„Mitbürger, der nicht mitgemacht hat“ - Stolperstein soll an NS-Opfer Georg Kössl erinnern

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Schongau
  4. Schongau

Kommentare

Der Schongauer Georg Kössl wurde 1939 von Nationalsozialisten ermordet. © Privat

1939 wurde der Schongauer Georg Kössl von Nationalsozialisten ermordet. Ein Stolperstein soll an ihn erinnern. Auch Kössls Urenkel ergriff im Bauausschuss das Wort.

Schongau - „Was sollte ich dir in diesen, meinen letzten Minuten schreiben? Sollte ich dir das Herz schwer machen? Ja, meine liebe Marie, das ist schwer, von euch Abschied zu nehmen.“ So beginnt der Abschiedsbrief, den der Schongauer Georg Kössl an seine Familie schrieb. Der Brief ist auf den 23. und 24. November 1939 datiert. Den Tag, an dem Georg Kössl im Gefängnis Plötzensee in Berlin (siehe Kasten) von Nationalsozialisten ermordet wurde. 37 Jahre war er da alt.

Ronald Sinda aus Wessobrunn hat den Brief sowie weitere Unterlagen kürzlich gefunden – im Nachlass eines Wessobrunners, der offenbar ein enger Vertrauter Kössls war. Auch an ihn schrieb Kössl, nannte ihn „Bruder“ und bat ihn darum, seiner Familie in den schweren Tagen beizustehen. Er verbringe seine letzten Stunden in seiner Zelle, mit zwei Beamten als Aufsicht. „Am 24.11.39 früh 6 Uhr bin ich stille im Herrn meinem Gott!“

Als Sinda die Briefe unerwartet beim Ausräumen des Hauses fand, verfasst in Sütterlin-Schrift, fiel ihm der Name „Georg Kössl“ sofort ins Auge. Er kannte ihn vom Kriegerdenkmal in Schongau, erzählt er. Dort wird mit einer nachträglich angebrachten Plakette an den Schongauer, der wegen „Militärdienstverweigerung“ hingerichtet wurde, erinnert. Auf einmal sei für ihn aus einem Namen ein Mensch geworden, schildert Sinda, der daraufhin weiter nachforschte. Er nahm Kontakt zur Gedenkstätte Plötzensee und Stadträtin Bettina Buresch auf, die 2020 Stolpersteine für die jüdische Familie Kugler (wir berichteten) beantragt hatte. Und die beiden fanden Angehörige, die in der Region leben.

Am Kriegerdenkmal im Schongauer Serenadenhof wird auch Georg Kössl genannt.
Am Kriegerdenkmal im Schongauer Serenadenhof wird auch Georg Kössl genannt. © Elena Benedikt

Kössls Enkelin, die selbst schon einmal einen Stolperstein initiieren wollte, aber auf keine Unterstützung des damaligen Bürgermeisters gestoßen sei, und Urenkel Rainer Heiß aus Schongau waren in die jüngste Bauausschusssitzung gekommen, in der entschieden werden sollte, ob ein Stolperstein für Georg Kössl an seinem damaligen Wohnhaus verlegt wird, wie Buresch es beantragt hatte. Der Ausschuss stimmte dem einhellig zu. Zuvor hatten Buresch, Sinda und Heiß das Wort ergriffen und von Georg Kössl erzählt.

In der Lechvorstadt daheim

Georg Kössl wurde am 18. Februar 1902 in Schongau geboren. Er arbeitete in der Papierfabrik als Papiermaschinengehilfe und wohnte nicht weit davon entfernt. In der Lechvorstadt 5, so lautet die Adresse heute, gegenüber des Lechwirts also.

Hier, in der Lechvorstadt 5, hatte Georg Kössl gewohnt.
Hier, in der Lechvorstadt 5, hat Georg Kössl gewohnt. © Elena Benedikt

Seine erste Frau war zwei Wochen nach der Geburt des gemeinsamen Sohns Georg gestorben. Mit seiner zweiten Frau, Marie, bekam er einen weiteren Sohn, erzählte Bettina Buresch. Zehn und ein Jahr alt seien die beiden Kinder gewesen, als ihr Papa im September 1939 zur Wehrmacht einberufen wurde. Georg Kössl war Zeuge Jehovas und verweigerte den Militärdienst aus religiösen Gründen, weshalb er von den Nationalsozialisten ins Strafgefängnis Plötzensee bei Berlin gebracht wurde.

