Arbeitsplätze für Ukrainer: Wie der Jobturbo im Landkreis Ebersberg zünden soll
Ein praxisorientierter Ansatz soll Geflüchteten den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die Priorisierung der Arbeitsaufnahme vor Sprachkursen soll Chancen für alle Beteiligten eröffnen.
Landkreis – Yevheniia Marchenko-Tretiakova gilt der Arbeitsagentur als Musterbeispiel für Integration. „Geflüchtete finden Arbeit im Landkreis Ebersberg: Ein Beispiel zeigt, wie es funktionieren kann“, überschreibt die Arbeitsagentur eine entsprechende Pressemitteilung.
Die 36-Jährige ist demnach kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs nach Deutschland geflohen – ein Germanistik-Diplom mit den Schwerpunkten Dolmetschen und Unterrichten im Gepäck. „Ich wusste nicht, wo ich meine Kenntnisse sinnvoll einsetzen kann“, wird die Ukrainerin zitiert. Da habe ihr das Ebersberger Jobcenter geholfen. Neben der Beratung seien die Kosten für die Übersetzung ihres Diploms und eine Deutschprüfung übernommen worden. Nun habe es nach einem Praktikum mit einem Job geklappt – als Dozentin und Übersetzerin bei Ibarus, einem gemeinnützigen Bildungsträger. Dieser unterstützt unter anderem an einem Baldhamer Standort Geflüchtete beim Deutschlernen sowie bei der Arbeits- und Wohnungssuche.
Urkainer im Landkreis Ebersberg: Niedriger Arbeitenden-Anteil soll dank Jobturbo steigen
Solche Erfolgsgeschichten braucht das Jobcenter dringend, in Ebersberg und anderswo. Für viel Unverständnis hatten Zahlen gesorgt, wonach im vergangenen Herbst nicht einmal ein Fünftel der arbeitsfähigen ukrainischen Geflüchteten einen Job hatte – in vielen Fällen also anderthalb Jahre nach Ankunft in Deutschland.
Schwerfällige Verwaltungsprozesse, zu großzügige Sozialhilfe, zu langwierige Deutschkurse statt unmittelbare Arbeitsaufnahme, hohe Unterbringungskosten – diese häufigsten und weitere Kritikpunkte ließen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) daraufhin einen „Jobturbo“ ausrufen. Der Aktionsplan soll Geflüchtete aus acht Herkunftsländern schneller in Arbeit bringen als bisher.
Die Menschen sind hier, und wir haben einen Fachkräftemangel.
Benedikt Hoigt, Jobcenter-Chef in Ebersberg, ist dafür verantwortlich, diesen Jobturbo im Landkreis zu zünden. „Die Menschen sind hier, und wir haben einen Fachkräftemangel“, sagt er. Künftig soll das Deutschlernen hemdsärmliger vonstatten gehen: im oder neben dem Job statt davor. Dafür müssten die Angesprochenen möglicherweise in Kauf nehmen, zunächst unter ihrer eigentlichen Qualifikation zu arbeiten – mit der Aufstiegsoption von der dringend gebrauchten Arbeitskraft zur noch dringender gebrauchten Fachkraft.
„Bei der Sprache gehen wir einen Schritt zurück“, sagt Hoigt. Es haben nun mal die wenigsten ein Germanistik-Diplom mitgebracht, wie Yevheniia Marchenko-Tretiakova. „Nach meiner Ankunft in Deutschland habe ich, wie viele andere auch, einen Kulturschock erlebt“, zitiert die Arbeitsagentur die 36-Jährige. Und: „Da ich Deutsch gut kann, war dieser Schlüssel zur Integration schon in meinen Händen. Alles zu organisieren fand ich trotzdem nicht einfach.“
Speeddating, Info-Messen: So sollen Arbeitgeber und Geflüchtete zusammenfinden
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Dafür bringe das Jobcenter nun gezielter arbeitsfähige Geflüchtete und potenzielle Arbeitgeber zusammen. So habe sein Haus im Winter etwa eine Informationsmesse eigens für Erziehungspersonal veranstaltet und dazu 550 Erziehende und zwölf regionale Bildungsträger eingeladen. Auch habe es eine Messe „Arbeit und Bildung“ gegeben, bei der 1000 Jobcenter-Kunden eingeladen waren, auf 20 Arbeitgeber und zehn Bildungsträger zu treffen. Und bei speziellen „Speeddatings“ trafen etwa ausgebildete IT-Spezialisten auf mögliche Arbeitgeber. Eine weitere große Jobmesse sei Anfang Juli geplant.
Jobcenter-Chef liest an Teilnehmerzahlen großes Interesse ab
Für konkrete Zahlen zu erfolgreichen Vermittlungen sei es noch etwas zu früh, angesichts laufender Bewerbungs- und Vertragsprozesse, so Jobcenter-Chef Hoigt. Nur so viel: „Die Integrationen steigen an.“ Ermutigend finde er eine andere Zahl: „70 bis 80 Prozent der Eingeladenen kommen zu den Veranstaltungen“, sagt er und liest daraus großes Interesse der Geflüchteten an einer Arbeitsvermittlung ab. „Ich glaube, dass wir erfolgreich sein werden, weil wir den Menschen viele Optionen zeigen“, sagt er und ergänzt: „Die Geflüchteten müssen natürlich auch mitmachen.“
Wichtig ist Hoigt dabei, dass auch die „einheimischen“ Arbeitssuchenden nicht auf der Strecke bleiben: „Wir vernachlässigen niemanden, aber wir intensivieren unser Geschäft.“ Es zeichne sich ab, dass 25 bis 30 Prozent der geflüchteten Ukrainer mittlerweile konkret ins Auge fassten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Aufgrund der unsicheren Lage daheim, aber auch weil sie, insbesondere die Kinder, nach zwei Jahren im Land beginnen, Wurzeln zu schlagen. Hoigt findet angesichts des leer gefegten Arbeitsmarktes: „Das ist eine Chance für uns.“
Arbeitslosenquote im Landkreis Ebersberg bei 2,5 Prozent
Die Arbeitslosenquote für April lag im Landkreis Ebersberg bei 2,5 Prozent. 1631 vakanten Stellen stehen laut Arbeitsagentur zur Verfügung, während die Zahl der Arbeitslosen bei 2105 liegt. 382 unbesetzten Ausbildungsplätzen stehen 209 Jugendliche noch ohne berufliche oder schulische Perspektive gegenüber. Zu Menschen mit Fluchthintergrund stammen die jüngsten Zahlen aus dem März: 742 arbeitslos gemeldete Personen zwischen 15 und 67 Jahren, darunter 501 aus der Ukraine und 241 aus den acht zugangsstärksten Herkunftsländern.