Er ist ein Mann der Rollen: Agent, Unternehmer, IT-Experte, Wissenschaftler, Medizinkenner, Geschichtsgelehrter, Vater und Großvater. Wenn David Barkay über seine Vita spricht, kommen verschiedenste Expertisen zusammen. Krimineller findet sich in dieser Selbstbeschreibung nicht – und so sieht er sich offenbar auch weiterhin nicht.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Hamburg ist Barkay allerdings der Kopf der Entführer, die zwei der Kinder von Christina Block und Stephan Hensel in der Neujahrsnacht 2023/24 gewaltsam vom Vater entrissen haben, um sie zurück zur Mutter zu bringen. Am Donnerstag hat er seine Beteiligung daran gestanden.
Zeuge und Beschuldigter
Trotzdem sitzt Barkay nicht auf der Anklagebank. Bei einem der größten Gerichtsverfahren in der Justizgeschichte der Hansestadt nimmt er – wie sollte es auch anders sein – eine Doppelrolle ein: Kronzeuge und gesondert Verfolgter. Seine mögliche Schuld muss in einem weiteren Verfahren festgestellt werden.
Der Israeli hatte sich erst im laufenden Prozess darauf eingelassen, gegen freies Geleit auszusagen. Neben der Wahrheitsfindung verfolgt der 68-Jährige damit auch eigene Interessen, wenn er seine Version der Abläufe erzählt. Einige stehen in direktem Widerspruch zu Blocks Einlassung.
Unstrittig ist, dass sich die beiden Ende Januar 2023 zum ersten Mal begegnet sind. Als gesichert darf auch gelten, dass sie sich am Neujahrstag 2024 auf dem Alpakahof bei Pforzheim getroffen haben. Dort hatten die Entführer Klara und Theodor nach der Entführung hingebracht. Damit enden die Gemeinsamkeiten auch schon weitgehend.
IT-Auftrag oder Spionagefall?
Nach Barkays Darstellung drehte sich der Auftrag von Beginn an um die Kinder und den komplexen Sorgerechtsstreit der zerstrittenen Eltern. „Er hat gefragt, ob wir Informationen sammeln können“, berichtet der Israeli aus dem Erstkontakt mit Alon K., der den Auftrag vermittelt hatte. Ohne Einzelheiten zu kennen, habe er ein Konzept dafür entwickelt. Deshalb sei anfangs auch die älteste Block-Tochter, Johanna, im Plan aufgetaucht.
Block will sich mit Barkay nur über die IT-Sicherheit des Familienhotels ausgetauscht haben.
Nur bei akuter Gefahr hätte ein militärisch trainiertes Team eingreifen sollen. Barkay bezeichnet das als „Worst-Case-Szenario“: ein Blitzeinsatz mit ehemaligen Navy Seals. „Das ist die Art und Weise, wie wir es tun“, gibt der Israeli nüchtern zu Protokoll. So sei eben „unser Protokoll“. Selbst wenn es zwei kleine Kinder betrifft.
Trotzdem wird Barkay lange nicht müde zu betonen, dass eine Rückholung unbedingt gewaltfrei ablaufen solle. Erst als er mit den martialischen Methoden konfrontiert wird, wird daraus eine geringe Gewalt für maximale Ergebnisse oder die kontrollierte Anwendung von Zwang, weil Widerstand zu erwarten sein könnte.
Deutliche Widersprüche zur Block-Aussage
Weshalb für Open-Source-Recherche und elektronische Überwachung überhaupt ein israelisches Unternehmen notwendig ist, kann Barkay auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin nicht schlüssig beantworten. Fast pampig sagt er schließlich: „Wir wurden ausgewählt und haben den Job angenommen."
Eine Gefahr habe er dann im Dezember 2023 gesehen. Beim Warum wird der 68-Jährige wieder vage. Er zieht eine Verbindung zu den falschen Kinderpornografievorwürfen gegen Hensel. Dadurch habe die Angst bestanden, der Vater könnte die Flucht ergreifen. Dabei steht Barkay im Verdacht, die Verleumdungskampagne gegen Blocks Ex-Mann und zuvor schon gegen dessen Familienrechtsanwalt losgetreten zu haben.
Darüber hinaus will Block im Dezember 2023 gar keinen Kontakt mehr mit Barkay gehabt haben. Ihr zufolge ist das Team von Cyber Cupula nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober in die israelische Armee einberufen worden. Der IT-Auftrag habe damit geendet. Allerdings soll sie der Gruppe bei einem Vorbereitungstreffen am 28. Dezember im Familienhotel noch selbst gedankt haben.
Ganz anders schildert das Barkay. „Wir wollten aufhören und zurück“, sagt er. Vielmehr hätten Block und Familienberater Andreas C. darauf gedrängt, weiterzumachen. Immer wieder spricht er von „viel Druck auf uns, eine Lösung zu finden, die Kinder zurück nach Hause zu bringen“; auch seitens Firmenpatriarch Eugen Block. Bereits im Sommer habe Mittelsmann Alon K. ihm auf Anraten von „höherer Ebene“ nahegelegt, den Auftrag abzubrechen.
Um rechtliche Aspekte habe er sich indes weniger gekümmert, weil C. als angesehener Anwalt betont habe, dass eine Rückholung der Kinder legal sei.
Der entscheidende Beweis fehlt weiterhin
Zusammengefasst skizziert sich Barkay selbst in der Rolle eines Dienstleisters: Angefangen mit Spionagetätigkeiten sei er immer tiefer in die Familienauseinandersetzung hineingezogen worden. Aus Sorge um die Kinder und auf Druck der beiden Angeklagten habe er sich dann unter falscher rechtlicher Beratung überreden lassen, Klara und Theodor nach Deutschland zu holen. Mit dem katastrophalen Ablauf sei er dann selbst „nicht glücklich“ gewesen.
Viele von Barkays Schilderungen passen zwar detailgetreu zu den Ermittlungsergebnissen. Den erdrückenden Beweis, dass Block den Auftrag für die Entführung gegeben hat, bleibt er bisher aber schuldig. Zwei lückenhafte Aussagen stehen jetzt an mehreren Stellen im Widerspruch zueinander. Die Mutter bestritt bis zuletzt jegliche Beteiligung. Ob der Zeuge die Wende in einem Prozess mit vielen Indizien bringt, bleibt abzuwarten.
So bleibt Barkay erst einmal ein Zeuge in problematischer Doppelrolle, der die Angeklagten schwer belastet und sich wohl selbst möglichst aus der Affäre ziehen möchte. In seinem Jargon: minimales Geständnis für maximales Ergebnis.