„Gesellschaftliche Katastrophe“: Verein war Ansprechpartner für Flüchtlinge – nun ist er insolvent

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Beim Weg durch den Behörden-Dschungel bekamen Flüchtlinge im Landkreis bislang Hilfe durch den Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“. Diese fällt nun weg. © Gordon Welters/KNA

Der Verein „Mensch zu Mensch“ ist insolvent. Die Flüchtlinge in der Region verlieren damit einen wichtigen Ansprechpartner. Nicht nur sie machen sich jetzt Sorgen.

Ein Flüchtling bekommt einen wichtigen Brief von der Behörde, kann ihn aber nicht lesen. Er sucht einen Kita-Platz für sein Kind und weiß nicht, an wen er sich wenden soll. In all diesen Fällen gab es elf Jahre lang zuverlässig Unterstützung durch den Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“. Aus und vorbei. Der renommierte Verein musste Insolvenz anmelden, zehn Vollzeitkräfte im Landkreis sind seit dem 1. Juli arbeitslos. Mit unabsehbaren Folgen. „Das ist eine gesellschaftliche Katastrophe“, sagt Ines Lobenstein, Leiterin des Wolfratshauser Asylhelferkreises. „Wir wünschen uns, dass so schnell wie möglich eine Lösung gefunden wird und die Mitarbeiter mit ihrem ganzen Wissen gerettet werden.“

Lange gehofft, „dass Rettung möglich ist“

Einer dieser Mitarbeiter war Brandon Morrell. Für ihn sei die jüngsten Entwicklungen „halb überraschend“ gekommen, sagt der Wolfratshauser. Die Probleme seien seit Anfang des Jahres bekannt gewesen, seit Anfang März laufe das Insolvenzverfahren. „Uns wurde Hoffnung gemacht, dass eine Rettung möglich ist“, sagt Morrell. Unter anderem sei eine Übernahme und eine Neugründung im Raum gestanden: „Nachdem alles gescheitert ist, bleibt uns nur eines: zack – arbeitslos melden.“ Betroffen seien davon 100 Angestellte. Zehn waren im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen unterwegs, sie betreuten 3500 Geflüchtete.

Als Morrell am Dienstag seinen Schreibtisch leer räumte, hörte er gleich mehrfach die Frage: „Wo sollen wir denn jetzt hingehen? Wer hilft mir denn jetzt?“ Diese „Brücke zum Amt“ fällt für die nächste Zeit weg.

„Eine gesellschaftliche Katastrophe“: Verein war Ansprechpartner für Flüchtlinge – nun ist er insolvent

Was Ines Lobenstein sehr bedauert: „In den vergangenen zehn Jahren sind im Landkreis echt gute Beratungsstrukturen aufgebaut worden.“ Gerade der Verein „Hilfe von Mensch zu Mensch“ habe die Ehrenamtler „sehr entlastet“. Doch nun gebe es für all die Flüchtlinge, die sich mitten in einem Beratungsgespräch befinden, vom einen auf den anderen Tag keinen Ansprechpartner mehr. Die Folgen seien fatal: „Sogar als Deutsche muss man sich beim Ausfüllen der Anträge sehr konzentrieren“, gibt Lobenstein zu bedenken. „Für einen Mensch, der hier noch nicht gewohnt hat, ist es noch viel schwieriger.“ Es sei zu befürchten, dass einige Menschen aus Versehen falsche Anträge stellen. „Die bekommen dann womöglich rechtlich unsinnige Sanktionen“, fürchtet die Asylhelferin. Ähnlich sei es bei Plätzen im Kindergarten und in der Schule: „Man kommt hierher und ist erst mal verloren.“

Ebenso groß ist das Bedauern im Landratsamt. Der Verein sei „ein sehr wichtiger Partner“ und „von großer Bedeutung“ gewesen, heißt es in einer Pressemitteilung. Durch die fehlende Beratung im Vorfeld habe die Behörde ein erhöhter Aufwand beim Bearbeiten der Fälle. Landrat Josef Niedermaier wird mit den Worten zitiert: „Wir bedauern, dass die langjährige sehr gute Zusammenarbeit mit dem Verein und insbesondere mit den Mitarbeitern so abrupt endete. Der Verein hat sehr wertvolle Arbeit geleistet.“ Er hoffe, dass eine Lösung gefunden wird, damit diese Arbeit fortgeführt werden kann.

Ehrenamtliche sollen einspringen

Wie könnte es nun weitergehen? In einer Pressemitteilung des Landratsamts heißt es: „Der Insolvenzverwalter unternimmt alles, um einen neuen Träger zu finden, der die Aufgaben mit dem vorhandenen Personal übernehmen kann.“ Dies sei wichtig, „denn die bisherigen Mitarbeiter sind mit den Strukturen und besonders mit den kulturellen Eigenheiten dieses Personenkreises vertraut“. Morrell bestätigt, dass Gespräche geführt wurden: „Wir haben die Zusage erhalten, dass es so schnell wie möglich weitergehen soll.“ Im gleichen Atemzug fügt er hinzu: „Was heißt in Deutschland schon schnell? Erst mal muss eine Ausschreibung gemacht werden.“

Bis dahin müssen Ehrenamtliche einspringen: „Wir versuchen, da Struktur reinzubringen“, sagt Lobenstein. Dies sei nicht einfach, „denn wir haben uns als Ehrenamtliche auf die Strukturen verlassen. Wir haben gewusst, dass wir uns um bestimmte Sachen nicht mehr kümmern müssen.“ Sie hat nun zwei Wünsche. Zum einen, dass so schnell wie möglich ein neuer Träger gefunden wird, und zum anderen, dass die Mitarbeiter des Vereins erhalten bleiben.

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