Ein ehemaliger Internatsleiter des Mindelheimer Maristenkollegs steht erneut vor Gericht. Nach einem Freispruch durch das Amtsgericht Memmingen zog der Prozess nun vor das Landgericht. Die Verteidigung des Klägers sowie die Staatsanwaltschaft hatten den Freispruch angefochten.
Memmingen/Mindelheim - Die Vorwürfe wiegen schwer: Der heute 64-jährige Ex-Frater wird der sexuellen Vergewaltigung eines damals 15-jährigen Jungen bezichtigt. Schon vor mehr als einem Jahr wurde der Fall, gemeinsam mit zwei weiteren Vorwürfen, am Amtsgericht in Memmingen behandelt, der Angeklagte wurde damals im Punkt der Vergewaltigung an dem 15-Jährigen freigesprochen.
Ehemaliger Internatsleiter des Mindelheimer Maristenkollegs erneut vor Gericht
Ein psychologisches Gutachten ließ Zweifel an den Erinnerungen des mutmaßlichen Geschädigten entstehen, es könne sich um „Schein-Erinnerungen“ handeln. Die Klägerseite reichte daraufhin Berufung gegen den Freispruch ein. Mitunter, weil der Betroffene nun – im Gegensatz zur Verhandlung vor dem Amtsgericht – bereit war, in den Zeugenstand zu treten.
Der Mann, der mittlerweile Mitte 30 ist, leidet bis heute an psychischen Beschwerden. Er sei seit 2004 in Behandlung, leide noch immer sehr unter dem Erlebten. Damals sei er voller Enthusiasmus ins Internat gekommen, nachdem der Angeklagte an seiner Schule dafür geworben habe.
Ehemaliger Internatsleiter des Mindelheimer Maristenkollegs wieder auf Anklagebank - Ex-Frater war auffällig
Der gelernte Erzieher hatte zur Jahrtausendwende die Leitung des Internats am Maristenkolleg inne. Im Jahr 2007 wurde er – für viele Mindelheimer Bürger überraschend – an ein anderes Kloster abberufen. Die wahren Gründe dafür verschwiegen die Verantwortlichen zwei Jahre lang. Wie sich später herausstellte, wurden kurz vor der Versetzung die ersten Übergriffe des Fraters bei seinen Maristenbrüdern bekannt. Auf Basis der 2007 gestellten Selbstanzeige des Internatsleiters wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Bei nur einer Verurteilung blieb es nicht. 2010 wurde er vom Amtsgericht Landshut erneut zu einer Bewährungsstrafe verurteilt: Auch dieser Prozess drehte sich um sexuelle Handlungen an Kindern. Erneut vor Gericht verantworten musste er sich ab 2022 in Folge weiterer Fälle von Schülern des Maristeninternats in Mindelheim, die ab 2017 zu Tage kamen. Der Ex-Frater gab in diesem Prozess zu, einen 13-Jährigen in sein Bett gelockt und sich an ihm gerieben zu haben. Den weiteren Anklagepunkt, er habe einen 17-Jährigen auf der Toilette bedrängt, bestätigte er ebenfalls. Den Vorwurf, er habe den damals 15-Jährigen mehrfach vergewaltigt, wies er vehement zurück.
Vorfälle häuften sich
Während der Verhandlung erhielten die Richter einen tieferen Einblick in die Geschehnisse am Internat. Besonders auffällig: Die Opfer waren im Dachkloster, das 2002 vom Internatsleiter wiedereröffnet wurde, untergebracht. Das mutmaßliche Missbrauchsopfer sagte aus, dass er sich durch die Aufnahme im Dachkloster in seiner „Besonderheit“, die der ehemalige Frater ihm immer wieder versicherte, bestätigt fühlte. Auch sei er, nach Aufnahme im Dachkloster, anders behandelt worden, hätte beispielsweise weniger Spüldienst gehabt.
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Ein weiterer Zeuge, selbst Opfer einer zugegebenen Tat des Angeklagten, erinnerte sich an mindestens sechs Mitschüler, die ähnliches wie er erlebt hätten. Die Übergriffe fanden, so der ehemalige Schüler, nicht nur im Internat statt. Auch bei Freizeitausflügen nach Silum in Liechtenstein, sei es zu Handlungen zum Nachteil der Kinder und Jugendlichen gekommen. Fast regelmäßig seien Schüler, meist nur im Schlafgewand, zu später Stunde in das Zimmer des Internatsleiters gerufen worden.
Der Hauptzeuge gibt an, circa zehn Mal zum Frater zitiert worden zu sein. Ein zeitliches Schema soll es nicht gegeben haben, die „Zimmerbesuche“ seien reine Willkür gewesen. Was hinter den geschlossenen Türen passiert sei, sei abhängig von der Laune des Internatsoberhaupts gewesen. Sehr detailliert erklärte der Mann, wie er gezwungen wurde gegen seinen Willen zu handeln. Irgendwann habe sich der Missbrauch in seinem Verhalten gezeigt, er wurde aufmüpfig, widersetzte sich Regeln und wurde von innerer Unruhe geplagt. Diese Auffälligkeit veranlasste den Internatsleiter zu einem Schreiben an die Eltern, der Junge benötige psychologische Hilfe. Er wurde kurze Zeit später vom Internat genommen.
Verein „Wir sind viele!“ war bei Verhandlungsauftakt vor Ort
Vor dem Landgericht fanden sich zum Auftakt der Verhandlung einige Mitglieder des Vereins „Wir sind viele!“ ein. Der Verein setzt sich für Opfer sexueller Gewalt und Machtmissbrauch, insbesondere im Kontext des Internats des Maristenkollegs Mindelheim ein. „Wir sind viele!“ will Betroffenen eine Anlaufstelle bieten und fordert eine gerechte Strafe für den bereits straffällig gewordenen Ex-Frater sowie eine unabhängige Aufarbeitung der Taten in der Organisation der katholischen Kirche.
Der Prozess wird am Donnerstag, 26. September, fortgesetzt.
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