In 2 Minuten gesteht Abdulmohsen seine Horror-Tat – dann wird es wirr im Glaskasten

Das Geständnis legt er nebenbei ab. „Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat“, sagt Taleb al Abdulmohsen am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Magdeburg

In weniger als zwei Minuten tötete er am 20. Dezember 2024 bei einer Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt sechs Menschen und verletzte mehr als 300. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm in über 300 Fällen versuchten Mord vor. Ein unbegreifliches Leid, das eine ganze Stadt in Schock versetzt hat und für das ihm nun lebenslänglich mit anschließender Sicherungsverwahrung droht.

Am Montagmorgen nimmt der Angeklagte in dem extra für den Prozess gebauten Gerichtsgebäude Platz. Er sitzt mit seinen Anwälten und maskierten Polizisten in einem gesonderten Kasten. Das schusssichere Glas soll al Abdulmohsen vor möglichen Racheakten schützen. Das Verfahren beginnt unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen.

Wirre Gedankenfetzen von Taleb al Abdulmohsen statt Erklärung der Tat

Auf seine Tat nimmt der 51-Jährige kaum Bezug. Nur einmal wird er emotional und bricht in Tränen aus. Bei der Familie Gleißner will er „um Verzeihung bitten“. Ihr Sohn, der neunjährige André, zählte zu den Opfern der Amokfahrt. 

Dann lenkt al Abdulmohsen ab und behauptet, er habe beim Fahren auf der Ernst-Reuter-Allee eine Erinnerung gehabt: ein Kind, das auf der Fahrbahn steht. Was er damit genau meint, bleibt wie so vieles an seiner Einlassung unklar.

In den ersten rund anderthalb Stunden redet der Angeklagte viel und sagt doch wenig. Er beginnt mit Voltaire als erstem europäischen Islamkritiker, geht über zu einer vermeintlichen Manipulation der Bürger durch die Medien, gibt eine eigene Definition von Aufklärung und beklagt die Verfolgung von Muslimen, die der Religion den Rücken kehren. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel habe „Deutschland verkauft“. 

Es sind wirre Gedankenfetzen, denen im Gerichtssaal wohl niemand so richtig folgen kann. Sie geben höchstens kleine Einblicke in eine Welt, die nur al Abdulmohsen selbst versteht – wenn überhaupt.

Auto nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt
Das Auto nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024. dpa

Magdeburg-Täter: Verschwörungstheorien und Anschuldigungen gegen die Polizei

Als ein wiederkehrendes Element fällt seine Verschwörungserzählung auf: Der Prozess gegen ihn sei eigentlich ein großer Polizeiskandal. „Die Polizei versteckt die Wahrheit“, sagt er zum Beispiel nach seinem kurzen Geständnis. Er beklagt die angebliche Untätigkeit der Beamten. In mehreren Fällen habe er saudische Frauen in Not gemeldet – doch die Polizei habe auf die Hinweise nicht reagiert.

„Die Magdeburger Polizei handelt nicht frei. Sie handelt im Interesse von Berlin und Köln“, sagt er. In Köln war er zuvor mit einem Gerichtsverfahren gegen die „Säkulare Flüchtlingshilfe“ gescheitert. Dem Verein wirft er vor, die Notlage von geflüchteten saudischen Frauen ausgenutzt zu haben.

Dann schweift er plötzlich zu Jugendgeschichten in seinem Dorf ab, die die Repressionen in Saudi-Arabien unterstreichen sollen. Später unterstellt er der Magdeburger Polizei, geflüchtete Frauen wegen ihrer Islamkritik töten zu wollen. Wie das alles seine Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt erklärt? Dazu äußert sich der Angeklagte zum Prozessauftakt nicht. Am Dienstag bekommt er erneut die Gelegenheit.

Racheakt aus Frust? Die vermuteten Motive

Die Staatsanwaltschaft vermutet, er wollte aus Frust Rache üben. Zwischenzeitlich stand im Raum, ob es sich um Rechtsterrorismus handeln könnte. Die Bundesstaatsanwaltschaft verneint das, auch al Abdulmohsen lehnt diese politische Einordnung ab.

 „Ich liebe die Postmoderne“, begründet er und nennt seinen Zuspruch zu positiver Diskriminierung als Rechtfertigung. Damit ist gemeint, lange benachteiligten Minderheiten als Ausgleich vorübergehend gewisse Privilegien einzuräumen.

Gericht setzt dem Angeklagten Grenzen

Der Vorsitzende Richter, Dirk Sternberg, macht indes deutlich, dass sich der Angeklagte zwar umfassend äußern darf – er möge aber bei den konkreten Beweggründen für die Tat bleiben. „Denken Sie daran, dass es Grenzen gibt“, unterbricht er zum Beispiel früh die Einlassung, als al Abdulmohsen auf die bevorstehende Landtagswahl hinweist: SPD, CDU und Grüne brandmarkt er als deutschlandfeindliche Parteien und will wohl eine eigene Wahlempfehlung abgeben. Dazu kommt er jedoch nicht.

FOCUS online begleitet den zweiten Prozesstag am Dienstag im Liveticker. Beginn ist um 9.30 Uhr.