„Unzumutbare“ Hürde: Mehrere Parteien schreiben Neuwahl-Brief an Scholz
Am 23. Februar 2025 soll der neue Bundestag gewählt werden. Das bringt Kleinparteien ins Schwitzen. Sie wenden sich in ihrer Not an den Bundeskanzler und das Parlament.
Berlin – Einigen Parteien kann es gar nicht schnell genug gehen, mit der Neuwahl des Bundestags Anfang kommenden Jahres. Vor allem Union, AfD und BSW erhoffen sich einen Zuwachs an Sitzen im Parlament, und diese würden sie sich natürlich lieber heute als morgen sichern.
Für sie ist der nun ausgerufene Termin am 23. Februar wohl eher ein zähneknirschend hingenommener Kompromiss. Schließlich warb etwa CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz bereits für einen Urnengang im Januar.
Neuwahl des Bundestags: Kleinparteien in Zeitnot - Offener Brief an Scholz
Andere Parteien mussten beim Blick auf die wenigen Wochen bis zum Tag der Entscheidung schwer schlucken – und damit sind nicht die auseinandergebrochenen Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP gemeint. Gerade für die Kleinparteien bedeutet die relativ kurzfristige Neuwahl einen Wettlauf gegen die Zeit.
Deshalb haben sich nun acht von ihnen bereits am Montag in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, Innenministerin Nancy Faeser und alle Mitglieder des Bundestags gewandt. Also noch bevor sich die großen Parteien auf den Wahltag festgelegt hatten.

Bei den acht Parteien handelt es sich um die Piratenpartei, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Partei der Humanisten (PdH), die Tierschutzpartei, die Liberalen Demokraten (LD), die Partei des Fortschritts (PdF), die Partei für Verjüngungsforschung und die Demokratie in Bewegung (DiB). Sie sehen eine erhebliche Benachteiligung.
Neuwahlen im Februar: Kleinparteien brauchen mehr als 27.000 Unterstützungsunterschriften
Denn Parteien, die nicht im Bundestag oder einem Landtag mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind, müssen je nach Bundesland eine drei- oder vierstellige Anzahl an Unterstützungsunterschriften sammeln, um eine eigene Landesliste einreichen zu können und auf dem Wahlzettel zur Bundestagswahl aufzutauchen. Mehr als 27.000 dieser Unterschriften seien nötig, schreiben die Kleinparteien.
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„Regulär hätten wir dafür mehrere Monate bis in den Sommer Zeit. Im Fall vorgezogener Neuwahlen blieben uns hingegen wenige Wochen. Diese Hürde in so kurzer Zeit ist unzumutbar und widerspricht den Grundsätzen einer fairen Demokratie“, heißt es in dem Schreiben.
Neuwahlen nach Ampel-Bruch: Scholz soll Zahl der erforderlichen Unterschriften anpassen
Deshalb äußern die Kleinparteien eine Bitte: „Senken Sie die Zahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften (…) im Falle einer Neuwahl und passen Sie die Zahl an die drastisch verkürzte Zeit an.“ Zudem sei die Sammlung dieser Unterschriften „ein bürokratischer Kraftakt für Bürger, Ämter und Parteien“, denn die Formulare müssten „beidseitig auf Papier ausgedruckt und von Ämtern einzeln händisch überprüft werden“ – die Überprüfung würde schon mehrere Wochen dauern.
In Dänemark dagegen können die Unterstützungsunterschriften seit 2016 digital eingereicht werden. Dagegen gelte das in Deutschland zwar für Petitionen an den Bundestag, jedoch nicht bei der Unterstützung der Teilnahme an der Bundestagswahl: „Dieser Prozess gehört dringend reformiert.“
Neuwahlen am 23. Februar 2025: Kleinparteien denken an Klage vor Bundesverfassungsgericht
Laut dem Spiegel befürchtet Dennis Klüver, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, dass der Stimmzettel diesmal um einiges kürzer ausfallen könnte, sollten die Hürden nicht gesenkt werden. Die Kleinparteien setzen aber ohnehin nicht allein auf ein Entgegenkommen des aktuellen Parlaments, immerhin geht es in der Politik selbst in der Vorweihnachtszeit nicht gerade besinnlich zu.
