„Wir haben viel Zeit verloren“: Integration von Ukraine-Schülern in entscheidender Phase
Geflüchtete Kinder aus der Ukraine sind in einem Dilemma: In ihrer neuen Schule muss Normalbetrieb einkehren, während daheim der Krieg tobt.
Landkreis – Mit gemischten Gefühlen schauen Schulleiter im Landkreis Ebersberg auf die Fortschritte bei der Integration ukrainischer Kinder. Über anderthalb Jahre, nach dem viele mit ihren Familien hierher geflüchtet sind, hängt viel vom Einzelnen ab. So sagt etwa Alexander Bär, Rektor der Grund- und Mittelschule Ebersberg: „Jetzt läuft der entscheidende Schritt. Jetzt müssen sie mit anpacken und in der Sprache Fuß fassen.“ Bei allen Belastungen durch Krieg und Flucht kehre im Unterricht doch langsam organisatorische Normalität ein.
Zwei Jahre im hiesigen Unterricht, das zeige die pädagogische Erfahrung, brauche ein Kind aus dem Ausland im Durchschnitt, bis das gelinge. Bis die Sprachbarriere nachhaltig ins Bröckeln gerät. Nur: Das Durchschnittskind ist ein Theorie-Konstrukt. Jede Schülerin, jeder Schüler ist anders. „Der überwiegende Teil bemüht sich redlich“, sagt Rektor Bär über die etwas mehr als ein Dutzend Ukrainer, die an seiner Schule in den Unterricht gehen. Sie seien alle weitgehend in den normalen Klassen integriert.
Leistungsdenken in ukrainischen Familien - Erfolge in den Naturwissenschaften
Auffällig sei in vielen ukrainischen Familien ein „Leistungsdenken“ – das Kind soll an die Realschule oder ans Gymnasium, einen guten Berufsweg einschlagen können. Das beobachtet auch Bärs Kollegin Nicole Storz, Schulleiterin am Max-Mannheimer-Gymnasium in Grafing. Auch dort wurde für die Ukrainer eine spezielle Brückenklasse eingerichtet, die es heuer letztmalig geben solle.
Dabei spiele es zunächst grundsätzlich keine Rolle, ob ein Kind diese Brückenklasse an einem Gymnasium oder an der Mittelschule besuche. Gymnasial-Direktorin Storz sagt dennoch: „Wir bemühen uns um eine gewisse Durchlässigkeit.“ Das gelinge in Mathe und Englisch besser als in Deutsch und Geschichte, wo die Kenntnisse der Landessprache eine höhere Hürde darstellen. Diese Beobachtung teilen Storz und Bär. „In den Naturwissenschaften sind durchaus gute Noten dabei“, sagt Zweiterer. Langsam gilt es, über Wege zu ersten Abschlüssen nachzudenken, und sei es „nur“ ein Deutschzertifikat.
Brückenklassen und ihre Nachteile: „Wir haben viel Zeit verloren.“
In Grafing seien derzeit 14 Schülerinnen und Schüler in der jahrgangsübergreifenden, für die Ukrainer gebildeten Brückenklasse. „Wir haben viel Zeit verloren“, so Schulleiterin Storz über einen Nachteil dieser Einrichtung: Die Ukrainer blieben häufig unter sich, sprachlich wie sozial. „Diese Kinder tun mir wahnsinnig leid“, sagt sie. „Ich wüsste nicht, wie man es besser hätte machen sollen, aber das hat nicht wirklich funktioniert.“
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Integration ist ein Hürdenlauf, vor allem, wenn viele kommen. Das zeigt sich bei den Erwachsenen am Arbeitsmarkt. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr teilen die Kinder mit den Eltern – den „Ukraine-Nachteil“, wie es Bär im Vergleich zu anderen Kindern aus dem Ausland nennt. Mit Blick auf die Schulleistungen, versteht sich, bei denen er mehr seiner vorübergehenden Schützlinge Erfolge wünschen würde.
Und was die soziale Situation angeht, ergänzt Nicole Storz aus Grafing. Die eigenen Brückenklassen hätten den Kontakt zu den anderen Schülerinnen und Schülern eher verhindert. „Unsere Hoffnung ist, dass die Integration heuer besser läuft“, sagt Storz über den Versuch, die Ukrainer zumindest teilweise in den Regelunterricht zu integrieren.
Private Zurückhaltung: Ukrainische Kinder schweben zwischen zwei Welten
Ob das klappe, sei noch nicht recht absehbar. „Dafür ist das Schuljahr noch zu jung“, sagt die Gymnasialdirektorin. „Es werden hier Freundschaften geschlossen“, sagt ihr Grund- und Mittelschul-Kollege Bär aus Ebersberg. Diese beschränkten sich aber häufig auf das Schulleben.
Privat seien die ukrainischen Familien häufig zurückhaltender, weil sie weiterhin zwischen zwei Welten schwebten: Der bangen Beobachtung des Geschehens in der Ukraine, in die sie wieder zurückwollten – und der Kriegsrealität verbunden mit dem plötzlichen Verlust dieser Heimat, mit dem sie sich arrangieren müssen. Gerade für Kinder eine emotionale Zerreißprobe, in der sie sich in einem fremden Schulsystem zurechtfinden sollen.
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