Trumpfkarte Atomstrom – Belgien reagiert auf Turbulenzen in der Stahlbranche
Im Ringen um die Stahlunternehmen greifen Länder zu neuen Maßnahmen. Das Risiko der Abwanderung ist groß. Belgien greift dabei auf Atomstrom zurück.
Brüssel – Die europäische Stahlindustrie steckt in Schwierigkeiten. Auf der einen Seite erholt sich die Stahlnachfrage innerhalb Deutschlands gerade erst wieder, auf der anderen ist das Niveau vorher derartig abgesackt, dass Branchenvertreter dennoch skeptisch sind. Unter anderem haben die Stahlproduzenten mit den massiven Energiekosten für ihren Betrieb zu kämpfen. Belgien nutzt jetzt einen entscheidenden Vorteil aus.
Belgiens Atomstrom-Deal mit ArcelorMittal
Dieser Vorteil heißt Kernkraft. Mitte Mai hatte der belgische Premierminister Alexander De Croo im Genter Stahlwerk von ArcelorMittal, das sich selbst als „weltweit führendes Stahl- und Bergbauunternehmen“ beschreibt, eine Absichtserklärung unterzeichnet, die besagte, dass das Unternehmen bis 2035 „erhebliche Mengen“ an „deutlich verbilligtem Strom“ aus den Kernkraftmeilern Doel 4 und Tihange 3 beziehen darf. Dafür erwartet sich Belgien Investitionen in Milliardenhöhe von ArcelorMittal. Das Manöver soll tausende Arbeitsplätze in der Stahlbranche retten und sie langfristig im Land halten.

Laut der Welt würde der Deal, sofern er denn zustande kommt, ArcelorMittal in erheblichem Maße dabei helfen, die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Die EU hatte Atomstrom als klimaneutral eingestuft. Bis 2035 will das Management den Treibhausgasausstoß um ein Drittel senken (im Gegensatz zu 2018), bis 2050 ist gar eine komplett klimaneutrale Produktion vorgesehen. Kurios daran: Brüssel hatte – genau wie Deutschland – zunächst einen Atomausstieg geplant, diesen aber rückgängig gemacht. Laut der Nachrichtenagentur Reuters war der belgische Ausstieg für 2025 vorgesehen, aber 2023 hatte die Regierung zunächst die Laufzeit der beiden neuesten Generatoren verlängert und später den Atomausstieg ganz revidiert.
Atomkraft-Renaissance in Europa
Das geschah im Rahmen des Atom-Gipfels, der in Belgien stattgefunden hatte. Ausgerichtet vom belgischen Staat und der Atomenergie-Agentur, hatten sich Staatschefs und Minister aus 37 Staaten getroffen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, einst Teil der Bundesregierung, die den Atomausstieg mitgetragen hatte, rief die Staaten nun dazu auf, eine mögliche Laufzeitverlängerung ihrer Kraftwerke zu prüfen. Auch ein Neubau von Kernkraftwerken ist geplant.
Kernenergie ist im europäischen Net Zero Industry Act (NZIA) verankert, die USA bauen ebenfalls auf sie, um den CO₂-Ausstoß zu senken. Neben Belgien hatten auch die Niederlande den ursprünglichen Plan zum Atomausstieg verschoben, Polen will jetzt erst einsteigen. Frankreich plant einen massiven Ausbau seiner Kernenergie – 65 Prozent des französischen Stroms kommen aus der Kernkraft.
In Belgien laufen laut der World Nuclear Association fünf Atomkraftwerke, die insgesamt etwa die Hälfte des benötigten Stroms erzeugen. Seit 2003 hatte die Regierung Nuklearenergie nur noch in geringem Maße unterstützt. Drei Reaktoren hatte das Land bereits vom Netz genommen (Doel 3, BR3 und Tihange 2), hier ist die Reaktivierung auch nicht mehr möglich.
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Stahlbranche steckt in Schwierigkeiten – „Schlechte Nachricht“
Für Belgien ist dieser Schritt in Richtung Atomkraft eine Trumpfkarte, was das Ringen um die Unternehmen in der Stahlindustrie angeht. Neben dem Deal zwischen ArcelorMittal und der Regierung füllt auch das Land Flandern die Tasche des Stahlunternehmens mit mehreren Millionen. Um die Unternehmen in der Stahlbranche ist ein Tauziehen entbrannt – die Wirtschaftsvereinigung Stahl hatte bereits davor gewarnt, dass Deutschland und die EU Antworten auf die Standortpolitiken finden müssen, „die andere Regionen der Welt derzeit stark machen und voranbringen.“ Die USA hatten beispielsweise den Inflation Reduction Act eingesetzt, der ausländische Unternehmen anziehen sollte.
Auch hier in Deutschland nimmt der Stahlbau eine besondere Rolle ein. Der Hans-Böckler-Stiftung zufolge bildet die Stahlbranche das Rückgrat des Industriestandorts – „Nahezu alle Schlüsselindustrien verwenden Stahl als Basiswerkstoff“, heißt es in einer Studie dazu. Neben der Bau- und der Autoindustrie sind zahlreiche Branchen vom Stahlbau abhängig.
Der befindet sich jedoch gerade in der Krise. „Trotz globaler Konjunkturerholung kommen wir hierzulande nicht voran. Das ist eine schlechte Nachricht, die weit über unseren Sektor hinausreicht“, erklärte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die größten Herausforderungen für die Stahlindustrie liegen dem Verband zufolge in der EU und in Deutschland – die „schwache Erholung“ stehe in Kontrast zu der Entwicklung der USA. Dort sei die Nachfrage innerhalb der letzten Jahre deutlich gestiegen.
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl sieht hier die Politik in der Pflicht. Es brauche neue Schritte, um im Wettbewerb nicht abgehängt zu werden. In Belgien scheint die Regierung das ähnlich zu sehen – mit dem Atom-Deal antwortet sie auf die aktuellen Herausforderungen. (Laernie mit Reuters)
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