Wirtschaftsverband zerlegt Energiepolitik der Ampel: „Von einem toten Pferd sollte man absteigen“

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Der Strommarkt und vor allem die entsprechenden Förderungen soll nach Plänen der Ampel reformiert werden. © dpa/Montage

Die Debatte um die Zukunft des Strommarktes lässt die Wirtschaft verzweifeln. Kein Thema ist so wichtig für den Standort als die Energie – doch genau die soll nun angepasst werden.

Bonn – Gerade wird in der Wirtschaft um die Zukunft der Energieversorgung debattiert. Angestoßen hat das die Bundesnetzagentur, die in Vorbereitung auf ein Auslaufen der aktuellen Rechtslage für Industriestromrabatte eine Reform angehen will. Nach Ansicht des Agenturchefs Klaus Müller wird die EU die aktuell gültigen Rabatte für die Industrie nach 2028 nicht nochmal gewähren. Stattdessen müsse sich die Wirtschaft zunehmend auf einen flexiblen Stromverbrauch einstellen, und vor allem in Zeiten mit viel Solar- und Windstrom die Produktion hochfahren.

Das stößt nun auf deutliche Kritik vom Verband Initiative Zukunft Wirtschaft Deutschland (IZW). In einem offenen Brief zerlegt der Verband nicht nur den Vorschlag der Netzagentur, sondern auch der „energiepolitische Scherbenhaufen“, den die Bundesregierung zu verantworten habe.

„Energiepolitischer Scherbenhaufen“: Energiewende lässt deutsche Wirtschaft verzweifeln

Die Vorstellung von Behörde und Bundesregierung, dass alle deutschen Haushalte und Unternehmen in Zukunft flexible Stromverbraucher werden könnten, zeige, dass Deutschland nicht mehr auf eine sichere Energieversorgung bauen könne. „Im Ergebnis ist das nunmehr ein Offenbarungseid und eine politische Bankrotterklärung. Es ist der Beleg für eklatantes Missmanagement und Realitätsferne der Bundesregierung“, so Andrea Thoma-Böck, Präsidentin der IZW, laut Mitteilung. „Die Vorschläge zeigen eine Wirtschafts- und Realitätsferne, die ihresgleichen sucht.“

Der Vorschlag der Bundesnetzagentur, der am 24. Juli 2024 vorgelegt wurde, sieht ein Ende des sogenannten „Bandlastprivilegs“ für Großstromverbraucher vor. Das ist im Wesentlichen ein Rabatt, den Industriekunden erhalten, wenn sie ihre Stromabnahme konstant halten, also immer ungefähr gleich viel Strom verbrauchen. Die Rabatte kommen noch aus einer Zeit, in der Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke die zentralen Elemente in der deutschen Stromerzeugung waren und die Energieerzeugung relativ gleichmäßig war.

Durch die Bandlastprivilegien sollte sichergestellt werden, dass immer genug Strom aus diesen Kraftwerken abgenommen wird, sodass kein Hoch- und Runterfahren notwendig wird. Inzwischen sind AKW in Deutschland Geschichte und der Kohleanteil im Strommix sinkt. Stattdessen wird Strom künftig schwankend sein.

Netzagentur will Netzentgelte reformieren und an die Energiewende anpassen

Nun möchte die Bundesnetzagentur mit neuen Rabatten auf die Netzentgelte sanften Druck auf die Industrie aufbauen, damit die Firmen neue Technik nutzen und ihren Strombedarf den veränderten Erzeugungsverhältnissen anpassen. „Industrie und Gewerbe sollen reduzierte Netzentgelte zahlen, wenn sie in Situationen mit hohem Stromangebot mehr Strom verbrauchen“, sagt Bundesnetzagentur-Präsident Klaus Müller. „Andersherum erhalten sie auch dann eine Reduktion der Netzentgelte, wenn sie in Zeiten eines knappen Stromangebots weniger Strom verbrauchen.“ 

Nach ersten heftigen Reaktionen aus der Wirtschaft reagierte Klaus Müller: „An einer Reform führt kein Weg vorbei“, stellte er in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung klar. Denn 2028 laufe die Rechtsgrundlage für die Industriestromrabatte aus, diese erteilt die EU. „Dass Brüssel grünes Licht für eine Verlängerung der gängigen Praxis geben könnte, glaubt niemand.“

„Die EU wird neue Vergünstigungen nur dann erlauben, wenn sie einen Verbrauch fördern, der dem auf erneuerbare Energie umgestellten System ‚dient‘“, begründete Müller.

Politik hat die Energiewende verschlafen: Digitalisierung noch nicht mal begonnen

In ihrem Brief kritisiert die IZW die fehlenden technischen Voraussetzungen am Strommarkt, um wirklich jetzt auf flexiblen Verbrauch in der Industrie setzen zu können. „Am erforderlichen Netzausbau von den Übertragungsnetzen bis zu den Verteilernetzen wird Deutschland noch jahrzehntelang werkeln. Flexible Speicherkapazitäten in erforderlichen Größenordnungen wird es erst langfristig geben. Mit der für das Energiesystem notwendigen Digitalisierung hat Deutschland nach mehr einem Vierteljahrhundert bis dato immer noch nicht begonnen“, so der Vorwurf.

Das Eckpunktepapier der Netzagentur bezeichnet der Verband als „Beschleuniger für den aktuellen Flächenbrand der Deindustrialisierung und Abwanderung“. Würde der Vorschlag so kommen, würde das das Ende der energieintensiven Industrie in Deutschland bedeuten.

„Der Urfehler der Energiewende war und ist, die fluktuierenden Erneuerbaren zur Leitkultur zu machen, an die sich gefälligst alles andere anzupassen habe“. Die Wirtschaft müsse jetzt ein Signal geben, sonst gehen die Lichter aus. „Von einem toten Pferd sollte man absteigen und stattdessen die Energiewende an Realitäten ausrichten“, sagt IZW-Präsidentin Thoma-Böck.

Warnung an Habeck und Bundesnetzagentur: „Verheerendes Signal“ für die Wirtschaft

Mit ihrer Kritik ist der Verband nicht alleine. Der Wirtschaftsrat der CDU warnte ebenfalls in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Klaus Müller vor einem „verheerenden Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Und auch aus Sicht des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), deren Mitglieder als besonders energieintensive Branche maßgeblich von den Reformen betroffen wären, gibt es nur einen geringen Prozentsatz an Industriefirmen, die ihren Verbrauch ohne erhebliche Investitionen flexibilisieren könnten.

Dennoch begrüßt der VCI das Vorgehen der Bundesnetzagentur – schließlich wird jetzt erstmals über die notwendigen Reformen gesprochen und alle Betroffenen können zu Wort kommen. Frühestens 2026 ist eine Anpassung anvisiert, die dann schrittweise erfolgen soll. Betroffene Branchen sollen genug Zeit bekommen, sich darauf einzustellen und gegebenenfalls ihre Produktion anzupassen oder über Investitionen zu entscheiden.

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