Wenn man seit Jahren auf den Märkten arbeitet und in meinem Fall sogar dort aufgewachsen ist, sieht man sehr deutlich, wie sich Traditionen verändern. Manche verschwinden leise, andere entwickeln sich weiter. Und manche bleiben so stark, dass sie selbst den modernsten Hype locker überstehen.
Was hat sich also verändert? Ziemlich viel und gleichzeitig erstaunlich wenig. Früher war ein Christkindlmarktbesuch für viele klar definiert: Bratwurst, Glühwein, vielleicht eine Tüte gebrannte Mandeln.
Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit
Heute kommen die Menschen mit ganz anderen Erwartungen. Vegan, glutenfrei, hip, ausgefallen, neu. Das Bedürfnis, etwas Besonderes zu probieren, ist viel größer geworden.
Ich sehe das auf keinen Fall negativ. Es ist ein Teil unserer Zeit. Aber es bedeutet auch: Traditionen müssen beweglich bleiben, wenn sie weiterleben sollen. Denn wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.
Zwischen veganer Currywurst und Bratwurst-Klassikern
Ein gutes Beispiel ist unsere vegane Currywurst. Bevor wir das Geschäft übernommen haben, gab es dort nur eine „Krautsemmel“ als vegetarische Speise – also wirklich nur Sauerkraut in einer Semmel. Das war’s. Traditionell? Naja. Zeitgemäß? Nicht unbedingt.
Deshalb haben wir unser Sortiment erweitert. Nicht um die Tradition zu ersetzen, sondern um sie zu ergänzen. Die vegane Currywurst kommt inzwischen so gut an, dass manche Gäste gar nicht merken, dass sie vegan ist.
Und trotzdem bleibt die klassische Münchner Bratwurst nach wie vor unser unangefochtener Renner. Das zeigt mir ganz klar: Tradition und Trend schließen sich nicht aus. Sie brauchen nur Platz nebeneinander.
Auch beim Glühwein wünschen sich Gäste heute mehr Vielfalt
Beim Thema Getränke sieht man diese Entwicklung ebenfalls. Die Frage „Reicht der klassische Glühwein heute noch?“ hören wir oft. Und ganz ehrlich: Bei uns war die Antwort schon immer ein bisschen anders. Unser Familienbetrieb in der Beerenalm setzt seit vielen Jahren auf Beerenweine – Weine, die nicht aus Trauben, sondern aus Beeren hergestellt werden.
Das ist keine neue Mode, sondern für uns eine echte Familientradition. Seit über 15 Jahren haben wir damit Stammkunden, die jedes Jahr nur deswegen zu uns kommen, weil wir eben nicht das Gleiche machen wie alle anderen.
Und trotzdem: Auch bei Glühwein und Punsch wünschen sich Gäste heute mehr Vielfalt. Deshalb gibt es fruchtige Varianten, unterschiedliche Stufen von Süße, alkoholfreie Optionen oder sogar moderne Interpretationen. Aber unser Herzstück bleibt gleich und ich glaube, genau das macht es so besonders.
Katharina Rohrer Bowers leitet die Münchner Wurstbraterei auf dem Münchner Christkindlmarkt, während ihre Eltern die Beerenalm betreiben. Sie verbindet Münchner Tradition mit modernen Ideen und echter Leidenschaft. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.
Wenn Touristen-Traditionen auf bayerische Realität treffen
Dann gibt es da natürlich noch diese Begegnungen, die einen zum Lächeln bringen oder auch kurz fassungslos machen. Eine Szene bleibt mir besonders im Gedächtnis: Amerikanische Gäste stehen strahlend vor mir und bestellen mit voller Überzeugung „Currywurst mit Sauerkraut – that’s the real traditional German thing, right?“
In diesem Moment muss ich innerlich kurz lachen. Currywurst und Sauerkraut haben in Deutschland in etwa so viel miteinander zu tun wie Weißwurst und Ketchup.
Aber unsere Devise ist: Bei uns bekommt jeder das, was er gerne möchte, solange wir es möglich machen können. Ja, es wirkt manchmal skurril. Ja, ich habe schon Kombis gesehen, die sogar meine bayerische Seele herausfordern.
Gehen Traditionen verloren? Nein, aber sie verändern sich
Aber ist das nicht auch ein Teil des Marktes? Menschen aus aller Welt bringen ihre Vorstellungen, Geschmäcker und „Traditionen“ mit und wir begegnen ihnen mit Offenheit und einem Augenzwinkern.
Gehen Traditionen daher verloren? Ich glaube nicht. Ich glaube, sie verändern sich. Sie passen sich an. Sie wachsen.
Die traditionelle Bratwurst lebt weiter, egal wie viele vegane und moderne Optionen es gibt. Unsere Beerenweine bleiben ein kleines Stück Besonderheit, auch wenn der Trend nach neuen Getränken wächst.
Und gleichzeitig entstehen durch all diese Neuerungen neue kleine Traditionen für Familien, für Touristen, für Stammkunden.
Am Ende ist ein Christkindlmarkt immer ein Spiegel seiner Zeit. Er bleibt nur dann lebendig, wenn er sich weiterentwickelt, ohne zu vergessen, wo er herkommt. Und genau diese Mischung aus Alt und Neu macht für mich den Zauber der Adventszeit aus.