Zur Not soll das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Die Möglichkeit einer entsprechenden Klage prüft die PdH laut ihrer Vorsitzenden Felicitas Klings bereits. Die Piratenpartei würde sich beteiligen, auch die Tierschutzpartei wäre mit im Boot. Deren Bundesvorsitzende Paula Lopez Vicente sagte dem Nachrichtenmagazin: „Wir müssen an einem Strang ziehen.“
Sven Lingreen, Vorsitzender der infolge der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gegründeten Partei Die Basis, erwähnt derweil die Option, die Wahl im Nachhinein anzufechten. Er mutmaßt: „Es zeichnet sich ein Chaos bei der Wahl ab, wie bei der letzten Berlin-Wahl. Das wird im Nachgang sicher eine Klagewelle auslösen.“
Neuwahlen für den Bundestag stehen an: „Inwiefern auf kleine Parteien Rücksicht nehmen?“
Gelassen schaut dagegen Damian Boeselager, Mitbegründer der paneuropäischen Partei Volt, auf den 23. Februar. „Wir sind bereit“, betont der Europa-Abgeordnete: „Und wir sind super hyped.“
Mehr Gedanken macht sich dagegen Fabian Michl. Der Verfassungsrechtler an der Universität Leipzig sagte laut Zeit: „Man muss sich schon fragen: Inwiefern wollen wir auf diese kleinen Parteien Rücksicht nehmen? Das Bundesverfassungsgericht gibt zudem vor, dass auch unabhängige Bewerber eine Chance haben müssen.“
Für die Kleinparteien ist eine Teilnahme auch eine finanzielle Frage – selbst, wenn sie keinerlei Chance haben, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und im Bundestag zu landen. Bereits mit einem Ergebnis von 0,5 Prozent der Stimmen haben sie Anspruch auf staatliche Finanzmittel.

Frist vor Neuwahl anpassen? Kleinparteien hätten für Unterschriften bis Anfang Januar Zeit
Die erwähnten Unterstützungsunterschriften müssten nach aktuellem Stand bis spätestens am 69. Tag vor der Wahl im Original bei der zuständigen Wahlleitung eingereicht werden. Das wäre vom 23. Februar 2025 zurückgerechnet der 16. Dezember 2024. Es bliebe also gerade mal rund ein Monat Zeit. Ziemlich knapp bemessen, zumal es in der Winterzeit auch nicht so leicht fällt, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, um sie von den politischen Ideen zu überzeugen.
Lingreen fordert daher, dass die Deadline näher an den Wahltag heranrücken soll. „Das wäre demokratisch fair, um Kleinparteien überhaupt eine realistische Chance zu geben, an den Wahlen teilzunehmen“, erklärt der Basis-Chef im Spiegel.
Als Beispiel könnte die jüngste vorgezogene Neuwahl 2005 herhalten: Damals war die Frist zur Einreichung der Unterstützungsunterschriften auf den 47. Tag vor dem Urnengang festgelegt worden. Dies wäre diesmal der 7. Januar 2025. Den Kleinparteien blieben drei Wochen mehr Zeit, um die Voraussetzungen für ihre Teilnahme zu erfüllen.
Wie ein Sprecher des Innenministeriums auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur verriet, wird bereits eine Verordnung vorbereitet, um den Kleinparteien Erleichterungen zu verschaffen. Konkrete Ergebnisse sind aber erst möglich, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Wahltermin offiziell verkündet. Sicher ist bereits jetzt, dass die Frist für die Briefwahl verkürzt wird. (mg)