bei ihrem Rückzug aus Archanhelske ohne Schutz durch Schützenpanzer oder andere gepanzerte Fahrzeuge in russisches Artilleriefeuer geraten. (pm)