Ihr Vater Georg habe Kössl bei seiner Abführung noch bis zum Bahnhof begleitet, erzählt die Enkelin. Er solle ein guter Mensch werden, habe dieser seinem Sohn beim Abschied mit auf den Weg gegeben.

Wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ ermordet

Georg Kössl sei beliebt gewesen, berichtete Buresch. In Schongau und bei seinen Kollegen in der Papierfabrik. Einige hätten ihn angefleht, seinem Glauben abzuschwören, um der Verhaftung und dem Todesurteil zu entgehen. Doch er habe an seinen Überzeugungen festgehalten. „Er war ein harmloser Mitbürger und musste trotzdem sterben. Das zeigt, wie grausam dieses Regime war“, so Buresch.

Kössls Religiosität wird auch in seinen Briefen deutlich. „Ich verbringe diese meine letzte Nacht in Ruhe und Frieden, denn ich trag mich seit langer Zeit mit dem Gedanken, mein Leben lassen zu müssen, um vom Herrn ein Leben zu empfangen, das überschwänglich ist an Herrlichkeit u. das nur durch seine Gnade und Barmherzigkeit“, schrieb er.

Seit dem 26. August 1939, kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen, wurde die Verweigerung nach „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ als „Zersetzung der Wehrkraft“ geahndet. Noch im selben Monat seiner Einberufung, am 28. September 1939, wurde Kössl vom Oberreichskriegsanwalt angeklagt, heißt es bei der Gedenkstätte Plötzensee. Am 8. November wurde er vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 24. November im Straf­gefängnis Berlin-Plötzensee ermordet.

Uropa wäre „sehr ehrenwerter Träger eines Stolpersteins“

„Wer sich seiner Geschichte nicht erinnert, ist verdammt, sie zu wiederholen“, sagte Rainer Heiß. Es falle ihm schwer, dort zu sprechen, erklärte er dem Ausschuss. Über seinen Uropa, über das Unfassbare. „So lange wir ihn vergessen haben, haben die Nazis gewonnen.“ Die Leute seien weg, die Erinnerungen an sie nur noch bei wenigen vorhanden.

Die Idee der Stolpersteine sei deshalb so erfolgreich, weil sie die Ausmaße, wie viele Menschen betroffen waren, erfahrbar machten. Und erinnern. Georg Kössl, sein Uropa, wäre „ein sehr ehrenwerter Träger eines Stolpersteins“. Gerade in Zeiten wie diesen, wo wieder ausgegrenzt werde. Die Zeit des Nationalsozialismus sei eben kein „Vogelschiss“ gewesen. Sondern „zwölf Jahre, vier Monate und ein paar Tage. Es war millionenfacher Mord“, so Heiß. „Wir können heute an einen Mitbürger erinnern, der nicht mitgemacht hat.“

Das Strafgefängnis Plötzensee

Über 2800 Menschen werden innerhalb von zwölf Jahren (1933 bis 1945) im Strafgefängnis Plötzensee durch Fallbeil oder Strang ermordet, ist auf der Internetseite der Gedenkstätte Plötzensee nachzulesen.
Rund die Hälfte der Opfer seien Deutsche gewesen, die meisten „wegen Widerstandshandlungen gegen die nationalsozialistische Diktatur“. Auch „wegen geringfügiger Delikte“ seien Menschen vor allem nach 1939 „unverhältnismäßig hart mit dem Tode bestraft werden“. Alle Straf­verfahren hätten nicht mehr rechtsstaatlichen Ansprüchen entsprochen. Nach 1939 sei Plötzensee „ein Ort des Todes für Menschen aus allen Teilen des deutsch besetzten Europas“ gewesen.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.gedenkstaette-ploetzensee.de.

Auch interessant

Kommentare