Allein in den vergangenen 25 Jahren hat Jutta Stegerer 1000 Babys in Bad Tölz-Wolfratshausen, München und Starnberg betreut. Ihren Beruf hat die 67-Jährige immer geliebt. Nun geht sie in den Ruhestand.
Der vierjährige Bub erwartet Jutta Stegerer bereits an der Haustür, als sie einige Tage nach der Geburt seines kleinen Bruders zur Nachsorge kommt. Der Vierjährige hatte sich riesig auf den Familienzuwachs gefreut. Endlich jemand, mit dem er mal wird Fußball spielen können. Doch das Baby hat in den ersten drei Tagen viel geweint. Sein Bruder schaut zur 1,80 Meter großen Hebamme auf, stemmt die Hände in die Hüften und sagt: „Des oane sog i eahna, Frau Stegerer, heit kenna’s ean wieder mitnehma!“ Die Anekdote zählt zu den amüsantesten aus Stegerers Hebammenleben.
Ickingerin war 46 Jahre Hebamme: Sie begleitete die gesamte Familie
Die Frau mit dem langen dunklen Zopf und dem schwarzen Koffer hat in den vergangenen 25 Jahren 1000 Babys in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, München und Starnberg betreut. Erst einmal wäscht sich die Ickingerin bei ihren Nachsorge-Besuchen die Hände und begrüßt die Familienmitglieder. Das kleine Geschwisterkind ist dabei genauso wichtig, wie der Vater, die Mutter und natürlich der Säugling selbst.
Wenn Stegerer über ihre Patientinnen und Patienten spricht, dann über „die Familien“. Denn „ich betreue nicht nur die Mutter und das Kind, sondern begleite die ganze Familie durch die ersten Wochen“. Gibt es ein älteres Geschwisterkind, fragt sie das zuerst, ob es sich das „kleine Geschwisterl“ einmal anschauen dürfe. Schläft das Baby gerade, versorgt Stegerer zunächst die Mutter, setzt sich zu ihr.
Hebamme weiß: Mütter heute besser informiert als noch vor 25 Jahren
Wie geht es ihr mit dem Stillen, wie ist die Rückbildung und was hat sie für Fragen? Das Thema Ernährung des Kindes rückt nun in den Fokus. Dabei hat Stegerer festgestellt, dass die Frauen im Laufe der Jahre immer mehr zum Stillen tendierten, sich bewusster ernährten. Natürlich fehle mit zunehmender Berufstätigkeit der Mütter und insgesamt weniger Kindern auch die Erfahrung im Umgang mit Babys. Und doch seien die heutigen Mütter dank Internet und Social Media besser informiert als noch vor 25 Jahren, sagt Stegerer.
Die bis zu 44 Leistungen der freiberuflichen Wochenbett-Hebammen übernimmt die Krankenkasse bis Ende der Stillzeit. „Wir werden für je 45 Minuten bezahlt, alles darüber hinaus ist Herzensangelegenheit“, so Stegerer. Während ihres Besuchs geht sie als Nächstes mit der Mutter zum Wickeln.
Bevor sie das Kind auf den Wickeltisch legt, teilt sie das dem Neugeborenen mit sanfter, aber nachdrücklicher Stimme mit. „Ich will den Eltern mitgeben, dass sie mit ihrem Kind feinfühlig reden können und lernen, das Baby zu lesen. Es hat eine Sprache: Schreien, Gestik und Mimik.“
Meine News
Diesen Anfang des Lebens zu erleben - das hat mich fasziniert.
Dass sie Hebamme werden würde, beschloss sie mit 13 Jahren. Ganz entscheidenden Einfluss darauf hatte ihre Tante, die in München Hausgeburts-Hebamme war. „Diesen Anfang des Lebens zu erleben – das hat mich fasziniert“, erzählt Stegerer. Nach der Realschule besuchte sie die Hebammenschule in München, schloss die Ausbildung mit dem Staatsexamen ab.
(Unser Wolfratshausen-Geretsried-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus Ihrer Region. Melden Sie sich hier an.)
An ihre anschließenden drei Jahre in der Klinik a der Maistraße erinnert sie sich noch gut: „Die Abläufe waren standardisiert: Ab ins Kinderzimmer um halb vier, zehn Babys im Akkord wickeln, wiegen, sie an die Mütter zum Stillen verteilen.“ Hier hieß es aufpassen, dass kein Kind bei der falschen Mutter landet. „30 Minuten später alle zehn Kinder wieder einsammeln, nochmals wiegen. Wenn eins nur 10 Gramm zugenommen hatte, sofort per Fläschchen nachfüttern.“
Im Vergleich dazu war es in der Starnberger Geburtsklinik „Am See“, in der Stegerer von 1981 bis 1984 arbeitete, fast paradiesisch. Es gab standardmäßig Rooming-in, die Babys waren also bei den Müttern untergebracht. Jede Frau hatte von Anfang an eine ihr fest zugeteilte Hebamme für Vorsorge, Geburt und Nachsorge. „Das war ein sehr freies, verantwortungsvolles Arbeiten.“
Beruf Hebamme: In Spitzenzeiten erlebte Stegerer rund 900 Geburten im Jahr
Und doch gab es viel zu tun, in Spitzenzeiten etwa 900 Geburten im Jahr – mehr als jetzt in der Kreisklinik Wolfratshausen, 24-Stunden- und Bereitschafts-Dienste. Die rund 1000 Geburten, die sie in ihrer Zeit in München und Starnberg begleitet hat, möchte Stegerer nicht missen: „Ich wollte nicht direkt in die freie Praxis, sondern erst einmal Erfahrung sammeln.“
Drei Jahre war sie danach in Gauting freiberuflich tätig, bot Geburtsvorbereitung und Rückbildungskurse an, bis sie 1987 selbst Mutter wurde und sich um ihren Sohn kümmerte. Ab 1999 zog Stegerer, nun in Icking wohnend, wieder mit ihrem Hebammenkoffer durch die Region: „Ich wollte wieder selbst bestimmen, wen ich wann und wie lange betreue. Und mir Zeit nehmen können für die Familien“, erklärt sie ihre Entscheidung.
Jetzt packt sie ihren Koffer auf dem Küchentisch fast wehmütig nochmals aus. In all den Jahren hat sie ihren Beruf geliebt. „Ich sag‘ immer: Jeder Mensch wird mit einem Auftrag geboren“, so die 67-Jährige mit einem Lächeln. Ihrer war Hebamme. Von Andrea Voit
Kostenlose App für Eltern
Im Ruhestand widmet sich Jutta mit großer Leidenschaft ihrem Herzensprojekt: der Baby-Tyge-App. Gemeinsam mit einem jungen Schweizer Team hat sie eine kostenlose Applikation entwickelt, die Eltern von der Schwangerschaft bis zum ersten Lebensjahr ihres Kindes begleitet. Von A wie Abstillen bis Z wie Zahnen bietet sie über 700 hilfreiche Tipps und Artikel, um Mütter und Väter in dieser wichtigen Lebensphase zu unterstützen. Die App überzeugt durch ihr originelles Design mit kleinen gelben Tigern. Bislang hat sie 500 User in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mehr Infos gibt es online unter www.tygerlife.com.