Coldplay live im Konzert: Kitsch, Klasse und Konfettikanone

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Mit Pauken und Gitarren traten Coldplay im Jahr 2009 im Rahmen ihrer „Viva la Vida“-Tour auf. © Dylan Martinez / Reuters

Coldplay spielen drei Shows in München: Eine persönliche Erinnerung zeigt: Die Briten um Chris Martin gehören der ganzen Welt – und sind live am besten.

Der erste Moment ist der kostbarste. Man hat das Debüt-Album einer Band entdeckt und lieben gelernt. Man hat den ganzen genervten Freundeskreis mit den Newcomern missioniert. Man hatte absurderweise das Gefühl: Die singen nur für mich. Doch dann besitzt diese Band die Frechheit, weltberühmt zu werden. Ihre Songs laufen auf Radiosendern, die man nicht ausstehen kann, sie treten bei „Wetten, dass..?“ auf, und der Sänger heiratet Gwyneth Paltrow. Plötzlich soll sie allen gehören, diese große Liebe – eine ganz schöne Kränkung.

Also war die bange Frage für den Autor dieser Zeilen: Sind Coldplay noch was für mich? Ich stellte sie mir vor dem Konzert am 29. August 2009, vor fast 15 Jahren, als noch was zwischen Gwyneth Paltrow und Chris Martin lief – und „Wetten, dass..?“ noch im Fernsehen. An jenem Samstag spielten Coldplay in Riem, dort stand noch keine Adele-Arena, nur ein Reitstadion. Die Antwort gleich vorweg: natürlich! Coldplay waren was für mich, für die Oma, fürs Kind. Coldplay gehörten längst der ganzen Welt. Von der ersten Note – dem Donauwalzer von Johann Strauß – an feierten 30 000 Fans im ausverkauften Freilicht-Rund dieses Quartett, das so allürenlos und normal rüberkam, dass es eine Art hatte. Und mittendrin feierte ich.

Chris Martin ist der rare Typ, den die Damen nicht von der Bettkante und die Herren nicht vom Barhocker stoßen würden

Es hätte schon mein drittes Coldplay-Konzert sein können. 1999 sollten die Briten im „Colosseum“ im Kunstpark Ost auftreten, es wäre die Live-Krönung meiner Neuentdeckung gewesen, doch kurz zuvor wurde bekannt, dass Martin sich erkältet hatte. So sah ich sie dann erst 2002, bei ihrer Münchner Konzert-Premiere im Zenith. Weder die schauerliche Akustik noch der schroffe Charme der Halle in Freimann konnten von der Überzeugung ablenken: Dieser Ort war für die Band schon viel zu klein. Ihre bis heute beste Platte „A Rush of Blood to the Head“ war auf Platz eins der Charts eingestiegen (vor Eminem und den No Angels), und die Art, wie Martin das Eröffnungsstück „Politik“ in den Flügel hämmerte, wie er hypernervös hüpfte, wie sein wackeliger Tenor aus der Ballade „The Scientist“ noch den letzten Tropfen Schmalz wrang – das schrie nach Stadion und ließ das ausnahmslos aus Pärchen bestehende Publikum dahinschmelzen.

Erstes Deutschland-Konzert der britischen Band Coldplay
Coldplay heute: Sänger Chris Martin beim ersten Deutschland-Konzert heuer in Düsseldorf. © Henning Kaiser / dpa

Chris Martin ist der rare Typ, den die Damen nicht von der Bettkante und die Herren nicht vom Barhocker stoßen würden, daran hat sich bis heute nichts geändert. In Riem rannte er mit seiner Graffiti-Klampfe pausenlos von einem Ende der Bühne zum anderen, was seinen jungenhaften Tenor in keiner Weise beeinträchtigte. „Dankeschön, meine Freunde!“, rief er in den Jubel. Und: „Everybody okay da hinten?“ Harry Styles und Taylor Swift gelten heute als Posterboy und -girl einer achtsamen Generation. Aber bei Coldplay war schon damals die Ansage an jeden einzelnen im Publikum: Du bist großartig, so wie du bist. Und: Es war mindestens bunt wie heute bei Styles und Swift.

Das war damals noch recht neu, gehört aber längst zu jedem Coldplay-Konzert: Alles war so schön hergerichtet. In den Bäumen und auf den Lautsprecher-Masten hingen riesige Lampions unter der Mondsichel. Der Bühnenhintergrund funktionierte mal als mordsmäßige Mattscheibe, mal als blinkender Lampenladen. Bei „Lovers in Japan“ schneite es Schmetterlingskonfetti aus der Kanone. Zu „Yellow“, Coldplays frühestem Parade-Exemplar wohliger Traurigkeit, regnete es gelbe Ballons. Der Charmeur sang „Schau dir die Sterne an, schau, wie sie für dich leuchten“, und alles sang und zelebrierte den Kitsch, genau wie sieben Jahre zuvor und noch heute.

bei Coldplay war schon damals die Ansage an jeden einzelnen im Publikum: Du bist großartig, so wie du bist

Darin ist Martin Meister: Seine romantische Poesie, seine Selbstbespiegelungen, seine Durchhalteparolen kann jeder mühelos auf sich selbst beziehen. Deshalb sind Coldplay legitime Erben von R.E.M und U2. Die Musik kommt ähnlich hymnisch daher. Dabei spielen die vier perfekt – aber nicht perfektionistisch. Als Martin in Riem bei „The Hardest Part“ einen Hänger hatte, ihm der Text nicht mehr einfiel, sang er einfach zur Melodie: „I tried to sing, but I couldn’t remember the words – and that’s the hardest part.“ Auf einer Bierdeckel-großen Bühne mitten im Publikum alberten sie dann zu einem lustigen Cover von Michael Jacksons „Billie Jean“.

So ist das bei Coldplay-Konzerten, und so wird es sicher auch bei den ausverkauften Mega-Konzerten am Donnerstag, Freitag und Samstag im Olympiastadion sein: „God put a Smile upon your Face.“ Kitsch, Klasse und Konfetti für alle und am Ende ein Feuerwerk im Münchner Nachthimmel. Denn das ist längst klar: Noch kostbarer, als diese Band kennengelernt zu haben, ist, sie live zu erleben.

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