Es ist Fernsehen, das man definitiv nicht zum gemütlichen Feierabend-TV zählen kann. „Team Wallraff – Reporter undercover“ recherchiert beim Unternehmen Alloheim. Die Private-Equity-Gesellschaft macht mit Pflegeheimen mehr als eine Milliarde Euro Umsatz im Jahr. Die RTL-Reporter nennen ihre Recherche „Das miese Geschäft mit der Pflege“. Zwei ehemalige Mitarbeitende berichten von systematischem Pflegenotstand. 291 stationäre Einrichtungen betreibt Alloheim und ist damit der größte private Anbieter in Deutschland. Es ist nicht das erste Mal, dass Wallraff das Thema Pflege aufgreift.
Pflegeheim im TV: Ist das „Medikamenten-Roulette“?
Alt zu werden ,ist an sich nicht vergnügungssteuerpflichtig. Man quält sich mit Zipperlein, kann nicht mehr so mithalten mit der modernen Welt. Und dann schimpft die Jugend auch noch darüber, dass die Baby-Boomer gut gelebt haben und jetzt auch noch ewig die fette Rente verprassen wollen.
Gut, dass wir die TV-Bilder bei der RTL-Sendung „Team Wallraff – Reporter undercover“ am Donnerstagabend, um 20.15 Uhr, auf RTL verpixelt sehen. Es ist auch so gruselig genug. Eine Pflegehelferin verabreicht Abführmittel, das einem schluckgestörten Bewohner extremen Würgereiz verursacht. Ein anderer Patient hat große und offene Wunden. Man behandelt ihn mit Bodylotion, wie man sieht. Eine Pflegehelferin hat zum Dienst ihre Brille vergessen. Sie kann die Medikamente für die Patienten nicht korrekt ablesen. Wir hören: „Das ist Medikamenten-Roulette.“ Das ist lebensgefährdend, würde ich denken.
Eine Kollegin fragt: „Bist du sicher, dass du hier anfangen willst?“
Es sagt eine Pflegekraft: „Wenn die Kontrolle an diesem Tag kommen würde, dann wäre das Haus zu, definitiv!“ Anders klingt das von Seiten des Unternehmens. Wir sehen die Stellungnahmen: „Wurde nichts beanstandet“ oder „das stimmt nicht“. Die RTL-Reporterin mit dem Decknamen Linn sieht Missstände und filmt verdeckt. Ohne Vorbildung ist sie direkt eingestellt worden. An einem Tag, an dem eines der Heime kontrolliert wird, ist sie allein auf Station. Darf das sein? Natürlich nicht. Eine Kollegin fragte zuvor noch: „Bist du sicher, dass du hier anfangen willst?“
Ein Heimbewohner sagt: „Ich wünsche mir nur den Tod!“
An ihrem neunten Arbeitstag kündigt die RTL-Reporterin. Zuvor legt sie gegenüber der Heimleitung im Film die Missstände offen. 22 Bewohner müssten nach ihrer Aussage bis zum Mittagessen von einer Kraft betreut werden. Es blieben, so sagt sie, nur zwölf Minuten für einen Patienten mit allen Tätigkeiten wie Körperpflege, Medikation und Frühstück. Linn soll die Grundpflege allein bewältigen. Sie entdeckt, dass beim Inkontinenzmaterial einfach gespart wird. Sie entdeckt Patienten, die eingekotet sind. Sie findet kein Duschgel zur Reinigung. Die Pflege-Kette Alloheim sieht das anders. Und nimmt Stellung: „Nachweislich falsch“ oder „bedauerlicher Einzelfall“ oder „das ist nicht korrekt“, so Alloheim. Es sagt eine Heimbewohnerin nur einen Satz, der ihre Situation beschreibt: „Ich will weg!“ Ein anderer Bewohner sagt: „Ich wünsche mir nur den Tod!“
Etwa 5000 Euro kostet ein Platz mit Pflegegrad 4 für einen Senior pro Monat in diesem Unternehmen. Linn erlebt im Sommer bei mehr als 30 Grad, dass ein Bewohner seit einer Woche nicht geduscht wird. „Er stinkt!“, hören wir. Eine Heim-Bewohnerin traut sich, mit dem „Team-Wallraff“ offen zu sprechen. Sie erzählt, dass eine Mit-Patientin gehofft habe, überfahren zu werden. Deshalb habe sie sich stets hinter abfahrenden Autos versteckt.
Wir kümmern uns? Es bleibt das Fazit: So möchte man nicht leben
Die Unterlagen des Reporter-Teams werden an die Staatsanwaltschaft übergeben. „Wir kümmern uns darum“, sagt der Zuständige. Wir sehen bei RTL, bei allen rechtlichen Belangen, ein starkes Stück des investigativen Journalismus.
Selbst, wenn man Einzelproblematik und vorübergehende Sonderfälle abzieht, bleibt immer noch ein Fazit: So möchte man nicht leben. Das hat mit Menschenwürde nichts zu tun. Gar nichts. „Verwahrlosung und Leid“, erkennt der 83-jährige und immer noch aktive Journalist Günter Wallraff. Die Staatsanwaltschaft sieht noch keinen Anfangsverdacht auf Abrechnungsbetrug bei Alloheim. Es scheint also alles so zu bleiben, wie es ist. Eine gute Nachricht ist. Der Gewinn stimmt für die Investoren.