Memmingen: Gedenkstunde zur Reichspogromnacht an der Gedenkstätte der ehemaligen Synagoge

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Der Gedenkstein an der ehemaligen Synagoge am Schweizerberg: Auf dessen Seitenflügeln sind die Namen aller ermordeten jüdischen Memmingerinnen und Memminger aufgelistet. © Schilder

In Memmingen wurde am 9. November 2024 der Reichspogromnacht gedacht. Die Veranstaltung fand an der Gedenkstätte der ehemaligen Synagoge am Schweizerberg statt.

Memmingen – In der sogenannten Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 erreichte der staatliche Antisemitismus im „Dritten Reich“ eine neue Dimension. Dabei plünderten und zerstörten SA- und SS-Truppen jüdische Geschäfte und setzten Synagogen in Brand. Als Vorwand nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung eines deutschen Botschafters in Paris durch den Juden Herschel Grynszpan, der gegen die Deportierung von polnischen Juden nach Polen protestiert hatte. Auch in Memmingen wurde am 9. November der Reichspogromnacht gedacht.

Gedenkstunde zur Reichspogromnacht in Memmingen an ehemaliger Synagoge

In den frühen 1930er Jahren hat es etwa 2.800 Synagogen und Betstuben im Deutschen Reich gegeben. Mehr als die Hälfte davon ist in den Tagen und Nächten nach dem 9. November 1938 von nationalsozialistischen Schlägertrupps verwüstet worden. Tausende Geschäfte und Wohnungen wurden bei den Pogromen zerstört, mehrere hundert Jüdinnen und Juden wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. So auch in Memmingen. Die Memminger Synagoge, die am Schweizerberg stand, wurde zerstört und im Anschluss komplett abgerissen. Heute steht an ihrem ehemaligen Standort ein Gedenkstein, der an die Synagoge erinnert und auf dessen Seitenflügeln die Namen aller ermordeten jüdischen Memmingerinnen und Memminger aufgelistet sind.

Dort wird mit einer jährlichen Gedenkveranstaltung an die Novemberpogrome von 1938 erinnert. Organisiert wird diese Gedenkstunde unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Jan Rothenbacher von der Deutsch Israelische Gesellschaft AG Memmingen, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Memmingen-Unterallgäu und dem Deutschen Gewerkschaftsbund Allgäu. Auch in diesem Jahr folgten wieder mehrere hundert Bürgerinnen und Bürger der Einladung des Veranstalters an den Schweizerberg.

Ein bedeutender Tag: der 9. November

Zur Eröffnung spielten Günter Schwanghart an der Klarinette und Alwin Zwibel am Kontrabass ein jüdisches Musikstück. Ludwin Debong, Kreisvorsitzenden des DGB Allgäu, trat danach an das Rednerpult, auf dem zu lesen stand: „Wer sich des Vergangenen nicht erinnert, ist dazu verurteilt, es noch einmal zu durchleben.“ Dieser Satz des spanisch-amerikanischen Philosophen und Schriftstellers George Santayana steht auch im ehemaligen Konzentrationslager Dachau und unterstreicht die Notwendigkeit, die Erinnerung an die Geschehnisse vor über 80 Jahren wach zu halten. Debong begrüßte namens der Veranstalter die Anwesenden und machte deutlich, dass der 9. November 1938 ein Wendepunkt in der deutschen Geschichte war. An diesem Abend wurde aus der Diskriminierung von Juden deren systematische Verfolgung. Von nun an wurden Menschen jüdischen Glaubens in nie dagewesenem Ausmaß verfolgt, verschleppt und getötet.

Oberbürgermeister Jan Rothenbacher ging in seinem Grußwort auf die Frage ein, ob es denn angesichts der langen Zeit, die seit dem 9. November 1938 vergangen ist, überhaupt noch ein solches Gedenken brauche und gab mit einem entschiedenen „Ja“ auch gleich die Antwort darauf. Gerade angesichts des wachsenden Antisemitismus in unserem Land sei es unabdingbar, die schrecklichen Ereignisse immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Hauptredner der diesjährigen Gedenkstunde war der Günzburger Werner Gloning, langjähriger Vorsitzender der DGB-Region Allgäu-Donau-Iller, der zu Beginn seiner Rede den Memmingern zurief, sie können stolz sein, auf diese Gedenkstunde; denn er kenne keine vergleichbare Veranstaltung in Schwaben, zu der so viele Menschen kommen, wie in Memmingen. Er ging dann auf die Bedeutung des Datums 9. November ein. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, am 9. November 1938 war die Reichspogromnacht, am 9. November 1923 kam es zum Hitlerputsch. Kein anderes Datum in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts habe derart gegensätzliche Emotionen hervorgerufen und kontroverse Diskussionen ausgelöst.

Werner Gloning, langjähriger Vorsitzender der DGB-Region Allgäu-Donau-Iller, sprach bei der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht Memmingen 2024
Werner Gloning, langjähriger Vorsitzender der DGB-Region Allgäu-Donau-Iller, verwies in seiner Rede auf die Parallelen zur heutigen Zeit. © Schilder

Parallelen zur heutigen Zeit

Die Geschehnisse des 9. November 1938, so Gloning, seien der vorläufige Höhepunkt der menschenverachtenden Politik der Nazis gewesen, die letztlich in der Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden und über 60 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs gipfelte. Allerdings läge der Ursprung schon Ende der 20iger Jahre mit der zunehmenden Erstarkung der NSDAP. Gloning zitiert den Schriftsteller Erich Kästner: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat“ und sieht Parallelen zur heutigen Zeit mit einer stärker werdenden AfD. Er zeigte sich von Äußerungen von Politikern der AfD beunruhigt, die sagen, „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Daher warne er vor den Anfängen und fordere alle demokratischen Parteien auf, der Erstarkung der AfD entschieden entgegenzutreten.

Alt-Oberbürgermeister und Vorsitzender der DIG Memmingen Dr. Ivo Holzinger schloss die Veranstaltung mit dem Dank an alle Redner und an die Bürgerinnen und Bürger, die so zahlreich gekommen waren. Er erinnerte, dass bei seiner ersten Gedenkveranstaltung vor über 40 Jahren nur zehn bis 15 Leute gekommen seien – heute habe sich die Zahl mehr als verzehnfacht.

Im Anschluss waren die Besucherinnen und Besucher eingeladen, eine Ausstellung von Schülerinnen und Schülern der benachbarten Bismarckschule anzuschauen. Dort wurden Schülerbeiträge ausgestellt, die sich mit dem Thema Nationalsozialismus und den Bezug zur heutigen Situation auseinandersetzen.

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