Nichts geht mehr: Prokofjews „Der Spieler“ in Salzburg
Prokofjews „Der Spieler“ wird bei den Salzburger Festspielen zum Opfer des ausgebrannten Regisseurs Peter Sellars. Dafür gibt es einen vielversprechenden jungen Dirigenten (Handlung am Ende des Textes).
Dies ist der Festspielsommer der Außenseiter. Alles Besonderlinge, Ex- und Egozentriker. Extraterrestrische jenseits unserer Gesellschaftsgrenzen. Die Salzburger Operndramaturgie, an der Spitze mutmaßlich Intendant Markus Hinterhäuser, muss sich was gedacht haben beim Aufmarsch dieser Männer: zunächst Don Giovanni, dann Myschkin („Der Idiot“), am Ende Hoffmann mit seinen Erzählungen und dazwischen gerade Alexej Iwanowitsch („Der Spieler“) mit seiner Sucht aus falsch verstandener Liebe. Allesamt Beziehungsgestörte auf ihrer eigenwilligen bis hilflosen Suche nach Nähe, was für eine Reihe.
Und was für ein Rollenfutter für Sänger wie Sean Panikkar. Der bildet naturgemäß das Zentrum von Sergeij Prokofjews „Der Spieler“, er hat sich die Partie auch anverwandelt, lebt sie mit jeder Phrase, mit jedem Ton. Der US-Tenor, nicht nur in Salzburg der Mann für die Eigenbrötler, mag dabei an Fachgrenzen geraten. Doch die Stimme ist musterhaft fokussiert, entwickelt damit große Intensität, Stabilität und natürliche Durchsetzungskraft. Fast alles kann Panikkar seinem Tenor abverlangen, selbst in der Entäußerung des Finales fürchtet man nicht um diesen Gesang.
Asmik Grigorian langweilt sich
Es ist eine gigantische Ressourcenverschwendung, die an diesem Premierenabend in der Felsenreitschule zu erleben ist. Panikkars Partnerin ist Asmik Grigorian, Salzburgs Sommer-Diva und als Polina unerreichbare Frau für Alexej. Doch die Grigorian darf ihre überstarke Präsenz kaum ausspielen. Wenn sie dran ist, dann ist da wie immer dieser herbschöne, energiereiche Gesang. Und in den Zweierszenen mit Panikkar tatsächlich so etwas wie Interaktion, möglicherweise als Regie-Eigenbau. Doch die meiste Zeit wirkt hier eine begnadete Singdarstellerin wie abgestellt. Manchmal blickt man in ihr Gesicht, und dabei keimt ein Verdacht: Die Grigorian langweilt sich. Wie wir alle.
Denn im Regiestuhl hat während der Probenwochen ein Mann Platz genommen, der dort längst nicht mehr hingehört. Peter Sellars hat Salzburg einst Unvergessliches beschert. Vor allem mit Olivier Messiaens „Saint Francois d’Assise“, mit Kaija Saariahos „L’amour de loin“, doch das ist lange her. Jetzt ist da ein müder Mann, ein Verwalter seiner Kreativitätsreste. Zugegeben: Die Oper, auch Dostojewskis Romanvorlage, ist knifflig. In gut zwei pausenlosen Spielstunden wird hier nicht nur das Schicksal eines Abwegigen verhandelt, überblendet mit einer Liebesgeschichte. Es geht auch um das Destillat der russischen Gesellschaft Mitte des 19. Jahrhunderts, konzentriert auf die Geschehnisse im fiktiven deutschen Ort Roulettenburg.
Planloses szenisches Arrangement
Fast nichts davon ist zu sehen bei Sellars. Nur ein paar Ufo-Lampen als ein Fall für die Geschmackspolizei (Bühne: George Tsypin), sirrende Motoren lassen sie auf- und niederfahren. Stilisierte Spieltische sollen das sein, man könnte auch an Einzelteile eines Flipperautomaten denken. Wenn es bedeutungsschwanger wird, wechselt die Beleuchtung. Ansonsten agieren die Hauptfiguren gern im Halbdunkel. Wer hier mit wem und warum, das geht unter im planlosen Regie-Arrangement, eine Figurenschärfung erfolgt nur ansatzweise.
Einmal taucht die totgeglaubte, reiche Babulenka auf, Großmütterchen im Rollstuhl hat Tüten aus dem Duty-Free-Shop dabei. Violeta Urmana hebt an im vollen Vokalsaft zu einem Charakterporträt, die Freude über die Wiederbegegnung mit dieser Sängerin ist groß. Doch auch hier baldige Ernüchterung. Bizarrkomik wetterleuchtet aus fast jedem Takt, bei Sellars gibt es nicht mal ein szenisches Funzeln. Als beim General, von Peixin Chen mit üppigem Bass gesungen, die Nerven blank liegen, fällt er in Ohnmacht: Schülertheater zu Festspielpreisen.
Timur Zangiev muss man sich merken
Am meisten profitiert man ohnehin vom Blick in den Graben. Dort steht Timur Zangiev, 30 Jahre jung, Schüler des legendären Gennady Rozhdestvensky und bereits mit 18 am Stanislawski-Theater seiner Geburtsstadt Moskau engagiert. Gerade wird er bei renommierten Ensembles herumgereicht, an der Bayerischen Staatsoper zum Beispiel dirigierte er eine Repertoire-Serie von Tschaikowskys „Eugen Onegin“. Fast 50 Opernproduktionen hat er schon betreut, es ist ihm anzumerken.
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Am Pult der Wiener Philharmoniker steht kein Selbstverwirklicher, kein Jung-Genie mit Posen für die Galerie, sondern ein Handwerker. Die Motorik der Partitur, ihr soghaftes Kreisen hält er am Laufen, ohne die Musik zu überhitzen. Neonfarben, Bizarrerien, bissig-böse Details, die Gleichzeitigkeit völlig verschiedener musikalischer Aggregatszustände, all das hört man schon auch. Doch Zangiev hat verstanden: Prokofjew braucht keine Nachhilfe, keine künstliche Überzeichnung, sondern einen Lotsen, der das alles ordnet, abwägt und einpasst. Dieses Dirigat besticht, weil es so versiert ist und die oft störrischen Philharmoniker mitnimmt auf die Reise durch eine kaum gespielte Musik. Timur Zangiev, den Namen müssen wir uns also merken. Vieles andere vergessen wir besser.
Die Handlung
Eine feine Gesellschaft vergnügt sich beim Glücksspiel im fiktiven Roulettenburg. Dort wartet der General auf die Nachricht vom Tod seiner Erbtante. Doch die kommt selbst und verspielt ihr Vermögen. Wollte der General mit seiner Erbschaft Madame Blanche heiraten, wendet sich diese nun von ihm ab. Monsieur Grieux, bei dem der General Schulden hat und der dessen Stieftochter Polina ehelichen wollte, verlässt ebenfalls die Verlobte. Polina gesteht dem Hauslehrer Aleksej ihre Liebe, der ins Casino läuft, um die Schulden bei Monsieur Grieux zu bezahlen. Er verfällt der Spielsucht.