Haben tausende Kunden zu viel Geld an die Stadtwerke München gezahlt?

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Eine deutschlandweite Recherche enthüllt: Ökogas-Tarife werben mit falschen Versprechen – tatsächlich tragen sie oft nicht zum Klimaschutz bei. Wir haben die SWM mit den Vorwürfen konfrontiert.

München - Klimafreundlich heizen: Mit diesem Vorsatz haben wohl viele Kunden den Ökogas-Tarif bei den Stadtwerken München abgeschlossen. Nach Angaben der SWM werden mit dem Tarif „weltweite Klimaschutzprojekte“ und damit „die Einsparung von CO₂“ unterstützt. Womöglich ein falsches Versprechen: Denn wie eine aktuelle Recherche des Journalistennetzwerks Correctiv ergibt, haben zahlreiche Gasversorger in Deutschland ihre Kunden getäuscht und Zertifikate gekauft, die überhaupt keinen Klimaschutz vorantreiben – sondern dem Klima oder der Umwelt gar schaden. Auch die SWM sind teilweise betroffen. Unsere Redaktion hat die Stadtwerke mit den Vorwürfen konfrontiert.

Wie funktionieren CO₂-Gutschriften?

Deutsche Energieversorger bewerben ihre Ökogas-Tarif in der Regel mit dem Prinzip der Kompensation, erläutert Correctiv: „Man könnte auch Wiedergutmachung sagen: klimaschädliche Emissionen, die in Deutschland entstehen, zum Beispiel durchs Heizen, werden an einer anderen Stelle ausgeglichen – durch den Schutz von Wäldern in Brasilien oder den Bau von Wasserkraftwerken in Indien.“ Deutsche Unternehmen würden dann CO2-Gutschriften auf Basis dieser Projekte aufkaufen, um ihre eigene Klimabilanz auf dem Papier zu verbessern.

SWM haben 31.000 zweifelhafte CO2-Gutschriften für Ökogas-Tarif gekauft

In dem Artikel „Die Ökogas-Lüge“ auf correctiv.org lässt sich direkt einsehen, inwiefern auch der eigene Energieversorger mit zweifelhaften CO₂-Zertifikaten gehandelt hat. Als besonders große Klimasünder nennt das Recherchenetzwerk zum Beispiel den hessischen Anbieter Entega sowie kommunale Unternehmen wie die Stadtwerke Duisburg und Rostock. Auch die Stadtwerke München sind in der Datenbank gelistet – mit zwei Projekten aus Indien gelistet, bei denen 31.000 Tonnen CO₂ „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingespart oder reduziert“ wurden“. Analysiert wurden insgesamt 116 deutsche Gasversorger im Zeitraum der vergangenen 13 Jahre.

Collage Erdgas Pipeline SWM Ökogas
Zu sehen: Bauarbeiten der Trans-Europa-Naturgas-Pipeline. Anbieter wie die SWM bewerben ihren Ökogas-Tarif mit CO₂-Zertifikaten. Laut Correctiv sind diese oft unbrauchbar. © Collage: IMAGO / Ardan Fuessmann und Screenshot swm.de/erdgas/oekogas

Das Problem an den CO₂-Gutschriften: Häufig wären die Klimaschutz-Projekte auch ohne den Kauf von Zertifikaten umgesetzt worden. Oder aber, noch fataler: vermeintlich geschützte Wälder werden trotzdem abgeholzt oder von den Geldern gar fossile Gaskraftwerke ausgebaut. Die Projekte aus Indien, für die die SWM Zertifikate gekauft haben, wären laut Correctiv „sehr wahrscheinlich auch ohne die Einnahmen [...] umgesetzt worden“.

Stadtwerke München beziehen Stellung zu Vorwürfen

Auf Anfrage unserer Redaktion teilen die Stadtwerke München mit: „Die SWM nehmen die Vorwürfe ernst und gehen ihnen bereits nach. Die SWM weisen aber darauf hin, dass sie das Produkt M-Ökogas nicht als klimaneutral, sondern als Produkt mit CO2-Ausgleich beworben haben.“ Rund 11.000 Kunden hätten im Jahr 2023 den Ökogas-Tarif genutzt – insgesamt seien rund 166 Millionen kWh kompensiertes Erdgas geliefert worden.

Die beiden Gutschriften, die laut der Correctiv-Recherche nicht zur Kompensation geeignet waren, hätten allerdings nur einen Bruchteil der erworbenen Zertifikate ausgemacht. Insgesamt hätten die SWM diese seit 2011 von rund 20 Projekten gekauft. „Sie haben ein Gesamtvolumen von 879.287 Tonnen CO2. Von diesen 20 Projekten stehen nur zwei bei Correctiv in der Kritik – das entspräche rund 3,5% der durch die SWM kompensierten CO2-Menge.“

„Keine Kenntnis“: Falsche CO2-Gutschriften

Zudem stellen die Stadtwerke klar: „Die SWM hatten bis zur Berichterstattung keine Kenntnis davon, dass in den beiden Projekten, wie behauptet, die ‚Zusätzlichkeit‘ nicht gegeben sei“. Zusätzlichkeit? Dieser Begriff bezeichnet den Umstand, dass ein Projekt nur mithilfe der Gelder aus Gutschriften zustande gekommen sein muss – und eben nicht auch ohne sie realisiert worden wäre.

Gastarife bei den SWM Preis pro Monat (bei einem Jahresverbrauch von 15.000 kWh)*
M/Ökogas Fix ca. 104 Euro inkl. Bonus
M/Erdgas Fix ca. 102 Euro inkl. Bonus

*In München, laut Tarifrechner auf meine.swm.de. Der Ökotarif wirbt mit „Ausgleich der CO₂-Emissionen durch Minderungszertifikate“

„Die SWM gehen auf den Zertifizierer zu und werden ihn um Stellungnahme bitten. Sollte sich dabei herausstellen, dass die Zusätzlichkeit tatsächlich und eindeutig nicht gegeben war, würden die SWM neue Zertifikate erwerben.“ Aus Sicht der Stadtwerke werden sie ihrem Versprechen gegenüber den Ökogas-Kunden also dennoch gerecht. Correctiv fügt in seinem Artikel hinzu, dass die Zahl der falschen Gutschriften vermutlich noch weitaus höher sei – weil sich die tatsächliche CO2-Ersparnis bei kaum einem Projekt plausibel nachweisen lasse. Wirklich klimafreundlich sei deshalb nur die Abkehr vom fossilem Erdgas.

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