Rente schon ab 45: Der frühe Ruhestand plagt die Wirtschaftsweltmacht

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In China können die Menschen deutlich früher in Rente gehen als in Deutschland. Ein Experte warnt vor einer „politischen Krise“, sollte die Regierung nicht bald handeln.

Schuften bis 67, wie in Deutschland? In China ist das für viele unvorstellbar. In kaum einem anderen Land gehen die Menschen so früh in Rente wie in der Volksrepublik: Das reguläre Renteneintrittsalter liegt für Männer bei 60 Jahren, Frauen in Büroberufen hören mit 55 auf zu arbeiten, Fabrikarbeiterinnen schon mit 50. Männer, die besonders schwerer Arbeit nachgehen, etwa in der Industrie oder Landwirtschaft, können schon mit 55 den Ruhestand antreten, Frauen sogar mit 45.

Was nach paradiesischen Zuständen klingt, hat seine Tücken: Chinas Rentensystem steht vor dem finanziellen Kollaps, schon 2035 dürfte den Rentenkassen das Geld ausgehen.

Als 1978 das noch heute gültige Renteneintrittsalter festgelegt wurde, hatte China eine junge Bevölkerung: Das Medianalter lag bei 22 Jahren. Das heißt, eine Hälfte der Bevölkerung war älter als 22, die andere Hälfte jünger. Die Lebenserwartung bei der Geburt lag damals für Männer und Frauen im Schnitt bei 66 Jahren – und für jeden, der mit 60 in Rente ging, zahlten sieben junge Menschen in die Rentenkassen ein. 1978 war auch das Jahr, in dem Chinas rasanter wirtschaftlicher Aufschwung begann, heute ist das Land die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die extreme Armut konnte besiegt werden, die Kindersterblichkeit ging deutlich zurück, die Lebenserwartung der Menschen stieg. Heute liegt sie bei 79 Jahren.

Um ihre Rente aufzubessern, sammelt eine Frau in Peking im Müll Dinge zum Weiterverkaufen.
Um ihre Rente aufzubessern, sammelt eine Frau in Peking im Müll Dinge zum Weiterverkaufen. © Nicolas Asfouri/AFP

China wird immer älter – mit Konsequenzen für die Rente

Dass Menschen länger leben, ist eigentlich eine gute Nachricht ist, doch sie bringt das chinesische Rentensystem in Bedrängnis. Denn auch das Medianalter ist deutlich angestiegen, auf nun 43 Jahre. Auf jeden Rentner über 60 kommen in China nur noch 2,8 Beitragszahler. Schuld daran ist auch die jahrelange Einkindpolitik, die erst ab 2016 gelockert wurde. Die Geburtenrate blieb allerdings niedrig, jede Frau bekommt im Schnitt auch heute noch nur ein Kind.

Die Bevölkerungszahl beginnt sogar bereits zu fallen: 2023 gab es gut zwei Millionen Chinesen weniger als im Jahr zuvor. Die Folge: Bis 2050 dürfte nur noch ein Beitragszahler pro Rentner übrig sein; rund 45 Prozent der Chinesen seien dann 60 oder älter, schätzt der Demograf Yi Fuxian von der University of Wisconsin-Madison. Hinzu kommt, dass immer mehr Chinesen studieren – und damit später ins Arbeitsleben einsteigen und kürzer in die Rentensysteme einzahlen.

„Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wird das der USA nie übertreffen“

Zum Leben sind die Renten, die das staatliche System auszahlt, ohnehin zu gering. Laut Yi erhielten Rentner in den Städten 2022 umgerechnet knapp 460 Euro im Monat, auf dem Land hingegen nur 26 Euro. Also müssen die Kinder einspringen. Doch die Einkindpolitik hat dafür gesorgt, dass heute meist ein Sohn oder eine Tochter alleine für zwei Eltern sorgen muss. „Es ist offensichtlich, dass die Generation der Einzelkinder nicht in der Lage ist, ihre Eltern im Alter zu unterstützen“, sagt Yi IPPEN.MEDIA.

Das wird auch in Zukunft wegen der anhaltend niedrigen Geburtenzahl kaum anders sein. „Ohne soziales Netz, ohne familiäre Absicherung bleibt den Chinesen nichts anderes übrig, als ihren Konsum einzuschränken, um für den Ruhestand zu sparen“, sagt Yi. Viel Geld wandert aus den Taschen der Chinesen daher in die private Altersvorsorge.

Der geringe Konsum ist einer der Gründe für das langsame Wachstum der chinesischen Wirtschaft. 2023 lag es bei nur 5,2 Prozent – und damit zu niedrig für ein Land, in dem noch immer mehrere hundert Millionen Menschen mit weniger als 1000 Yuan im Monat (umgerechnet 126 Euro) auskommen müssen.

Mit der Geburtenrate geht auch die Zahl der Arbeitskräfte zurück. „Chinas Erwerbsbevölkerung fing 2012 an zu schrumpfen“, sagt Yi Fuxian. Parallel dazu begann auch das Wirtschaftswachstum zu erlahmen, von durchschnittlich zehn Prozent im Jahr ab Anfang der 1980-er auf nur noch 7,8 Prozent 2012. „Das chinesische Bruttoinlandsprodukt wird das der USA nie übertreffen“, glaubt Yi. Oder anders ausgedrückt: China wird nie die größte Volkswirtschaft der Welt werden.

Chinas Rentensystem: Regierung muss handeln

Die Regierung in Peking weiß seit Langem um die Probleme im Rentensystem. Jin Weigang, Präsident der Chinesischen Akademie für Arbeits- und Sozialversicherungswissenschaften, mahnte im vergangenen Jahr ein höheres Eintrittsalter an, versprach aber auch eine lange Übergangszeit.

„China muss das Renteneintrittsalter hinausschieben, aber die Regierung steht vor einem Dilemma“, sagt Experte Yi. „Wenn sie es nicht tut, wird das Rentensystem zusammenbrechen. Wenn sie es tut, wird sie die Arbeitslosenkrise verschärfen.“ Denn wenn die Menschen immer später in Rente gehen, werden weniger Stellen für jüngere Menschen frei. Vor allem auf dem Land schuften die Menschen zudem länger, als sie eigentlich müssten.

Und obwohl die Erwerbsbevölkerung schrumpft, gibt es schon jetzt nicht genug Jobs für alle. Vor allem unter jungen Menschen zwischen 16 und 24 ist die Arbeitslosigkeit hoch, Anfang des Jahres lag sie bei rund 15 Prozent. Das liegt unter anderem an der schwächelnden Wirtschaft, die nach den Corona-Jahren nicht richtig in Schwung gekommen ist. Und so warnt Yi Fuxian davor, zu lange zu zögern: „Wenn jetzt keine Rentenreform durchgeführt wird, könnte eine plötzliche und drastische Anhebung des Rentenalters in der Zukunft eine politische Krise auslösen.“

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